Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zu finden sein wird. Ich will hier nnr ein Werkchen anführen, welches im Jahre 1849
in Pesth unter Haynau's Censur erschienen ist, und dessen Loyalität dem Corresponden-
ten der A. A. Z. genügen wird. In diesem Buche: "Die magyarische Revolution von
einem Augenzeugen" heißt es S. 30: "Obrist Lenkei griff am zweiten August eine
Schaar Ranzen, welche Weißkirchen bedrohte, °in dem benachbarten Lobkawalde lebhast
an und trieb sie in die Flucht, zog sich aber mit seiner Mannschaft am vierten August
abermals nach Werschez zurück." Seite 31 : "Ferner war Weißkirchen ohne militärische
Besatzung, da sich Obrist Lenkei, wie früher erwähnt, nach Werschez zurückgezogen hatte,
und die Bewohner des Ortes mußten sich allein gegen die mit den Grenzern vereinigten'
Serben schlagen. Schon waren letztere in Weißkirchen eingedrungen, schon brannte die
Stadt an mehreren Punkten, als ein Paar Compagnien Linienmilitär erschienen und den
Feind in die Flucht trieben. Auch ein zweiter Angriff auf Weißkirchen wurde abgeschla¬
gen, dagegen nahmen die Serben, denen sich die Walachen anschlössen, Moldowa <eben¬
falls eine patriotische deutsche Stadt) und verwandelten es in einen Schutthaufen."
Seite 33: "Der Sturm, welcher am 30. August von Umgend auf Weißkirchen unter¬
nommen wurde, mißlang zwar, das neunte Honvcdbataillon und eine Abtheilung von
Bukowiuer Infanterie trieben den Feind mit gefälltem Bayonette zurück, aber die glü¬
henden Kugeln, mit welchen die Stadt beschossen wurde, verursachten große Verwüstungen
u. f. w.

Ist es nun nicht abgeschmackt, zu glauben, daß das ungarische Heer gegen seine
eigenen Bundesgenossen, die alle Kriegsplagen und alle Gefahren freudig trugen, und
ihr Herzblut für das Vaterland opferten, mit kanibalischer Grausamkeit gewüthet
habe? Daß man aber seine treusten Bundesgenossen nicht zu "überfallen" pflegt, wird
selbst die A. Allg. Zeit, nicht läugnen wollen.

Allein jene Erzählung ist nicht nur höchst unwahrscheinlich, sie ist auch ganz un¬
möglich, denn die Ungarn sind vom Angust 1848 bis zu den ersten Tagen des Januar
1840, vereinigt mit den deutschen Einwohnern von Weißkirchen, ununterbrochen im Besitz
dieser Stadt gewesen. Nach dem Siege von Kiß bei Pcrlaß wurden die Serben an dem
linken Theißnser bis nach Pantschowa gedrängt, und erst in den ersten Tagen des Jahres
1840, wo die Ungarn wegen dem Anrücken von Windischgrätz genöthigt wäre", viele
der südlichen Truppen nach der obern Theiß zu beordern, griffen die Serben unter
Knieanin die schwachen magyarischen Besatzungen im Banate a" und diese wurden ganz
aus der Militärgrenze verdrängt. Auch Weißkirchen fiel in die Hände der Ranzen, welche
in der feindlichen Stadt furchtbar hausten.

Wenn also das traurige Schicksal der Frau Jwingcr und ihrer Töchter Wahrheit
ist, und nicht ebenso eine lügenhafte Erfindung, wie die Rolle, welche den Magyaren
dabei angedichtet worden ist, so müßten leider anch hier Ranzen, d. h. kaiserliche Trup¬
pen, die Ungeheuer gewesen sein, welche jene Verbrechen begingen. -- Lügen ist gemein,
Ein Ungar. aber so ungeschickt lügen ist tölpelhaft.




