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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Briefchen in ihrem Verwahrsam ein klagendes Gebot schreibt, daß ihr die " liebe Sünde"
möge vergeben, aber auch noch erhalten werden. Darin liegt der ganze Zauber der
Weiblichkeit, diesem verschlungenen Räthsel von Tngendbedürfniß und Schwachheit! Es
ist zu bedauern, daß nur dies eine unwillkürliche Geständniß sich unter den Papieren
befunden hat, ein helleres Hervortreten, hin und wieder eine Antwort der liebenswür¬
digen Freundin würde die Abgerissenheit der Goethe'sehen Zuschriften ergänzt haben.


ö" v.


Für Charakteristik des General psuel.

Der greise Ministerpräsident ist nicht so alt, wie er meistens taxirt wird, er ist
nicht 78, sondern acht und sechzig Jahr alt, und obwohl er gebrechlich aussteht, be¬
sitzt er noch eine seltene Körperkraft und Gelenkigkeit. Er ist der kühnste Schwimmer
und der verwegenste Schlittschuhläufer, in beiden Künsten geht die Liebhaberei mit der
Virtuosität Hand in Hand bei ihm; sein anderes Lieblingsvergnügen ist das Schach¬
spiel. Er ist wissenschaftlich gebildet wie selten ein Militär der alten Schule, die
neuern Sprachen hat er vollkommen inne und mit mehreren Fachstudien, wie Physik,
Chemie und Astronomie hat er sich jahrelang passionirt beschäftigt. Er hatte einige
Anlage zum Sonderling, sein geistvoller unbeugsamer Kopf widerstrebte den Alltags-
znständen und neigte sich von jeher zu der oppositionellen Aufklärung, auch noch ehe
sie so modern und billig war wie jetzt. So wendete er dem Deutschkatholicismus, als
er auftauchte, seine Aufmerksamkeit zu und ironisirte die Pietisten aller Gattungen, die
dafür denn auch sein Privatleben mit ihren heimlichen Nadelstichen verfolgten und ihm
namentlich die romantische heterorthodoxe Art seiner Verheirathung mit einer der schön¬
sten Frauen Deutschlands, nie vergeben wollten. Sein mäßiger und ernster Sinn
sehnte sich schon lange nach der Ruhe des Privatlebens, daß er statt dessen den Platz
auf der Folterbank der Minister eingenommen hat, ist der reinste Patriotismus, wie
er vielleicht nur noch in den treuen Herzen des preußischen Heldenheeres zu finden ist.


F. v. "K.


3"r Charakteristik waldeck's.

S Herr Redacteur! ie werden mir gestatten, als einer der aufmerksamsten
Leser der Grenzboten, einem Ihrer Berichterstatter zu ergänzen. Derselbe hat bei
seiner übrigens trefflich geschriebenen Charakteristik des Abgeordneten Wal deck ein zu
wesentliches Moment übersehen, als daß es nicht noch nachträglich hervorgehoben werden
müßte. Wahrscheinlich ist sein Urtheil nur aus eine oberflächliche persönliche Bekannt¬
schaft gegründet, sonst hätte ihm der maßlose Ehrgeiz des Abgeordneten Waldeck nicht
entgehen können, wenn derselbe auch wirklich ans der Tribune noch manchen Volksfreund
darüber zu täuschen gewußt haben mag. Die Vergleichung mit Robespierre, die sich
Ihrem Berichterstatter aufgedrängt hat, würde um so richtiger sein, wenn er das
Hauptkriterium dieser Aehnlichkeit, den wahnsinnigen Ehrgeiz in dem Porträt des
Berliner Abgeordneten nicht weggelassen hätte. Ja, Waldeck ist ein Epigone Robes-
pierre's, aber nicht des Robespierre des Dichters Lamartine, - sondern jenes, dessen
Namen in den Annalen der nöten französischen Revolution charakteristisch genug ge-


