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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Helden haben dasselbe gethan, und die Seele der Leute ist doch voll von ihnen,
und in ihrem Herzen ein Ueberfluß von Pietät. Durch die Erinnerung an diese
Männer berauschen sie sich, sie leben mit ihnen und in ihnen; sie finden in ihnen
die Poesie, ihre Götter, ihren Staat. Nehmt den Serben diese Erinnerungen
und sie werden nicht viel besser sein, als ein Haufe Räuber, der seine Heimath
verloren hat. -- Zuletzt besteht doch das größte Gluck eines Volkes darin, daß es
die Gestalten lebendig vor sich sieht, von denen seine originelle Phantasie zu träu¬
men liebt. Und der Phantasiegott meiner Serben ist offenbar ein Bursch von
7 Schuh Höhe, mit Schultern, die soweit von einander abstehen, wie die zwei
Rädergleise eines Wagens, mit tellergroßen, feurigen Augen, einem ungeheuren
Gurt mit zwei Kanonenlänsen darin und einem gedrechselten Türkenschädel als
Likörglas. -- Uebrigens brauchen Sic, meine Herren in Deutschland, nicht gar
zu verachtend auf die Phantasie meiner wilden Freunde herabsehe". Sie haben
ebenso einen volksthümlichen Gott, vou dein sie Glück und Erlösung abhängig
glauben. Ihr Ideal eines Mannes aber ist ein dicker Herr mit großem Kopf,
welcher irgend eine Art von Barett trägt, gegen Kirche und Kaiser protestirt,
mit der Faust auf Bücher schlägt und wenn er sich müde gepredigt hat, dann
ein kräftiges Lied anstimme, indem er gegen den Teufel die Erwartung ausspricht,
derselbe werde sich an irgend einen entlegenen Ort zurückziehen, was den Teufel
aber ganz und gar uicht verhindert, rings um den "Herrn höhnische Burzelbäume
zu schießen. Das ist Ihr deutscher Phantastcgott, verzeihen Sie einem Sohne
des Säbels, wenn er auch an ihm sehr lächerliche Seiten findet.


2. serbische Staatsmänner.

Horch, Pferdegalopp zwischen den Häuserreihen! das sind vornehme Herren,
höchst respektable Herren, die Mächtigen des Landes, ihr seht's ans den arabischen
Pserdebeinen, welche auf den Steinen vor der Kirche herumstampfen, und der
Verachtung, mit welcher die Pferdeknechte die ledigen Rosse durch den Haufen
der gaffenden Leute treiben. Wie kommen die Herren alle nach Kragujevacz?
Haben Sie den Fürsten begleitet nach Tapvlna, in sein väterliches Dorf, wo er
zuweilen im Sommer verweilt? oder wolle" Sie einen türkischen Courier nicht
in Belgrad, sondern hier abwarten, wo die russischen Spione wenigstens nicht
überall ihre Nase hiustecken? Genug, sie sind hier und benutzen das Glocken¬
geläut und den Gottesdienst, um dem freien Serbcuvolk ihre Frömmigkeit zu
zeige", sie sind in die Messe gegangen, ein gutes Geschäft zu macheu, sich
selbst dem Himmel zu präsentiren, und ihren Mitbürgern eine Freude zu machen.

Im Ilmer" des hell erleuchteten Tempels vor dem Sängerchore sitzen vier
Männer, in dicken Gesangbüchern lesend, die vier einflußreichsten Männer im ser¬
bischen Staate. Ich bitte um Gruft und Wohlwollen, wenn ich Ihnen die


Helden haben dasselbe gethan, und die Seele der Leute ist doch voll von ihnen,
und in ihrem Herzen ein Ueberfluß von Pietät. Durch die Erinnerung an diese
Männer berauschen sie sich, sie leben mit ihnen und in ihnen; sie finden in ihnen
die Poesie, ihre Götter, ihren Staat. Nehmt den Serben diese Erinnerungen
und sie werden nicht viel besser sein, als ein Haufe Räuber, der seine Heimath
verloren hat. — Zuletzt besteht doch das größte Gluck eines Volkes darin, daß es
die Gestalten lebendig vor sich sieht, von denen seine originelle Phantasie zu träu¬
men liebt. Und der Phantasiegott meiner Serben ist offenbar ein Bursch von
7 Schuh Höhe, mit Schultern, die soweit von einander abstehen, wie die zwei
Rädergleise eines Wagens, mit tellergroßen, feurigen Augen, einem ungeheuren
Gurt mit zwei Kanonenlänsen darin und einem gedrechselten Türkenschädel als
Likörglas. — Uebrigens brauchen Sic, meine Herren in Deutschland, nicht gar
zu verachtend auf die Phantasie meiner wilden Freunde herabsehe». Sie haben
ebenso einen volksthümlichen Gott, vou dein sie Glück und Erlösung abhängig
glauben. Ihr Ideal eines Mannes aber ist ein dicker Herr mit großem Kopf,
welcher irgend eine Art von Barett trägt, gegen Kirche und Kaiser protestirt,
mit der Faust auf Bücher schlägt und wenn er sich müde gepredigt hat, dann
ein kräftiges Lied anstimme, indem er gegen den Teufel die Erwartung ausspricht,
derselbe werde sich an irgend einen entlegenen Ort zurückziehen, was den Teufel
aber ganz und gar uicht verhindert, rings um den "Herrn höhnische Burzelbäume
zu schießen. Das ist Ihr deutscher Phantastcgott, verzeihen Sie einem Sohne
des Säbels, wenn er auch an ihm sehr lächerliche Seiten findet.


