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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Eine Berichtigung für die A. A. Zeitung.
Brief an die Grenzboten.

In der Beilage zu Ur. 123 der A. A. Zeitung theilt unter dem Titel: "Aus
dem ungarischen Kriege," ein Korrespondent aus Wien folgende Begebenheit mit, über
die er sich staunend fragt, ob solche Dinge wirklich in unserem Jahrhundert geschehen
konnten, da sie uns wie Sagen aus einer rauhen Vorzeit anklingen, und deren Wahr¬
heit er vollkommen verbürgt: Frau Therese Zwinger, Wittwe eines kaiserlichen Mili¬
tärarztes in der deutschen Grenzstadt Weißkirchen im Banate, wird als Heldin einer
"Episode der Schreckenszeit" vorgeführt. Als nämlich die Ungarn im November 1848
Weißkirchen überfielen, belustigten sie sich znerst mit den "gewöhnlichen Excessen," als da
sind: Zerstörung von Gebäuden, Verheerung von Saaten, Verwüstung von Weingärten,
Einschlagen von Weinfässern n. a. dergl. Dinge, über die der Korrespondent "mit
einiger Fassung die Achseln zuckt." Aber nun folgten andere Gräuel: Die Magyaren
haben bei diesem Ueberfall von Weißkirchen wehrlose menschliche Geschöpfe ohne Unter¬
schied des Alters und des Geschlechts niedergemacht; der Jurist Fenek, ein Anverwand¬
ter der Frau Zwinger, wurde unter die Honveds gesteckt und wegen einiger Einwendun¬
gen dagegen erschossen; Therese, diesjährige Tochter dicserFrau, wurde vor den Augen
der Mutter entehrt bis zum Tode; die jüngere Tochter, Anna, entging zwar dnrch einen
Versteck im Keller diesem Schicksale, wurde aber durch den Eindruck des Geschehenen wahn¬
sinnig; kein deutsches oder romanisches Weib, dessen sie habhaft werden konnten, wurde
verschont. Folgen noch größere Gräuel, deren Wiederholung ich Ihren Lesern ersparen
will. "Da haben Sie," so endigt der Korrespondent der A. A. Z., "einen kleinen Ab¬
riß magyarischer Humanität und ritterlichen Edelmuths, wofür Sympathien in allen
Ländern geworden wurden. Das sind die Schützlinge englischer Politik." --

Dieser Artikel ist eine nichtswürdige Verläumdung meiner Landsleute sowohl als der
braven Deutschen von Weißkirchen, und seine Unwahrheit muß der Redaction der A. A.
Zeitung bekannt gewesen sein, oder dieselbe ist mit der Geschichte der letzten Jahre we¬
niger bekannt, als schicklich ist.

Die deutschen Einwohner von Weißkirchen haben sich während des ungarischen
Krieges für die magyarische Sache und gegen eine große Uebermacht mit einer solchen
Bravour geschlagen, daß man vor dem großen Feldzuge des Frühlings 1849 in ganz
Ungarn keine hcldcnmüthigcrcn und begeisterteren Freiheitskämpfer als die deutschen
Bürger von Weißkirchen und die bürgerliche Artillerieabteilung von Arad kannte. In
den Monaten Juli und August 1848 waren die Wcißkirchner von allen Seiten von
raitzischen Horden umringt; mehr als zehnmal versuchten diese sich der heldenmüthigen
Stadt durch Sturm zu bemächtigen, wurden aber immer von der deutschen National¬
garde (in Weißkirchen wohnen gar keine Magyaren), die sich selbst überlassen war, da ihr
Commandant, Obristlieutcuant Drcihahn, zu den Oestreichern überging, mit großen Ver¬
lusten zurückgeschlagen. Diese Thatsache ist so allgemein bekannt, daß sie jeder östreichische
Zeitungsleser kennen muß, daß sie in jeder Broschüre über die jüngsten Ereignisse in Ungarn


Eine Berichtigung für die A. A. Zeitung.
Brief an die Grenzboten.