zu finden sein wird. Ich will hier nnr ein Werkchen anführen, welches im Jahre 1849
in Pesth unter Haynau's Censur erschienen ist, und dessen Loyalität dem Corresponden-
ten der A. A. Z. genügen wird. In diesem Buche: „Die magyarische Revolution von
einem Augenzeugen" heißt es S. 30: „Obrist Lenkei griff am zweiten August eine
Schaar Ranzen, welche Weißkirchen bedrohte, °in dem benachbarten Lobkawalde lebhast
an und trieb sie in die Flucht, zog sich aber mit seiner Mannschaft am vierten August
abermals nach Werschez zurück." Seite 31 : „Ferner war Weißkirchen ohne militärische
Besatzung, da sich Obrist Lenkei, wie früher erwähnt, nach Werschez zurückgezogen hatte,
und die Bewohner des Ortes mußten sich allein gegen die mit den Grenzern vereinigten'
Serben schlagen. Schon waren letztere in Weißkirchen eingedrungen, schon brannte die
Stadt an mehreren Punkten, als ein Paar Compagnien Linienmilitär erschienen und den
Feind in die Flucht trieben. Auch ein zweiter Angriff auf Weißkirchen wurde abgeschla¬
gen, dagegen nahmen die Serben, denen sich die Walachen anschlössen, Moldowa <eben¬
falls eine patriotische deutsche Stadt) und verwandelten es in einen Schutthaufen."
Seite 33: „Der Sturm, welcher am 30. August von Umgend auf Weißkirchen unter¬
nommen wurde, mißlang zwar, das neunte Honvcdbataillon und eine Abtheilung von
Bukowiuer Infanterie trieben den Feind mit gefälltem Bayonette zurück, aber die glü¬
henden Kugeln, mit welchen die Stadt beschossen wurde, verursachten große Verwüstungen
u. f. w.

Ist es nun nicht abgeschmackt, zu glauben, daß das ungarische Heer gegen seine
eigenen Bundesgenossen, die alle Kriegsplagen und alle Gefahren freudig trugen, und
ihr Herzblut für das Vaterland opferten, mit kanibalischer Grausamkeit gewüthet
habe? Daß man aber seine treusten Bundesgenossen nicht zu „überfallen" pflegt, wird
selbst die A. Allg. Zeit, nicht läugnen wollen.

Allein jene Erzählung ist nicht nur höchst unwahrscheinlich, sie ist auch ganz un¬
möglich, denn die Ungarn sind vom Angust 1848 bis zu den ersten Tagen des Januar
1840, vereinigt mit den deutschen Einwohnern von Weißkirchen, ununterbrochen im Besitz
dieser Stadt gewesen. Nach dem Siege von Kiß bei Pcrlaß wurden die Serben an dem
linken Theißnser bis nach Pantschowa gedrängt, und erst in den ersten Tagen des Jahres
1840, wo die Ungarn wegen dem Anrücken von Windischgrätz genöthigt wäre», viele
der südlichen Truppen nach der obern Theiß zu beordern, griffen die Serben unter
Knieanin die schwachen magyarischen Besatzungen im Banate a» und diese wurden ganz
aus der Militärgrenze verdrängt. Auch Weißkirchen fiel in die Hände der Ranzen, welche
in der feindlichen Stadt furchtbar hausten.

