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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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T a g e b u eh.



i.
Portraits aus der preußischen Nationalversammlung.

1. Dierschke. Wenn ich meine Schilderungen mit dem ehrenwerthen Abgeord¬
neten von Ohlau beginne, so ist das nicht mehr als schuldiger Tribut der Dankbar¬
keit. Der künftige Historiker dieser Verfassungs - Vcrcinbarungs - Versammlung wird
ihn kaum bemerken, er wird keine Vorstellung haben von den Verdiensten, die das
ehrenwerthe Mitglied um die Kammer, um die Zuhörer und namentlich um die armen
Journalisten sich erworben hat, die Kmixrv in-U^re aus den Tribunen ausharren müssen
und sich nicht einmal des süßen Vorrechtes zu schlafen erfreuen. Um so dringendere
Pflicht ist es für die letzteren, ihn der Vergessenheit zu entreißen, der er sonst rettungs¬
los anheimfallen würde, da mit dem herzlichen Gelächter auch immer die einzige Wir¬
kung seiner Reden verhallt. --

"Der Abgeordnete Dierschke hat das Wort!" -- Man muß den Verhandlungen
lange beigewohnt, ihre ganze Oede und Langweiligkeit gründlich kennen gelernt haben,
um den Effekt dieser Anzeige des Präsidenten zu begreifen. Jedes Privatgespräch
endet -- lautlose Stille lagert sich, wie aus einen Zauberschlag über der ganzen Men¬
schenmasse im Cäciliensaal. Die Minister und ihre Commissarien legen die Feder nie¬
der und schauen von ihren Arbeiten ans, der Dinge wartend, die da kommen sollen.
Ein Freudenstrahl zuckt über das Antlitz der Literaten -- die Zuschauer auf den Tri¬
bunen drängen sich möglichst vorwärts -- sogar die Damen erheben sich aus ihren
Zchspitzen. Hat etwa ein Vicepräsident den Sitz über dem Rcdnerstuhle inne, so macht
er eiligst dem Präsidenten selber Platz und dieser greift schnell zur Klingel, weil er
weiß, daß er all seiner Kraft und Würde bedürfen wird, um in den nächsten Augenblicken
die Ruhe im Saale aufrecht zu erhalten. Er kennt diese drohende Windstille ans Er¬
fahrung und das Ungewitter, das ihr folgt. --

Endlich erhebt sich ein untersetzter Mann von mittler Größe auf der äußersten
Linken, in einen zimmtsarbenen Phantasiefrack gekleidet. Er hüpft voll Selbstbewußt¬
sein die Stufen der Rednerbühne hinan und sieht sich oben mit kühnen Adlerblicken
um. Er sucht in jedem Gesichte den Eindruck seiner Rede im voraus zu lesen. Kaum
aber steht er oben, so schallt ein donnerndes Gelächter durch den ganzen Saal, das
gar nicht enden will. Man hat sich so lange ennuyirt -- da will man die Frucht von
Dicrschke's Worten anticipiren. Es. ist nur eine Art Vorfreude darüber, oaß man
jetzt lachen können wird. Die Minister suchen vergebens ihre Würde zu wahren. Sie
sehen nach der Decke, nach dem Boden -- Milde deckt Mund und Nase mit seiner
breiten Hand zu, so daß ihm nur von Zeit zu Zeit niesende Töne entfahren. Die
Prästdcutenklingel arbeitet, bis sie neue Risse bekommt. Dierschke schaut entrüstet um
sich -- er blickt zähneknirschend nach der Rechten, verwundert nach seinen Parteigenossen
und benutzt die kurzen Augenblicke, wo man frischen Athem schöpft, um auss Neue
beginnen zu können, der Versammlung zu versichern, er werde sich diesmal nicht wieder
einschüchtern und hernnterjagen lassen, sondern von seinem Rechte Gebrauch machen.--


T a g e b u eh.



i.
Portraits aus der preußischen Nationalversammlung.

1. Dierschke. Wenn ich meine Schilderungen mit dem ehrenwerthen Abgeord¬
neten von Ohlau beginne, so ist das nicht mehr als schuldiger Tribut der Dankbar¬
keit. Der künftige Historiker dieser Verfassungs - Vcrcinbarungs - Versammlung wird
ihn kaum bemerken, er wird keine Vorstellung haben von den Verdiensten, die das
ehrenwerthe Mitglied um die Kammer, um die Zuhörer und namentlich um die armen
Journalisten sich erworben hat, die Kmixrv in-U^re aus den Tribunen ausharren müssen
und sich nicht einmal des süßen Vorrechtes zu schlafen erfreuen. Um so dringendere
Pflicht ist es für die letzteren, ihn der Vergessenheit zu entreißen, der er sonst rettungs¬
los anheimfallen würde, da mit dem herzlichen Gelächter auch immer die einzige Wir¬
kung seiner Reden verhallt. —

„Der Abgeordnete Dierschke hat das Wort!" — Man muß den Verhandlungen
lange beigewohnt, ihre ganze Oede und Langweiligkeit gründlich kennen gelernt haben,
um den Effekt dieser Anzeige des Präsidenten zu begreifen. Jedes Privatgespräch
endet — lautlose Stille lagert sich, wie aus einen Zauberschlag über der ganzen Men¬
schenmasse im Cäciliensaal. Die Minister und ihre Commissarien legen die Feder nie¬
der und schauen von ihren Arbeiten ans, der Dinge wartend, die da kommen sollen.
Ein Freudenstrahl zuckt über das Antlitz der Literaten — die Zuschauer auf den Tri¬
bunen drängen sich möglichst vorwärts — sogar die Damen erheben sich aus ihren
Zchspitzen. Hat etwa ein Vicepräsident den Sitz über dem Rcdnerstuhle inne, so macht
er eiligst dem Präsidenten selber Platz und dieser greift schnell zur Klingel, weil er
weiß, daß er all seiner Kraft und Würde bedürfen wird, um in den nächsten Augenblicken
die Ruhe im Saale aufrecht zu erhalten. Er kennt diese drohende Windstille ans Er¬
fahrung und das Ungewitter, das ihr folgt. —

