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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Dem Nebel wurde nicht abgeholfen. Da errichtete sie Militärschulen. Allein
ob sie durch diese ihrem Bedürfniß genügen wird, ist sehr zweifelhaft. Bis jetzt
wenigstens sind im russischen >Keere noch sowenig schreibfertige Individuen vorhan¬
den, daß diesen noch kürzlich hat zu ihrer Unterosfizierstresse ein Vortheil am
Gehalt gewährt werde" müssen, obschon die Militärschnlen seit fast zwei Jcchr-
zchnden bestehen und sich sehr vermehrt haben.

Uuter solchen Verhältnissen kann nicht gehofft werden, daß das russische Volk
sobald der Grundbedingungen der Civilisation theilhaftig werde. Nußland wird
eine Wüste bleiben, in welcher die wenigen intelligenten Städte wie seltene Oasen
liegen, wenn nicht eine große Revolution das System der Regierung zertrümmert,
wobei freilich die Regierung selbst zu Grunde gehen wird.




Die Sachsen in Siebenbürgen.

Die erste Colonie des deutschen, nicht sächsischen, sondern rheinländischen
Volksstammes, der jetzt einen verlorenen Posten deutschen Volksthums und deutscher
Sitte im fernen Osten in der Mitte halbcivilisirter Völker bildet, wanderte im
Jahre 1141 unter dem ungarischen König Geiza II. nach Ungarn ein, und wußte
durch die Stürme der Jahrhunderte manche deutsche Tugend, Arbeitsamkeit und
Häuslichkeit, aber auch eine ziemlich starke Dosis deutscher Spießbürgerlichkeit und
deutschen Unterthanensinus zu bewahren.

Geiza, von dem Geiste seines großen Ahnen Stephan I. des Heiligen durch¬
drungen, hieß die arbeitsamen Gäste (dosMes werden die Sachsen in allen auf
sie bezüglichen Documenten genannt) herzlich willkommen, und wies ihnen einen
königlichen Grund in dem südöstlichen Theile des Reichs an, welchen er zu ihrem
ausschließlichen Eigenthum machte. Die folgenden Könige aus dem Hause Arpads
bekräftigten das fleißige und friedliche Volk in seinem Besitzthum, vergrößerten
dies durch neue Schenkungen, und ertheilten den durch neue Zuwanderung
vermehrten Gästen viele Privilegien, dnrch welche besonders ihr Handel, den sie
neben dem Ackerbau und Handwerk trieben, bedeutenden Aufschwung gewann.

Ihre maxns, ckarta erhielten sie im Jahre 1324 von demselben Andreas II.,
der zwei Jahre vorher deu Ungarn die "Goldene Bulle" ausstellte. Dieser
Urkunde zufolge bildeten die Sachsen ein für sich bestehendes, in seinem Gebiete
genau abgegrenztes Volk, welches unmittelbar dem Könige unterstand, und nur
in so fern mit dem großen Staatskörper in Verbindung war, als es durch seine
Vertreter auf den Reichstagen den ihm gebührenden Einfluß auf die constitutio-
nelle Regierung des ganzen Reichs ausübte.


Dem Nebel wurde nicht abgeholfen. Da errichtete sie Militärschulen. Allein
ob sie durch diese ihrem Bedürfniß genügen wird, ist sehr zweifelhaft. Bis jetzt
wenigstens sind im russischen >Keere noch sowenig schreibfertige Individuen vorhan¬
den, daß diesen noch kürzlich hat zu ihrer Unterosfizierstresse ein Vortheil am
Gehalt gewährt werde» müssen, obschon die Militärschnlen seit fast zwei Jcchr-
zchnden bestehen und sich sehr vermehrt haben.

Uuter solchen Verhältnissen kann nicht gehofft werden, daß das russische Volk
sobald der Grundbedingungen der Civilisation theilhaftig werde. Nußland wird
eine Wüste bleiben, in welcher die wenigen intelligenten Städte wie seltene Oasen
liegen, wenn nicht eine große Revolution das System der Regierung zertrümmert,
wobei freilich die Regierung selbst zu Grunde gehen wird.




Die Sachsen in Siebenbürgen.

Die erste Colonie des deutschen, nicht sächsischen, sondern rheinländischen
Volksstammes, der jetzt einen verlorenen Posten deutschen Volksthums und deutscher
Sitte im fernen Osten in der Mitte halbcivilisirter Völker bildet, wanderte im
Jahre 1141 unter dem ungarischen König Geiza II. nach Ungarn ein, und wußte
durch die Stürme der Jahrhunderte manche deutsche Tugend, Arbeitsamkeit und
Häuslichkeit, aber auch eine ziemlich starke Dosis deutscher Spießbürgerlichkeit und
deutschen Unterthanensinus zu bewahren.

