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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Endlich müssen sie doch zum Vorschein kommen, und die Schone hat die Grausamkeit,
den alten Herrn für einen Tapissier, den jungen für einen Haarkräuöler-Burschen
auszugeben. Milord läßt sich von ihnen Papilloten wickeln und die Haare brennen,
und schließt das Stück durch eine Herrads mit der Soubrette. -- So rächt sich
Paris an den übermüthigen Insulanern.




Die Entstehung epischer Gedichte bei den Serben.

Das folgende Gedicht, eine Probe moderner serbischer Volkspoesie, ist eines
jener Lieder, welche im letzten magyarischen Kriege von serbischen Soldaten im
Lager gedichtet worden sind. Es entstanden solcher Gesänge in Kniczanin's Lager
eine große Menge. Fast jedes kleine Scharmützel erhielt sein Lied, eine wirkliche
Schlacht gewöhnlich einen ganzen Cyklus. Wenn die Serben im Lager ruhen,
setzt sich einer der Kampfgenossen in ihre Mitte auf einen Erdhaufen, einen Holz¬
klotz oder einen abgeschnallten Pferdesättel und improvistrt ein Lied über das
letzte Gefecht. Seinen Gesang begleitet ein solcher serbischer Säuger immer mit
der Gusle, einem eigenthümlichen Streichinstrument, das etwa die Form einer
Zither hat. Die Gusle ist von hartem Holz, mit Kupfer beschlagen und hat
einen langen Schwanenhals. Einige Saiten von Pferdehaaren sind über den
Resonanzboden gezogen, welcher in einem über den hochgewölbten'^olzbauch fest
gespannten seinen Kalbfell besteht. Die Pferdehaarbesaitung wird' vM einem
Fidelbogen, der seinerseits statt der Roßhaare mit Darmsaiten bezogen ist, gestrichen.
Die Gnsle, so roh sie erscheint, eignet sich doch vorzüglich und ergreifend zum
einfachen Accompagnement bei der epischen Recitation; besonders paßt ihr dumpfes
Tönen, um Schmerz, wilden Hohn und Wuth zu charakterisiren; ihr Klang soll
mit einem alten, verschollenen Instrument, der tromda marina, große Ähnlichkeit
haben. Die Heldenlieder, wie sie die Serben zur Gnsle singen, sind entweder
fünffüßig trvchäisch, oder noch lieber in vier Trochäen und einem Daktylus laufend,
ohne Reime, doch mit häufigen Assonanzen, welche bei den Reden der Feldherren, oder
wenn über den Feind gespottet wird, am häufigsten hervorklingen. Zu bramarbasiren
pflegen die Liedersäuger der Serben nicht selten, auch lehne" sie ihre Lieder
nachahmend an ältere serbische Heldenlieder an, ohne ihre Vorbilder zu erreichen,
Die Satzbildung, die poetischen Zeitwörter und Redensarten, das Auftreten und
die Sprache der Helden, alles das ist conventionell und entlehnt, und die Er¬
findungskraft in den meisten der Lagcrlieder nicht bedeutend. Und doch entstehen
gerade aus diesen Improvisationen der Soldaten später, wenn das Glück gut ist,
bessere Heldeugesäuge. Die rohen Lieder der Momken verklingen bald, aber
aus dem Material, das sie darbieten, bilden die Volkssänger von Profession,


Endlich müssen sie doch zum Vorschein kommen, und die Schone hat die Grausamkeit,
den alten Herrn für einen Tapissier, den jungen für einen Haarkräuöler-Burschen
auszugeben. Milord läßt sich von ihnen Papilloten wickeln und die Haare brennen,
und schließt das Stück durch eine Herrads mit der Soubrette. — So rächt sich
Paris an den übermüthigen Insulanern.




Die Entstehung epischer Gedichte bei den Serben.

Das folgende Gedicht, eine Probe moderner serbischer Volkspoesie, ist eines
jener Lieder, welche im letzten magyarischen Kriege von serbischen Soldaten im
Lager gedichtet worden sind. Es entstanden solcher Gesänge in Kniczanin's Lager
eine große Menge. Fast jedes kleine Scharmützel erhielt sein Lied, eine wirkliche
Schlacht gewöhnlich einen ganzen Cyklus. Wenn die Serben im Lager ruhen,
setzt sich einer der Kampfgenossen in ihre Mitte auf einen Erdhaufen, einen Holz¬
klotz oder einen abgeschnallten Pferdesättel und improvistrt ein Lied über das
letzte Gefecht. Seinen Gesang begleitet ein solcher serbischer Säuger immer mit
der Gusle, einem eigenthümlichen Streichinstrument, das etwa die Form einer
Zither hat. Die Gusle ist von hartem Holz, mit Kupfer beschlagen und hat
einen langen Schwanenhals. Einige Saiten von Pferdehaaren sind über den
Resonanzboden gezogen, welcher in einem über den hochgewölbten'^olzbauch fest
gespannten seinen Kalbfell besteht. Die Pferdehaarbesaitung wird' vM einem
Fidelbogen, der seinerseits statt der Roßhaare mit Darmsaiten bezogen ist, gestrichen.
Die Gnsle, so roh sie erscheint, eignet sich doch vorzüglich und ergreifend zum
einfachen Accompagnement bei der epischen Recitation; besonders paßt ihr dumpfes
Tönen, um Schmerz, wilden Hohn und Wuth zu charakterisiren; ihr Klang soll
mit einem alten, verschollenen Instrument, der tromda marina, große Ähnlichkeit
haben. Die Heldenlieder, wie sie die Serben zur Gnsle singen, sind entweder
fünffüßig trvchäisch, oder noch lieber in vier Trochäen und einem Daktylus laufend,
ohne Reime, doch mit häufigen Assonanzen, welche bei den Reden der Feldherren, oder
wenn über den Feind gespottet wird, am häufigsten hervorklingen. Zu bramarbasiren
pflegen die Liedersäuger der Serben nicht selten, auch lehne» sie ihre Lieder
nachahmend an ältere serbische Heldenlieder an, ohne ihre Vorbilder zu erreichen,
Die Satzbildung, die poetischen Zeitwörter und Redensarten, das Auftreten und
die Sprache der Helden, alles das ist conventionell und entlehnt, und die Er¬
findungskraft in den meisten der Lagcrlieder nicht bedeutend. Und doch entstehen
gerade aus diesen Improvisationen der Soldaten später, wenn das Glück gut ist,
bessere Heldeugesäuge. Die rohen Lieder der Momken verklingen bald, aber
aus dem Material, das sie darbieten, bilden die Volkssänger von Profession,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/351>, abgerufen am 07.05.2024.