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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Wanderungen durch Pesth.



i.

Der Paß und die Romantik. -- Die Wunder der Douattzcile. -- Ochs und Pferd. -- Ungarische
Sansculotten. -- Nationaltanz. -- Ofen auch moralisch gegenüber "on Pesth. -- Wo sich Ofen
und Pesth am echten ausnehmen. -- Prosa im Baustyl. -- Die schwarze Fahne auf dem Stadt¬
haus nebst düster" Rcflerioncn. --- Ein blankes Schwert als Emblem. -- Schade um die Stock-
strcichc. -- Ein merkwürdiger Mouchard.

Es war auf dem letzten "Medardi - Markt" der ungarischen Haupt¬
stadt -- ich hatte zum ersten Mal diese Stadt besucht, die an den Ostmarken
der Civilisation liegt, und zwar war ich nicht gekommen, um mit eigenen
Augen zu beobachten, wie man hier ißt und trinkt, lacht und weint, geht
und fahrt, denkt und spricht; sondern ich war gekommen, um -- mit eignen
Händen die Quantität Wolle zu kaufen, die mir bisher durch Zwischenhändler
zugeführt worden. Da ich indeß einmal in der merkwürdige", uns Deut¬
schen so wenig bekannten Stadt war, wollte ich auch einige Beobachtungen
machen. Vom Beobachten zum Beschreiben ist aber für den Deutschen nur
ein kleiner Schritt; der Eine schreibt in sein Tagebuch, der Andere in eine
Zeitung. Warum sollte denn ein Wollhändler nicht eine Reisebeschreibung
machen dürfen? War doch König Saul einst unter den Propheten -- hat
doch ein Bäcker in Frankreich hochpolitische Verse geschrieben, haben doch
zwei deutsche Schuhmacher sich durch die Feder berühmt gemacht, der eine,
indem er Theaterstücke und allerlei Gesänge fabnzirte, der audere, indem
er ein theosophisches Werk mit seinen bepechten Händen verfaßte.

Nachdem ich mein Wvllbedürfniß befriedigt, fuhr ich in den in Pesth
unvermeidlichen schwarzen Frack, bedssckte meine Müde mit untadeligem Gla¬
cehandschuhen, steckte ein wohlbesciteteö Tagebuch ein und eröffnete meine
Fahrten. Ich benahm mich hiebei gegen die deutsche Angewöhnung. Wir
Deutschen schreiben sonst lauge, lauge ehe es zum Handeln kommt; ich


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Wanderungen durch Pesth.



i.

Der Paß und die Romantik. — Die Wunder der Douattzcile. — Ochs und Pferd. — Ungarische
Sansculotten. — Nationaltanz. — Ofen auch moralisch gegenüber «on Pesth. — Wo sich Ofen
und Pesth am echten ausnehmen. — Prosa im Baustyl. — Die schwarze Fahne auf dem Stadt¬
haus nebst düster» Rcflerioncn. -— Ein blankes Schwert als Emblem. — Schade um die Stock-
strcichc. — Ein merkwürdiger Mouchard.

Es war auf dem letzten „Medardi - Markt" der ungarischen Haupt¬
stadt — ich hatte zum ersten Mal diese Stadt besucht, die an den Ostmarken
der Civilisation liegt, und zwar war ich nicht gekommen, um mit eigenen
Augen zu beobachten, wie man hier ißt und trinkt, lacht und weint, geht
und fahrt, denkt und spricht; sondern ich war gekommen, um — mit eignen
Händen die Quantität Wolle zu kaufen, die mir bisher durch Zwischenhändler
zugeführt worden. Da ich indeß einmal in der merkwürdige», uns Deut¬
schen so wenig bekannten Stadt war, wollte ich auch einige Beobachtungen
machen. Vom Beobachten zum Beschreiben ist aber für den Deutschen nur
ein kleiner Schritt; der Eine schreibt in sein Tagebuch, der Andere in eine
Zeitung. Warum sollte denn ein Wollhändler nicht eine Reisebeschreibung
machen dürfen? War doch König Saul einst unter den Propheten — hat
doch ein Bäcker in Frankreich hochpolitische Verse geschrieben, haben doch
zwei deutsche Schuhmacher sich durch die Feder berühmt gemacht, der eine,
indem er Theaterstücke und allerlei Gesänge fabnzirte, der audere, indem
er ein theosophisches Werk mit seinen bepechten Händen verfaßte.

Nachdem ich mein Wvllbedürfniß befriedigt, fuhr ich in den in Pesth
unvermeidlichen schwarzen Frack, bedssckte meine Müde mit untadeligem Gla¬
cehandschuhen, steckte ein wohlbesciteteö Tagebuch ein und eröffnete meine
Fahrten. Ich benahm mich hiebei gegen die deutsche Angewöhnung. Wir
Deutschen schreiben sonst lauge, lauge ehe es zum Handeln kommt; ich


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[0373] Wanderungen durch Pesth. i. Der Paß und die Romantik. — Die Wunder der Douattzcile. — Ochs und Pferd. — Ungarische Sansculotten. — Nationaltanz. — Ofen auch moralisch gegenüber «on Pesth. — Wo sich Ofen und Pesth am echten ausnehmen. — Prosa im Baustyl. — Die schwarze Fahne auf dem Stadt¬ haus nebst düster» Rcflerioncn. -— Ein blankes Schwert als Emblem. — Schade um die Stock- strcichc. — Ein merkwürdiger Mouchard. Es war auf dem letzten „Medardi - Markt" der ungarischen Haupt¬ stadt — ich hatte zum ersten Mal diese Stadt besucht, die an den Ostmarken der Civilisation liegt, und zwar war ich nicht gekommen, um mit eigenen Augen zu beobachten, wie man hier ißt und trinkt, lacht und weint, geht und fahrt, denkt und spricht; sondern ich war gekommen, um — mit eignen Händen die Quantität Wolle zu kaufen, die mir bisher durch Zwischenhändler zugeführt worden. Da ich indeß einmal in der merkwürdige», uns Deut¬ schen so wenig bekannten Stadt war, wollte ich auch einige Beobachtungen machen. Vom Beobachten zum Beschreiben ist aber für den Deutschen nur ein kleiner Schritt; der Eine schreibt in sein Tagebuch, der Andere in eine Zeitung. Warum sollte denn ein Wollhändler nicht eine Reisebeschreibung machen dürfen? War doch König Saul einst unter den Propheten — hat doch ein Bäcker in Frankreich hochpolitische Verse geschrieben, haben doch zwei deutsche Schuhmacher sich durch die Feder berühmt gemacht, der eine, indem er Theaterstücke und allerlei Gesänge fabnzirte, der audere, indem er ein theosophisches Werk mit seinen bepechten Händen verfaßte. Nachdem ich mein Wvllbedürfniß befriedigt, fuhr ich in den in Pesth unvermeidlichen schwarzen Frack, bedssckte meine Müde mit untadeligem Gla¬ cehandschuhen, steckte ein wohlbesciteteö Tagebuch ein und eröffnete meine Fahrten. Ich benahm mich hiebei gegen die deutsche Angewöhnung. Wir Deutschen schreiben sonst lauge, lauge ehe es zum Handeln kommt; ich 46*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/373>, abgerufen am 07.05.2024.