Endlich erhebt sich ein untersetzter Mann von mittler Größe auf der äußersten
Linken, in einen zimmtsarbenen Phantasiefrack gekleidet. Er hüpft voll Selbstbewußt¬
sein die Stufen der Rednerbühne hinan und sieht sich oben mit kühnen Adlerblicken
um. Er sucht in jedem Gesichte den Eindruck seiner Rede im voraus zu lesen. Kaum
aber steht er oben, so schallt ein donnerndes Gelächter durch den ganzen Saal, das
gar nicht enden will. Man hat sich so lange ennuyirt — da will man die Frucht von
Dicrschke's Worten anticipiren. Es. ist nur eine Art Vorfreude darüber, oaß man
jetzt lachen können wird. Die Minister suchen vergebens ihre Würde zu wahren. Sie
sehen nach der Decke, nach dem Boden — Milde deckt Mund und Nase mit seiner
breiten Hand zu, so daß ihm nur von Zeit zu Zeit niesende Töne entfahren. Die
Prästdcutenklingel arbeitet, bis sie neue Risse bekommt. Dierschke schaut entrüstet um
sich — er blickt zähneknirschend nach der Rechten, verwundert nach seinen Parteigenossen
und benutzt die kurzen Augenblicke, wo man frischen Athem schöpft, um auss Neue
beginnen zu können, der Versammlung zu versichern, er werde sich diesmal nicht wieder
einschüchtern und hernnterjagen lassen, sondern von seinem Rechte Gebrauch machen.—


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[0222] T a g e b u eh. i. Portraits aus der preußischen Nationalversammlung. 1. Dierschke. Wenn ich meine Schilderungen mit dem ehrenwerthen Abgeord¬ neten von Ohlau beginne, so ist das nicht mehr als schuldiger Tribut der Dankbar¬ keit. Der künftige Historiker dieser Verfassungs - Vcrcinbarungs - Versammlung wird ihn kaum bemerken, er wird keine Vorstellung haben von den Verdiensten, die das ehrenwerthe Mitglied um die Kammer, um die Zuhörer und namentlich um die armen Journalisten sich erworben hat, die Kmixrv in-U^re aus den Tribunen ausharren müssen und sich nicht einmal des süßen Vorrechtes zu schlafen erfreuen. Um so dringendere Pflicht ist es für die letzteren, ihn der Vergessenheit zu entreißen, der er sonst rettungs¬ los anheimfallen würde, da mit dem herzlichen Gelächter auch immer die einzige Wir¬ kung seiner Reden verhallt. — „Der Abgeordnete Dierschke hat das Wort!" — Man muß den Verhandlungen lange beigewohnt, ihre ganze Oede und Langweiligkeit gründlich kennen gelernt haben, um den Effekt dieser Anzeige des Präsidenten zu begreifen. Jedes Privatgespräch endet — lautlose Stille lagert sich, wie aus einen Zauberschlag über der ganzen Men¬ schenmasse im Cäciliensaal. Die Minister und ihre Commissarien legen die Feder nie¬ der und schauen von ihren Arbeiten ans, der Dinge wartend, die da kommen sollen. Ein Freudenstrahl zuckt über das Antlitz der Literaten — die Zuschauer auf den Tri¬ bunen drängen sich möglichst vorwärts — sogar die Damen erheben sich aus ihren Zchspitzen. Hat etwa ein Vicepräsident den Sitz über dem Rcdnerstuhle inne, so macht er eiligst dem Präsidenten selber Platz und dieser greift schnell zur Klingel, weil er weiß, daß er all seiner Kraft und Würde bedürfen wird, um in den nächsten Augenblicken die Ruhe im Saale aufrecht zu erhalten. Er kennt diese drohende Windstille ans Er¬ fahrung und das Ungewitter, das ihr folgt. — Endlich erhebt sich ein untersetzter Mann von mittler Größe auf der äußersten Linken, in einen zimmtsarbenen Phantasiefrack gekleidet. Er hüpft voll Selbstbewußt¬ sein die Stufen der Rednerbühne hinan und sieht sich oben mit kühnen Adlerblicken um. Er sucht in jedem Gesichte den Eindruck seiner Rede im voraus zu lesen. Kaum aber steht er oben, so schallt ein donnerndes Gelächter durch den ganzen Saal, das gar nicht enden will. Man hat sich so lange ennuyirt — da will man die Frucht von Dicrschke's Worten anticipiren. Es. ist nur eine Art Vorfreude darüber, oaß man jetzt lachen können wird. Die Minister suchen vergebens ihre Würde zu wahren. Sie sehen nach der Decke, nach dem Boden — Milde deckt Mund und Nase mit seiner breiten Hand zu, so daß ihm nur von Zeit zu Zeit niesende Töne entfahren. Die Prästdcutenklingel arbeitet, bis sie neue Risse bekommt. Dierschke schaut entrüstet um sich — er blickt zähneknirschend nach der Rechten, verwundert nach seinen Parteigenossen und benutzt die kurzen Augenblicke, wo man frischen Athem schöpft, um auss Neue beginnen zu können, der Versammlung zu versichern, er werde sich diesmal nicht wieder einschüchtern und hernnterjagen lassen, sondern von seinem Rechte Gebrauch machen.—

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/222>, abgerufen am 05.05.2024.