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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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zeitung eine andere vorgeschlagen: die Herausgabe einer Zeitung nur gegen eine
Concession von Seite" der Negierung oder nur dann zu erlauben, wenn sich ein
Deputirter als Redacteur zeichnet. Was das Blatt für den Angenblick damit
will -- wo die ganze demokratische Partei sich von der Kammer ausgeschlossen
hat -- ist leicht zu übersehen; dagegen verdienen die allgemeinen Gnuide, weil
sie ans einem weit verbreiteten Vorurtheil beruhen, eine nähere Erwägung.

Es heißt nämlich, sowohl die Deputaten als die Presse sollen mir insoweit
berechtigt sein, als sie Vertreter einer bestimmten, factischen Partei find.

Ich halte vielmehr dafür, daß jeder Deputate, der nur als Vertreter einer
Partei eintritt, den wahren Beruf eines Volksvertreters verfehlt. Von der Presse
gilt das noch in viel höherm Grade. -- Freilich wird jeder Abgeordnete, wird
jedes Blatt, sich über jede politische Frage eine bestimmte Meinung gebildet haben
müssen und insofern einer Partei angehören. Aber das völlige Aufgehen in eine
Partei -- die doch immer nur nach einem ganz speciellen Gesichtspunkt constituirt
ist, zeigt einen krankhaften Zustand der öffentlichen Verhältnisse an. -- Sie bringt
im Parlament dasjenige hervor, was man mit Recht am constitutionellen Leben
tadelt, waS aber keineswegs nothwendig dazu gehört: Tyrannei der Majorität
über die Minorität. In der Presse unterdrückt sie jede freie Forschung und jede
eigenthümliche Anschauung und gibt die geistige Fortbildung der Nation in die
Hände der Massen. Partciblatter, die nichts sind als das, thun nichts zur För¬
derung der Cultur und wirken schädlich, weil sie die Einseitigkeit firiren.

Wir kommen ans diesen Punkt in Beziehung ans unser eignes Blatt noch
einmal zurück.




Ka ri Gutzkow.



Vor- und N a es in ä r z l i es e s ^).

In dieser kleinen Sammlung ist Einiges erfreulich. Gutzkow hat die An¬
sprache, die er im März 1858 an die Berliner gehalten hat, wieder abdrucken
lasseir: ein sehr anerkennenswerther Muth, da ihm jene Rede, die entschieden
demokratisch gehalten ist, jetzt nnr zum Schaden gereichen kann. So ist es aber
recht; man soll seine Vergangenheit nicht verläugnen; man soll sich eines Rausches
nicht schämen, der trotz seiner Thorheiren manches Schöne hatte, nicht schämen
eines Augenblicks erhöhter Stimmung in der grenzenlosen Nüchternheit, die unsere
Seelen jetzt wieder befangen halt. -- Ebenso erfreulich ist der Schlnßaufsatz, in
welchem er sehr ernst der Blasirtheit entgegentritt, die, weil sie selber erschöpft ist,
auch in der Welt nichts sieht als abgelebte Greise. Wir freuen uns, daß Gutzkow
so viel Jugend bewahrt hat, um den Kampf für die Freiheit fortzusetzen.



Vermischte Schriften. Bd. 4. Leipzig, BvockhauS.

zeitung eine andere vorgeschlagen: die Herausgabe einer Zeitung nur gegen eine
Concession von Seite» der Negierung oder nur dann zu erlauben, wenn sich ein
Deputirter als Redacteur zeichnet. Was das Blatt für den Angenblick damit
will — wo die ganze demokratische Partei sich von der Kammer ausgeschlossen
hat — ist leicht zu übersehen; dagegen verdienen die allgemeinen Gnuide, weil
sie ans einem weit verbreiteten Vorurtheil beruhen, eine nähere Erwägung.

Es heißt nämlich, sowohl die Deputaten als die Presse sollen mir insoweit
berechtigt sein, als sie Vertreter einer bestimmten, factischen Partei find.

Ich halte vielmehr dafür, daß jeder Deputate, der nur als Vertreter einer
Partei eintritt, den wahren Beruf eines Volksvertreters verfehlt. Von der Presse
gilt das noch in viel höherm Grade. — Freilich wird jeder Abgeordnete, wird
jedes Blatt, sich über jede politische Frage eine bestimmte Meinung gebildet haben
müssen und insofern einer Partei angehören. Aber das völlige Aufgehen in eine
Partei — die doch immer nur nach einem ganz speciellen Gesichtspunkt constituirt
ist, zeigt einen krankhaften Zustand der öffentlichen Verhältnisse an. — Sie bringt
im Parlament dasjenige hervor, was man mit Recht am constitutionellen Leben
tadelt, waS aber keineswegs nothwendig dazu gehört: Tyrannei der Majorität
über die Minorität. In der Presse unterdrückt sie jede freie Forschung und jede
eigenthümliche Anschauung und gibt die geistige Fortbildung der Nation in die
Hände der Massen. Partciblatter, die nichts sind als das, thun nichts zur För¬
derung der Cultur und wirken schädlich, weil sie die Einseitigkeit firiren.

Wir kommen ans diesen Punkt in Beziehung ans unser eignes Blatt noch
einmal zurück.




Ka ri Gutzkow.



Vor- und N a es in ä r z l i es e s ^).

In dieser kleinen Sammlung ist Einiges erfreulich. Gutzkow hat die An¬
sprache, die er im März 1858 an die Berliner gehalten hat, wieder abdrucken
lasseir: ein sehr anerkennenswerther Muth, da ihm jene Rede, die entschieden
demokratisch gehalten ist, jetzt nnr zum Schaden gereichen kann. So ist es aber
recht; man soll seine Vergangenheit nicht verläugnen; man soll sich eines Rausches
nicht schämen, der trotz seiner Thorheiren manches Schöne hatte, nicht schämen
eines Augenblicks erhöhter Stimmung in der grenzenlosen Nüchternheit, die unsere
Seelen jetzt wieder befangen halt. — Ebenso erfreulich ist der Schlnßaufsatz, in
welchem er sehr ernst der Blasirtheit entgegentritt, die, weil sie selber erschöpft ist,
auch in der Welt nichts sieht als abgelebte Greise. Wir freuen uns, daß Gutzkow
so viel Jugend bewahrt hat, um den Kampf für die Freiheit fortzusetzen.



Vermischte Schriften. Bd. 4. Leipzig, BvockhauS.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/414>, abgerufen am 06.05.2024.