Wenn also das traurige Schicksal der Frau Jwingcr und ihrer Töchter Wahrheit
ist, und nicht ebenso eine lügenhafte Erfindung, wie die Rolle, welche den Magyaren
dabei angedichtet worden ist, so müßten leider anch hier Ranzen, d. h. kaiserliche Trup¬
pen, die Ungeheuer gewesen sein, welche jene Verbrechen begingen. — Lügen ist gemein,
Ein Ungar. aber so ungeschickt lügen ist tölpelhaft.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0279" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185616"/>
            <p xml:id="ID_988" prev="#ID_987"> zu finden sein wird. Ich will hier nnr ein Werkchen anführen, welches im Jahre 1849<lb/>
in Pesth unter Haynau's Censur erschienen ist, und dessen Loyalität dem Corresponden-<lb/>
ten der A. A. Z. genügen wird. In diesem Buche: &#x201E;Die magyarische Revolution von<lb/>
einem Augenzeugen" heißt es S. 30: &#x201E;Obrist Lenkei griff am zweiten August eine<lb/>
Schaar Ranzen, welche Weißkirchen bedrohte, °in dem benachbarten Lobkawalde lebhast<lb/>
an und trieb sie in die Flucht, zog sich aber mit seiner Mannschaft am vierten August<lb/>
abermals nach Werschez zurück." Seite 31 : &#x201E;Ferner war Weißkirchen ohne militärische<lb/>
Besatzung, da sich Obrist Lenkei, wie früher erwähnt, nach Werschez zurückgezogen hatte,<lb/>
und die Bewohner des Ortes mußten sich allein gegen die mit den Grenzern vereinigten'<lb/>
Serben schlagen. Schon waren letztere in Weißkirchen eingedrungen, schon brannte die<lb/>
Stadt an mehreren Punkten, als ein Paar Compagnien Linienmilitär erschienen und den<lb/>
Feind in die Flucht trieben. Auch ein zweiter Angriff auf Weißkirchen wurde abgeschla¬<lb/>
gen, dagegen nahmen die Serben, denen sich die Walachen anschlössen, Moldowa &lt;eben¬<lb/>
falls eine patriotische deutsche Stadt) und verwandelten es in einen Schutthaufen."<lb/>
Seite 33: &#x201E;Der Sturm, welcher am 30. August von Umgend auf Weißkirchen unter¬<lb/>
nommen wurde, mißlang zwar, das neunte Honvcdbataillon und eine Abtheilung von<lb/>
Bukowiuer Infanterie trieben den Feind mit gefälltem Bayonette zurück, aber die glü¬<lb/>
henden Kugeln, mit welchen die Stadt beschossen wurde, verursachten große Verwüstungen<lb/>
u. f. w.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_989"> Ist es nun nicht abgeschmackt, zu glauben, daß das ungarische Heer gegen seine<lb/>
eigenen Bundesgenossen, die alle Kriegsplagen und alle Gefahren freudig trugen, und<lb/>
ihr Herzblut für das Vaterland opferten, mit kanibalischer Grausamkeit gewüthet<lb/>
habe? Daß man aber seine treusten Bundesgenossen nicht zu &#x201E;überfallen" pflegt, wird<lb/>
selbst die A. Allg. Zeit, nicht läugnen wollen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_990"> Allein jene Erzählung ist nicht nur höchst unwahrscheinlich, sie ist auch ganz un¬<lb/>
möglich, denn die Ungarn sind vom Angust 1848 bis zu den ersten Tagen des Januar<lb/>
1840, vereinigt mit den deutschen Einwohnern von Weißkirchen, ununterbrochen im Besitz<lb/>
dieser Stadt gewesen. Nach dem Siege von Kiß bei Pcrlaß wurden die Serben an dem<lb/>
linken Theißnser bis nach Pantschowa gedrängt, und erst in den ersten Tagen des Jahres<lb/>
1840, wo die Ungarn wegen dem Anrücken von Windischgrätz genöthigt wäre», viele<lb/>
der südlichen Truppen nach der obern Theiß zu beordern, griffen die Serben unter<lb/>
Knieanin die schwachen magyarischen Besatzungen im Banate a» und diese wurden ganz<lb/>
aus der Militärgrenze verdrängt. Auch Weißkirchen fiel in die Hände der Ranzen, welche<lb/>
in der feindlichen Stadt furchtbar hausten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_991"> Wenn also das traurige Schicksal der Frau Jwingcr und ihrer Töchter Wahrheit<lb/>
