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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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unsere Fahne gemeinschaftlich dem Feinde entgegenwehen. Aber lassen Sie den
blutrothen Wimpel! für Oestreich wäre es das Symbol der rothen Republik.

Es sind dies Ansichten, wie ich sie von Anfang der Bewegung an genährt.
Sie werden mir glauben, daß nicht die Rücksicht ans die öffentliche Meinung es
war, die mich bisher gehindert hat, sie entschieden auszusprechen; ich schlage ihr
nach andern Seiten hin stark genug ins Gesicht. Es war theils ein innerer Con¬
flict mit einem eignen Gefühl, theils die Rechnung, die ich den Verhältnissen
tragen mußte. Hatte Ungarn -- was im Voraus Niemand beurtheilen konnte --
die Kraft, selbstständig zu existiren; hatten die deutschen Demokraten den Einfluß,
die Slaven in den Erbländer mit sich forzureißen, so hatte kein klügelnder Verstand
das Recht, sich dieser Entscheidung zu widersetzen. Die Geschichte will es anders;
es ist Zeit, dieses laut und so scharf als möglich hinzustellen.

Wir aber -- wie Ihre Entscheidung auch ausfallen möge -- wollen in Einem
treulich zusammenhalten, die junge und die alte Generation der Grenzboten: in
der Liebe zur Freiheit, die aber erst dadurch eine Form gewinnt, daß wir Beide die
Herrschaft der Vernunft wollen, nicht die Willkür der Leidenschaft. In diesem
Sinne stehen wir immer als Kampfesgenossen neben einander.


Ihr treuer Freund
Julian Schmidt.

Anmerkung. Indem dieser Brief gedruckt wird, erhalten wir die entsetz¬
lichen Nachrichten aus Wien. So stehen wir denn am Beginn einer zweiten, viel
schrecklicheren Revolution, denn sie beginnt mit Mord und Gemetzel. Das unse¬
lige Schaukelsystem, das man den ernsten Fragen der Zeit gegenüber beobachtet
hat, der Mangel an Offenheit ist zum großen Theil Schuld daran. In so kurzer
Zeit das dritte Verbrechen! Wohin es führen soll, vermag noch Keiner abzusehn;
siegt in Oestreich die rothe Fahne der Anarchie, so ist es sür ganz Deutschland
verhängnisvoll. Wenn auch hier die conservative Partei, aus Mangel an Muth,
verdecktes Spiel spielen will, so gehen wir, wie Frankreich im Jahre 1791, einem
Decennium der Barbarei entgegen, um dann den alten Kampf von Neuem auf¬
nehmen zu müssen. .




Die freie Drganisation der Gemeinden.



Die plötzliche Erhebung des Volks in diesem Jahr hat die Darstellung der
Freiheit im Staatsleben mehr dadurch gefördert, daß sie Hindernisse wegräumte, als
daß sie Neues schuf. Was bis jetzt für die Organisation des Volkslebens in den


ErmzMm. IV. 1"4". 8

unsere Fahne gemeinschaftlich dem Feinde entgegenwehen. Aber lassen Sie den
blutrothen Wimpel! für Oestreich wäre es das Symbol der rothen Republik.

Es sind dies Ansichten, wie ich sie von Anfang der Bewegung an genährt.
Sie werden mir glauben, daß nicht die Rücksicht ans die öffentliche Meinung es
war, die mich bisher gehindert hat, sie entschieden auszusprechen; ich schlage ihr
nach andern Seiten hin stark genug ins Gesicht. Es war theils ein innerer Con¬
flict mit einem eignen Gefühl, theils die Rechnung, die ich den Verhältnissen
tragen mußte. Hatte Ungarn — was im Voraus Niemand beurtheilen konnte —
die Kraft, selbstständig zu existiren; hatten die deutschen Demokraten den Einfluß,
die Slaven in den Erbländer mit sich forzureißen, so hatte kein klügelnder Verstand
das Recht, sich dieser Entscheidung zu widersetzen. Die Geschichte will es anders;
es ist Zeit, dieses laut und so scharf als möglich hinzustellen.

Wir aber — wie Ihre Entscheidung auch ausfallen möge — wollen in Einem
treulich zusammenhalten, die junge und die alte Generation der Grenzboten: in
der Liebe zur Freiheit, die aber erst dadurch eine Form gewinnt, daß wir Beide die
Herrschaft der Vernunft wollen, nicht die Willkür der Leidenschaft. In diesem
Sinne stehen wir immer als Kampfesgenossen neben einander.


Ihr treuer Freund
Julian Schmidt.

Anmerkung. Indem dieser Brief gedruckt wird, erhalten wir die entsetz¬
lichen Nachrichten aus Wien. So stehen wir denn am Beginn einer zweiten, viel
schrecklicheren Revolution, denn sie beginnt mit Mord und Gemetzel. Das unse¬
lige Schaukelsystem, das man den ernsten Fragen der Zeit gegenüber beobachtet
hat, der Mangel an Offenheit ist zum großen Theil Schuld daran. In so kurzer
Zeit das dritte Verbrechen! Wohin es führen soll, vermag noch Keiner abzusehn;
siegt in Oestreich die rothe Fahne der Anarchie, so ist es sür ganz Deutschland
verhängnisvoll. Wenn auch hier die conservative Partei, aus Mangel an Muth,
verdecktes Spiel spielen will, so gehen wir, wie Frankreich im Jahre 1791, einem
Decennium der Barbarei entgegen, um dann den alten Kampf von Neuem auf¬
nehmen zu müssen. .




Die freie Drganisation der Gemeinden.



Die plötzliche Erhebung des Volks in diesem Jahr hat die Darstellung der
Freiheit im Staatsleben mehr dadurch gefördert, daß sie Hindernisse wegräumte, als
daß sie Neues schuf. Was bis jetzt für die Organisation des Volkslebens in den


ErmzMm. IV. 1»4». 8
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/65>, abgerufen am 25.05.2024.