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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Aber dieser Kampf ist kein dio.ß. äilßerlicher. Er muß vor Allem geführt
werden gegen die eigene Unfreiheit, und Niemand hat so viel Veranlassung zu
einer ernsthaften Selbstkritik, als das junge Deutschland. Um frei zu werden,
muß man zuerst wahr und bestimmt sein. Wenn aber Gustow in jenem Aussah
sagt: "Eine Reaction gibt es, die gerechtfertigt und natürlich ist. Es ist dies
die Reaction der im Kreise, aber auswärts gehenden Spirallinie. Jedes ausge¬
tretene Wasser kehrt naturgemäß in sein Bett zurück" n. s. w.: so ist das
eine echt jungdeutsche Phrase, bei der man sich so viel und so wenig denken
kann, als mau gerade Lust hat. -- Das Streben, pikante Redensarten zu er¬
finden, ohne Rücksicht ans den Sinn, den man dadurch ausdrücken will, ein
Streben, welches Gutzkow's sänmltliche poetische Werke für einen Gebildeten ungenie߬
bar macht, besteht noch in der alten Starke. Ein Freund vou mir hatte eine
Blumenlese aus Gustow angefertigt, eine zahlreiche Sammluug vou Phrasen,
die ans dein Streben, recht geistreich zu sei", in den vollständigsten Unsinn verfallen
waren. Nun ist in dieser Sammlung ein kleines Drama: Esther, Geschichte einer
geistreichen Frau, die sich durch das Uebermaß an Geist und Herz verleiten läßt,
die Maitresse des Fürsten zu werdeu. Ich blättere darin, und finde i>. 8, wie
ein Premierminister zu einem Collegen sagt: "Ihr Schwiegervater, Banquier
von Israel, wird die Lieferungen für die Armee behalte". Sagen Sie ihm, !pas
Land erwarte dafür von ihm, daß er bessere Goldmünzen schlägt (??) als die er
bisher in die Staatskasse lieferte. Auch Münzen') müssen doch erst geboren
werden, ehe man sie schon beschneidet." Was in aller Welt soll das heißen?
Es ist wohl eine Anspielung auf die Beschneidung der Juden, aber was ist da
für ein Zusammenhang? -- Gleich daraus i>. 10 der Minister zu einem Cabinctö-
secretär: "Hat Ihnen der Herzog anch erlaubt, seine Ehre zu zerzupfen,
um sie als Eharpie auf die Wunde seiner Leidenschaften zu legen?" Die
Ehre zerzupfen, gut; -- aber die zerzupfte, d. h. Verlorne Ehre, als Trost für
unbefriedigte Leidenschaft zu gebrauchen, da Hort doch aller Menschenverstand auf. --
p. 26. Ein Gehennratl) zum Fürsten: "Daß meine Frau sterben würde,
roch ich vierzehn Tage vorher in der Luft." Und der Fürst antwortet gleich
darauf: "Mensch, du verstehst es, jene schwindelnden Brücken zu bauen, die
Tugend und Verbrechen zusammenführen. Nimm dich in Acht, daß du die Leiter,
mit der dn heimlich in deu Himmel steigen willst, an der rechten Stelle an¬
setzest, damit sie nicht fällt und dich zerschmettert! Was rathen Sie zu nächst?"
Gleich darauf der Fürst zu seineu versammelten Geheimräthen: "Lo'thet doch in
die Jkarusflügel, die mich zu deu Wolken tragen sollen, nicht das Blei eurer
nüchternen Erwägungen, die mich wieder zur Erde herabziehen sollen!" -- Soll
diese Sprache schon sein, oder sott sie die Hossprache abconterfeien? -- Diesem



Der gesperrte Druck im Tert.

Aber dieser Kampf ist kein dio.ß. äilßerlicher. Er muß vor Allem geführt
werden gegen die eigene Unfreiheit, und Niemand hat so viel Veranlassung zu
einer ernsthaften Selbstkritik, als das junge Deutschland. Um frei zu werden,
muß man zuerst wahr und bestimmt sein. Wenn aber Gustow in jenem Aussah
sagt: „Eine Reaction gibt es, die gerechtfertigt und natürlich ist. Es ist dies
die Reaction der im Kreise, aber auswärts gehenden Spirallinie. Jedes ausge¬
tretene Wasser kehrt naturgemäß in sein Bett zurück" n. s. w.: so ist das
eine echt jungdeutsche Phrase, bei der man sich so viel und so wenig denken
kann, als mau gerade Lust hat. — Das Streben, pikante Redensarten zu er¬
finden, ohne Rücksicht ans den Sinn, den man dadurch ausdrücken will, ein
Streben, welches Gutzkow's sänmltliche poetische Werke für einen Gebildeten ungenie߬
bar macht, besteht noch in der alten Starke. Ein Freund vou mir hatte eine
Blumenlese aus Gustow angefertigt, eine zahlreiche Sammluug vou Phrasen,
die ans dein Streben, recht geistreich zu sei», in den vollständigsten Unsinn verfallen
waren. Nun ist in dieser Sammlung ein kleines Drama: Esther, Geschichte einer
geistreichen Frau, die sich durch das Uebermaß an Geist und Herz verleiten läßt,
die Maitresse des Fürsten zu werdeu. Ich blättere darin, und finde i>. 8, wie
ein Premierminister zu einem Collegen sagt: „Ihr Schwiegervater, Banquier
von Israel, wird die Lieferungen für die Armee behalte». Sagen Sie ihm, !pas
Land erwarte dafür von ihm, daß er bessere Goldmünzen schlägt (??) als die er
bisher in die Staatskasse lieferte. Auch Münzen') müssen doch erst geboren
werden, ehe man sie schon beschneidet." Was in aller Welt soll das heißen?
Es ist wohl eine Anspielung auf die Beschneidung der Juden, aber was ist da
für ein Zusammenhang? — Gleich daraus i>. 10 der Minister zu einem Cabinctö-
secretär: „Hat Ihnen der Herzog anch erlaubt, seine Ehre zu zerzupfen,
um sie als Eharpie auf die Wunde seiner Leidenschaften zu legen?" Die
Ehre zerzupfen, gut; — aber die zerzupfte, d. h. Verlorne Ehre, als Trost für
unbefriedigte Leidenschaft zu gebrauchen, da Hort doch aller Menschenverstand auf. —
p. 26. Ein Gehennratl) zum Fürsten: „Daß meine Frau sterben würde,
roch ich vierzehn Tage vorher in der Luft." Und der Fürst antwortet gleich
darauf: „Mensch, du verstehst es, jene schwindelnden Brücken zu bauen, die
Tugend und Verbrechen zusammenführen. Nimm dich in Acht, daß du die Leiter,
mit der dn heimlich in deu Himmel steigen willst, an der rechten Stelle an¬
setzest, damit sie nicht fällt und dich zerschmettert! Was rathen Sie zu nächst?"
Gleich darauf der Fürst zu seineu versammelten Geheimräthen: „Lo'thet doch in
die Jkarusflügel, die mich zu deu Wolken tragen sollen, nicht das Blei eurer
nüchternen Erwägungen, die mich wieder zur Erde herabziehen sollen!" — Soll
diese Sprache schon sein, oder sott sie die Hossprache abconterfeien? — Diesem



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/415>, abgerufen am 19.05.2024.