2. serbische Staatsmänner.

Horch, Pferdegalopp zwischen den Häuserreihen! das sind vornehme Herren,
höchst respektable Herren, die Mächtigen des Landes, ihr seht's ans den arabischen
Pserdebeinen, welche auf den Steinen vor der Kirche herumstampfen, und der
Verachtung, mit welcher die Pferdeknechte die ledigen Rosse durch den Haufen
der gaffenden Leute treiben. Wie kommen die Herren alle nach Kragujevacz?
Haben Sie den Fürsten begleitet nach Tapvlna, in sein väterliches Dorf, wo er
zuweilen im Sommer verweilt? oder wolle» Sie einen türkischen Courier nicht
in Belgrad, sondern hier abwarten, wo die russischen Spione wenigstens nicht
überall ihre Nase hiustecken? Genug, sie sind hier und benutzen das Glocken¬
geläut und den Gottesdienst, um dem freien Serbcuvolk ihre Frömmigkeit zu
zeige», sie sind in die Messe gegangen, ein gutes Geschäft zu macheu, sich
selbst dem Himmel zu präsentiren, und ihren Mitbürgern eine Freude zu machen.

Im Ilmer» des hell erleuchteten Tempels vor dem Sängerchore sitzen vier
Männer, in dicken Gesangbüchern lesend, die vier einflußreichsten Männer im ser¬
bischen Staate. Ich bitte um Gruft und Wohlwollen, wenn ich Ihnen die


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[0144] Helden haben dasselbe gethan, und die Seele der Leute ist doch voll von ihnen, und in ihrem Herzen ein Ueberfluß von Pietät. Durch die Erinnerung an diese Männer berauschen sie sich, sie leben mit ihnen und in ihnen; sie finden in ihnen die Poesie, ihre Götter, ihren Staat. Nehmt den Serben diese Erinnerungen und sie werden nicht viel besser sein, als ein Haufe Räuber, der seine Heimath verloren hat. — Zuletzt besteht doch das größte Gluck eines Volkes darin, daß es die Gestalten lebendig vor sich sieht, von denen seine originelle Phantasie zu träu¬ men liebt. Und der Phantasiegott meiner Serben ist offenbar ein Bursch von 7 Schuh Höhe, mit Schultern, die soweit von einander abstehen, wie die zwei Rädergleise eines Wagens, mit tellergroßen, feurigen Augen, einem ungeheuren Gurt mit zwei Kanonenlänsen darin und einem gedrechselten Türkenschädel als Likörglas. — Uebrigens brauchen Sic, meine Herren in Deutschland, nicht gar zu verachtend auf die Phantasie meiner wilden Freunde herabsehe». Sie haben ebenso einen volksthümlichen Gott, vou dein sie Glück und Erlösung abhängig glauben. Ihr Ideal eines Mannes aber ist ein dicker Herr mit großem Kopf, welcher irgend eine Art von Barett trägt, gegen Kirche und Kaiser protestirt, mit der Faust auf Bücher schlägt und wenn er sich müde gepredigt hat, dann ein kräftiges Lied anstimme, indem er gegen den Teufel die Erwartung ausspricht, derselbe werde sich an irgend einen entlegenen Ort zurückziehen, was den Teufel aber ganz und gar uicht verhindert, rings um den "Herrn höhnische Burzelbäume zu schießen. Das ist Ihr deutscher Phantastcgott, verzeihen Sie einem Sohne des Säbels, wenn er auch an ihm sehr lächerliche Seiten findet. 2. serbische Staatsmänner. Horch, Pferdegalopp zwischen den Häuserreihen! das sind vornehme Herren, höchst respektable Herren, die Mächtigen des Landes, ihr seht's ans den arabischen Pserdebeinen, welche auf den Steinen vor der Kirche herumstampfen, und der Verachtung, mit welcher die Pferdeknechte die ledigen Rosse durch den Haufen der gaffenden Leute treiben. Wie kommen die Herren alle nach Kragujevacz? Haben Sie den Fürsten begleitet nach Tapvlna, in sein väterliches Dorf, wo er zuweilen im Sommer verweilt? oder wolle» Sie einen türkischen Courier nicht in Belgrad, sondern hier abwarten, wo die russischen Spione wenigstens nicht überall ihre Nase hiustecken? Genug, sie sind hier und benutzen das Glocken¬ geläut und den Gottesdienst, um dem freien Serbcuvolk ihre Frömmigkeit zu zeige», sie sind in die Messe gegangen, ein gutes Geschäft zu macheu, sich selbst dem Himmel zu präsentiren, und ihren Mitbürgern eine Freude zu machen. Im Ilmer» des hell erleuchteten Tempels vor dem Sängerchore sitzen vier Männer, in dicken Gesangbüchern lesend, die vier einflußreichsten Männer im ser¬ bischen Staate. Ich bitte um Gruft und Wohlwollen, wenn ich Ihnen die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/144>, abgerufen am 07.05.2024.