ist, und nicht ebenso eine lügenhafte Erfindung, wie die Rolle, welche den Magyaren<lb/>
dabei angedichtet worden ist, so müßten leider anch hier Ranzen, d. h. kaiserliche Trup¬<lb/>
pen, die Ungeheuer gewesen sein, welche jene Verbrechen begingen. &#x2014; Lügen ist gemein,<lb/><note type="byline"> Ein Ungar.</note> aber so ungeschickt lügen ist tölpelhaft. </p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0279] zu finden sein wird. Ich will hier nnr ein Werkchen anführen, welches im Jahre 1849 in Pesth unter Haynau's Censur erschienen ist, und dessen Loyalität dem Corresponden- ten der A. A. Z. genügen wird. In diesem Buche: „Die magyarische Revolution von einem Augenzeugen" heißt es S. 30: „Obrist Lenkei griff am zweiten August eine Schaar Ranzen, welche Weißkirchen bedrohte, °in dem benachbarten Lobkawalde lebhast an und trieb sie in die Flucht, zog sich aber mit seiner Mannschaft am vierten August abermals nach Werschez zurück." Seite 31 : „Ferner war Weißkirchen ohne militärische Besatzung, da sich Obrist Lenkei, wie früher erwähnt, nach Werschez zurückgezogen hatte, und die Bewohner des Ortes mußten sich allein gegen die mit den Grenzern vereinigten' Serben schlagen. Schon waren letztere in Weißkirchen eingedrungen, schon brannte die Stadt an mehreren Punkten, als ein Paar Compagnien Linienmilitär erschienen und den Feind in die Flucht trieben. Auch ein zweiter Angriff auf Weißkirchen wurde abgeschla¬ gen, dagegen nahmen die Serben, denen sich die Walachen anschlössen, Moldowa <eben¬ falls eine patriotische deutsche Stadt) und verwandelten es in einen Schutthaufen." Seite 33: „Der Sturm, welcher am 30. August von Umgend auf Weißkirchen unter¬ nommen wurde, mißlang zwar, das neunte Honvcdbataillon und eine Abtheilung von Bukowiuer Infanterie trieben den Feind mit gefälltem Bayonette zurück, aber die glü¬ henden Kugeln, mit welchen die Stadt beschossen wurde, verursachten große Verwüstungen u. f. w. Ist es nun nicht abgeschmackt, zu glauben, daß das ungarische Heer gegen seine eigenen Bundesgenossen, die alle Kriegsplagen und alle Gefahren freudig trugen, und ihr Herzblut für das Vaterland opferten, mit kanibalischer Grausamkeit gewüthet habe? Daß man aber seine treusten Bundesgenossen nicht zu „überfallen" pflegt, wird selbst die A. Allg. Zeit, nicht läugnen wollen. Allein jene Erzählung ist nicht nur höchst unwahrscheinlich, sie ist auch ganz un¬ möglich, denn die Ungarn sind vom Angust 1848 bis zu den ersten Tagen des Januar 1840, vereinigt mit den deutschen Einwohnern von Weißkirchen, ununterbrochen im Besitz dieser Stadt gewesen. Nach dem Siege von Kiß bei Pcrlaß wurden die Serben an dem linken Theißnser bis nach Pantschowa gedrängt, und erst in den ersten Tagen des Jahres 1840, wo die Ungarn wegen dem Anrücken von Windischgrätz genöthigt wäre», viele der südlichen Truppen nach der obern Theiß zu beordern, griffen die Serben unter Knieanin die schwachen magyarischen Besatzungen im Banate a» und diese wurden ganz aus der Militärgrenze verdrängt. Auch Weißkirchen fiel in die Hände der Ranzen, welche in der feindlichen Stadt furchtbar hausten. Wenn also das traurige Schicksal der Frau Jwingcr und ihrer Töchter Wahrheit ist, und nicht ebenso eine lügenhafte Erfindung, wie die Rolle, welche den Magyaren dabei angedichtet worden ist, so müßten leider anch hier Ranzen, d. h. kaiserliche Trup¬ pen, die Ungeheuer gewesen sein, welche jene Verbrechen begingen. — Lügen ist gemein, Ein Ungar. aber so ungeschickt lügen ist tölpelhaft.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/279
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/279>, abgerufen am 19.05.2024.