In der Beilage zu Ur. 123 der A. A. Zeitung theilt unter dem Titel: „Aus
dem ungarischen Kriege," ein Korrespondent aus Wien folgende Begebenheit mit, über
die er sich staunend fragt, ob solche Dinge wirklich in unserem Jahrhundert geschehen
konnten, da sie uns wie Sagen aus einer rauhen Vorzeit anklingen, und deren Wahr¬
heit er vollkommen verbürgt: Frau Therese Zwinger, Wittwe eines kaiserlichen Mili¬
tärarztes in der deutschen Grenzstadt Weißkirchen im Banate, wird als Heldin einer
„Episode der Schreckenszeit" vorgeführt. Als nämlich die Ungarn im November 1848
Weißkirchen überfielen, belustigten sie sich znerst mit den „gewöhnlichen Excessen," als da
sind: Zerstörung von Gebäuden, Verheerung von Saaten, Verwüstung von Weingärten,
Einschlagen von Weinfässern n. a. dergl. Dinge, über die der Korrespondent „mit
einiger Fassung die Achseln zuckt." Aber nun folgten andere Gräuel: Die Magyaren
haben bei diesem Ueberfall von Weißkirchen wehrlose menschliche Geschöpfe ohne Unter¬
schied des Alters und des Geschlechts niedergemacht; der Jurist Fenek, ein Anverwand¬
ter der Frau Zwinger, wurde unter die Honveds gesteckt und wegen einiger Einwendun¬
gen dagegen erschossen; Therese, diesjährige Tochter dicserFrau, wurde vor den Augen
der Mutter entehrt bis zum Tode; die jüngere Tochter, Anna, entging zwar dnrch einen
Versteck im Keller diesem Schicksale, wurde aber durch den Eindruck des Geschehenen wahn¬
sinnig; kein deutsches oder romanisches Weib, dessen sie habhaft werden konnten, wurde
verschont. Folgen noch größere Gräuel, deren Wiederholung ich Ihren Lesern ersparen
will. „Da haben Sie," so endigt der Korrespondent der A. A. Z., „einen kleinen Ab¬
riß magyarischer Humanität und ritterlichen Edelmuths, wofür Sympathien in allen
Ländern geworden wurden. Das sind die Schützlinge englischer Politik." —

Dieser Artikel ist eine nichtswürdige Verläumdung meiner Landsleute sowohl als der
braven Deutschen von Weißkirchen, und seine Unwahrheit muß der Redaction der A. A.
Zeitung bekannt gewesen sein, oder dieselbe ist mit der Geschichte der letzten Jahre we¬
niger bekannt, als schicklich ist.

Die deutschen Einwohner von Weißkirchen haben sich während des ungarischen
Krieges für die magyarische Sache und gegen eine große Uebermacht mit einer solchen
Bravour geschlagen, daß man vor dem großen Feldzuge des Frühlings 1849 in ganz
Ungarn keine hcldcnmüthigcrcn und begeisterteren Freiheitskämpfer als die deutschen
Bürger von Weißkirchen und die bürgerliche Artillerieabteilung von Arad kannte. In
den Monaten Juli und August 1848 waren die Wcißkirchner von allen Seiten von
raitzischen Horden umringt; mehr als zehnmal versuchten diese sich der heldenmüthigen
Stadt durch Sturm zu bemächtigen, wurden aber immer von der deutschen National¬
garde (in Weißkirchen wohnen gar keine Magyaren), die sich selbst überlassen war, da ihr
Commandant, Obristlieutcuant Drcihahn, zu den Oestreichern überging, mit großen Ver¬
lusten zurückgeschlagen. Diese Thatsache ist so allgemein bekannt, daß sie jeder östreichische
Zeitungsleser kennen muß, daß sie in jeder Broschüre über die jüngsten Ereignisse in Ungarn