Briefchen in ihrem Verwahrsam ein klagendes Gebot schreibt, daß ihr die „ liebe Sünde"
möge vergeben, aber auch noch erhalten werden. Darin liegt der ganze Zauber der
Weiblichkeit, diesem verschlungenen Räthsel von Tngendbedürfniß und Schwachheit! Es
ist zu bedauern, daß nur dies eine unwillkürliche Geständniß sich unter den Papieren
befunden hat, ein helleres Hervortreten, hin und wieder eine Antwort der liebenswür¬
digen Freundin würde die Abgerissenheit der Goethe'sehen Zuschriften ergänzt haben.


ö" v.


Für Charakteristik des General psuel.

Der greise Ministerpräsident ist nicht so alt, wie er meistens taxirt wird, er ist
nicht 78, sondern acht und sechzig Jahr alt, und obwohl er gebrechlich aussteht, be¬
sitzt er noch eine seltene Körperkraft und Gelenkigkeit. Er ist der kühnste Schwimmer
und der verwegenste Schlittschuhläufer, in beiden Künsten geht die Liebhaberei mit der
Virtuosität Hand in Hand bei ihm; sein anderes Lieblingsvergnügen ist das Schach¬
spiel. Er ist wissenschaftlich gebildet wie selten ein Militär der alten Schule, die
neuern Sprachen hat er vollkommen inne und mit mehreren Fachstudien, wie Physik,
Chemie und Astronomie hat er sich jahrelang passionirt beschäftigt. Er hatte einige
Anlage zum Sonderling, sein geistvoller unbeugsamer Kopf widerstrebte den Alltags-
znständen und neigte sich von jeher zu der oppositionellen Aufklärung, auch noch ehe
sie so modern und billig war wie jetzt. So wendete er dem Deutschkatholicismus, als
er auftauchte, seine Aufmerksamkeit zu und ironisirte die Pietisten aller Gattungen, die
dafür denn auch sein Privatleben mit ihren heimlichen Nadelstichen verfolgten und ihm
namentlich die romantische heterorthodoxe Art seiner Verheirathung mit einer der schön¬
sten Frauen Deutschlands, nie vergeben wollten. Sein mäßiger und ernster Sinn
sehnte sich schon lange nach der Ruhe des Privatlebens, daß er statt dessen den Platz
auf der Folterbank der Minister eingenommen hat, ist der reinste Patriotismus, wie
er vielleicht nur noch in den treuen Herzen des preußischen Heldenheeres zu finden ist.


F. v. "K.


3„r Charakteristik waldeck's.

S Herr Redacteur! ie werden mir gestatten, als einer der aufmerksamsten
Leser der Grenzboten, einem Ihrer Berichterstatter zu ergänzen. Derselbe hat bei
seiner übrigens trefflich geschriebenen Charakteristik des Abgeordneten Wal deck ein zu
wesentliches Moment übersehen, als daß es nicht noch nachträglich hervorgehoben werden
müßte. Wahrscheinlich ist sein Urtheil nur aus eine oberflächliche persönliche Bekannt¬
schaft gegründet, sonst hätte ihm der maßlose Ehrgeiz des Abgeordneten Waldeck nicht
entgehen können, wenn derselbe auch wirklich ans der Tribune noch manchen Volksfreund
darüber zu täuschen gewußt haben mag. Die Vergleichung mit Robespierre, die sich
Ihrem Berichterstatter aufgedrängt hat, würde um so richtiger sein, wenn er das
Hauptkriterium dieser Aehnlichkeit, den wahnsinnigen Ehrgeiz in dem Porträt des
Berliner Abgeordneten nicht weggelassen hätte. Ja, Waldeck ist ein Epigone Robes-
pierre's, aber nicht des Robespierre des Dichters Lamartine, - sondern jenes, dessen
Namen in den Annalen der nöten französischen Revolution charakteristisch genug ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/175>, abgerufen am 25.05.2024.