Geiza, von dem Geiste seines großen Ahnen Stephan I. des Heiligen durch¬
drungen, hieß die arbeitsamen Gäste (dosMes werden die Sachsen in allen auf
sie bezüglichen Documenten genannt) herzlich willkommen, und wies ihnen einen
königlichen Grund in dem südöstlichen Theile des Reichs an, welchen er zu ihrem
ausschließlichen Eigenthum machte. Die folgenden Könige aus dem Hause Arpads
bekräftigten das fleißige und friedliche Volk in seinem Besitzthum, vergrößerten
dies durch neue Schenkungen, und ertheilten den durch neue Zuwanderung
vermehrten Gästen viele Privilegien, dnrch welche besonders ihr Handel, den sie
neben dem Ackerbau und Handwerk trieben, bedeutenden Aufschwung gewann.

Ihre maxns, ckarta erhielten sie im Jahre 1324 von demselben Andreas II.,
der zwei Jahre vorher deu Ungarn die „Goldene Bulle" ausstellte. Dieser
Urkunde zufolge bildeten die Sachsen ein für sich bestehendes, in seinem Gebiete
genau abgegrenztes Volk, welches unmittelbar dem Könige unterstand, und nur
in so fern mit dem großen Staatskörper in Verbindung war, als es durch seine
Vertreter auf den Reichstagen den ihm gebührenden Einfluß auf die constitutio-
nelle Regierung des ganzen Reichs ausübte.


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[0159] Dem Nebel wurde nicht abgeholfen. Da errichtete sie Militärschulen. Allein ob sie durch diese ihrem Bedürfniß genügen wird, ist sehr zweifelhaft. Bis jetzt wenigstens sind im russischen >Keere noch sowenig schreibfertige Individuen vorhan¬ den, daß diesen noch kürzlich hat zu ihrer Unterosfizierstresse ein Vortheil am Gehalt gewährt werde» müssen, obschon die Militärschnlen seit fast zwei Jcchr- zchnden bestehen und sich sehr vermehrt haben. Uuter solchen Verhältnissen kann nicht gehofft werden, daß das russische Volk sobald der Grundbedingungen der Civilisation theilhaftig werde. Nußland wird eine Wüste bleiben, in welcher die wenigen intelligenten Städte wie seltene Oasen liegen, wenn nicht eine große Revolution das System der Regierung zertrümmert, wobei freilich die Regierung selbst zu Grunde gehen wird. Die Sachsen in Siebenbürgen. Die erste Colonie des deutschen, nicht sächsischen, sondern rheinländischen Volksstammes, der jetzt einen verlorenen Posten deutschen Volksthums und deutscher Sitte im fernen Osten in der Mitte halbcivilisirter Völker bildet, wanderte im Jahre 1141 unter dem ungarischen König Geiza II. nach Ungarn ein, und wußte durch die Stürme der Jahrhunderte manche deutsche Tugend, Arbeitsamkeit und Häuslichkeit, aber auch eine ziemlich starke Dosis deutscher Spießbürgerlichkeit und deutschen Unterthanensinus zu bewahren. Geiza, von dem Geiste seines großen Ahnen Stephan I. des Heiligen durch¬ drungen, hieß die arbeitsamen Gäste (dosMes werden die Sachsen in allen auf sie bezüglichen Documenten genannt) herzlich willkommen, und wies ihnen einen königlichen Grund in dem südöstlichen Theile des Reichs an, welchen er zu ihrem ausschließlichen Eigenthum machte. Die folgenden Könige aus dem Hause Arpads bekräftigten das fleißige und friedliche Volk in seinem Besitzthum, vergrößerten dies durch neue Schenkungen, und ertheilten den durch neue Zuwanderung vermehrten Gästen viele Privilegien, dnrch welche besonders ihr Handel, den sie neben dem Ackerbau und Handwerk trieben, bedeutenden Aufschwung gewann. Ihre maxns, ckarta erhielten sie im Jahre 1324 von demselben Andreas II., der zwei Jahre vorher deu Ungarn die „Goldene Bulle" ausstellte. Dieser Urkunde zufolge bildeten die Sachsen ein für sich bestehendes, in seinem Gebiete genau abgegrenztes Volk, welches unmittelbar dem Könige unterstand, und nur in so fern mit dem großen Staatskörper in Verbindung war, als es durch seine Vertreter auf den Reichstagen den ihm gebührenden Einfluß auf die constitutio- nelle Regierung des ganzen Reichs ausübte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/159>, abgerufen am 07.05.2024.