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[0278] Eine Berichtigung für die A. A. Zeitung. Brief an die Grenzboten. In der Beilage zu Ur. 123 der A. A. Zeitung theilt unter dem Titel: „Aus dem ungarischen Kriege," ein Korrespondent aus Wien folgende Begebenheit mit, über die er sich staunend fragt, ob solche Dinge wirklich in unserem Jahrhundert geschehen konnten, da sie uns wie Sagen aus einer rauhen Vorzeit anklingen, und deren Wahr¬ heit er vollkommen verbürgt: Frau Therese Zwinger, Wittwe eines kaiserlichen Mili¬ tärarztes in der deutschen Grenzstadt Weißkirchen im Banate, wird als Heldin einer „Episode der Schreckenszeit" vorgeführt. Als nämlich die Ungarn im November 1848 Weißkirchen überfielen, belustigten sie sich znerst mit den „gewöhnlichen Excessen," als da sind: Zerstörung von Gebäuden, Verheerung von Saaten, Verwüstung von Weingärten, Einschlagen von Weinfässern n. a. dergl. Dinge, über die der Korrespondent „mit einiger Fassung die Achseln zuckt." Aber nun folgten andere Gräuel: Die Magyaren haben bei diesem Ueberfall von Weißkirchen wehrlose menschliche Geschöpfe ohne Unter¬ schied des Alters und des Geschlechts niedergemacht; der Jurist Fenek, ein Anverwand¬ ter der Frau Zwinger, wurde unter die Honveds gesteckt und wegen einiger Einwendun¬ gen dagegen erschossen; Therese, diesjährige Tochter dicserFrau, wurde vor den Augen der Mutter entehrt bis zum Tode; die jüngere Tochter, Anna, entging zwar dnrch einen Versteck im Keller diesem Schicksale, wurde aber durch den Eindruck des Geschehenen wahn¬ sinnig; kein deutsches oder romanisches Weib, dessen sie habhaft werden konnten, wurde verschont. Folgen noch größere Gräuel, deren Wiederholung ich Ihren Lesern ersparen will. „Da haben Sie," so endigt der Korrespondent der A. A. Z., „einen kleinen Ab¬ riß magyarischer Humanität und ritterlichen Edelmuths, wofür Sympathien in allen Ländern geworden wurden. Das sind die Schützlinge englischer Politik." — Dieser Artikel ist eine nichtswürdige Verläumdung meiner Landsleute sowohl als der braven Deutschen von Weißkirchen, und seine Unwahrheit muß der Redaction der A. A. Zeitung bekannt gewesen sein, oder dieselbe ist mit der Geschichte der letzten Jahre we¬ niger bekannt, als schicklich ist. Die deutschen Einwohner von Weißkirchen haben sich während des ungarischen Krieges für die magyarische Sache und gegen eine große Uebermacht mit einer solchen Bravour geschlagen, daß man vor dem großen Feldzuge des Frühlings 1849 in ganz Ungarn keine hcldcnmüthigcrcn und begeisterteren Freiheitskämpfer als die deutschen Bürger von Weißkirchen und die bürgerliche Artillerieabteilung von Arad kannte. In den Monaten Juli und August 1848 waren die Wcißkirchner von allen Seiten von raitzischen Horden umringt; mehr als zehnmal versuchten diese sich der heldenmüthigen Stadt durch Sturm zu bemächtigen, wurden aber immer von der deutschen National¬ garde (in Weißkirchen wohnen gar keine Magyaren), die sich selbst überlassen war, da ihr Commandant, Obristlieutcuant Drcihahn, zu den Oestreichern überging, mit großen Ver¬ lusten zurückgeschlagen. Diese Thatsache ist so allgemein bekannt, daß sie jeder östreichische Zeitungsleser kennen muß, daß sie in jeder Broschüre über die jüngsten Ereignisse in Ungarn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/278>, abgerufen am 06.05.2024.