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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Weise läßt sich nur die Annahme rechtfertigen, es geschehe, um ans alle Fälle
vorbereitet zu sein.

Das Land ist noch immer ruhig, und selbst die Börse weiß nicht, was sie
für Miene machen soll. Die Papiere fallen heute ohne Grund, um morgen
wieder mit nicht mehr Grund zu steigen -- man wartet. Ungeduldig, das heißt
vor Neugierde, ist man nur in Paris, weil die nächste Versammlung wieder Frank¬
reichs erste Redner ans die Bresche rufen wird. Die persönliche Eitelkeit, oder,
wenn Sie wollen, der Ehrgeiz spielt in allen parlamentarischen Versamm¬
lungen eine große Rolle, aber wol nirgend eine so gewaltige, wie bei uns
in Frankreich. Es läßt sich auch begreifen, da nirgend der Redner so, viel Ein¬
fluß ans das Volk ausübt, als eben in Frankreich, wenn gleich die Wirkung nur
eine ephemere bleibt, und ein Journalist wie Girardin immmer noch mehr posi¬
tive Einwirkungen ausübt, als selbst die glänzendsten Redner. Der Journalist
wirkt auf die Massen, weil er täglich wieder von vorn anfängt, während der
Redner nur zum augenblicklichen Entschluß, zur That des Momentes hinreißt.
Diese Gewalt bleibt freilich noch immer groß genug, wie dies Thiers erst unlängst
bewiesen. Nie mochte wol eine schlechte Sache glänzender vertheidigt worden
sei", als das Protectiouösystem von Thiers. Man wurde an die Sophisten
Griechenlands erinnert, nur leider war Sainte Beuve nicht Sokrates. Nur ein
Franzose und nur Thiers ist im Stande, einen so abstracten Gegenstand als
angenehme Plauderei zu behandeln. Zahlen und Thatsachen geberdeten sich
unter seinem Worte wie Wachs, ans dem sich Alles bilden läßt, Blumen und
Thierstücke, Arabesken und phantastische Figuren. Wie das zusmncngestellt ist, und
wie die armen Nationalökonomen mit ihren langjährigen Ersahrungen mitgenom¬
men worden! Wer hat anch Zeit zu überlegen, ob Alles Gold ist, was glänzt? Wer
kaun diesem Geschwader mit glänzendem Küraß und Schild etwas anhaben? unser
Auge wird geblendet, und wir müssen es schließen und denken an keine Charge.
Wenn dann am andern Tage die Journale mit ihren gelehrten Widerlegungen
und statistischen Erörterungen kommen, da lacht sich Mephisto Thiers ins Fäustchen;
er schaut in den Moniteur und tröstet sich mit der Abstimmung, die ihm Recht
gegeben. Der Mann wird jedenfalls ein hohes Alter erreichen.




Die Revisionsdebatte.

Indem wir den weiter" Bericht unsers "Botschafters" abwarten, begnügen
wir uns hier mit einigen Bemerkungen. -- Das Resultat der Abstimmung ist
ungefähr so ausgefallen, wie man es erwartet hat. Nach der Verfassung sind
zur Annahme der Revision drei Viertel der Stimmen erforderlich; sie hat noch
nicht einmal zwei Drittel für sich gehabt. Unter 724 Stimmender haben sich
in, für, 278 gegen die Revision entschieden. Außer den Montagnards und den


Weise läßt sich nur die Annahme rechtfertigen, es geschehe, um ans alle Fälle
vorbereitet zu sein.

Das Land ist noch immer ruhig, und selbst die Börse weiß nicht, was sie
für Miene machen soll. Die Papiere fallen heute ohne Grund, um morgen
wieder mit nicht mehr Grund zu steigen — man wartet. Ungeduldig, das heißt
vor Neugierde, ist man nur in Paris, weil die nächste Versammlung wieder Frank¬
reichs erste Redner ans die Bresche rufen wird. Die persönliche Eitelkeit, oder,
wenn Sie wollen, der Ehrgeiz spielt in allen parlamentarischen Versamm¬
lungen eine große Rolle, aber wol nirgend eine so gewaltige, wie bei uns
in Frankreich. Es läßt sich auch begreifen, da nirgend der Redner so, viel Ein¬
fluß ans das Volk ausübt, als eben in Frankreich, wenn gleich die Wirkung nur
eine ephemere bleibt, und ein Journalist wie Girardin immmer noch mehr posi¬
tive Einwirkungen ausübt, als selbst die glänzendsten Redner. Der Journalist
wirkt auf die Massen, weil er täglich wieder von vorn anfängt, während der
Redner nur zum augenblicklichen Entschluß, zur That des Momentes hinreißt.
Diese Gewalt bleibt freilich noch immer groß genug, wie dies Thiers erst unlängst
bewiesen. Nie mochte wol eine schlechte Sache glänzender vertheidigt worden
sei», als das Protectiouösystem von Thiers. Man wurde an die Sophisten
Griechenlands erinnert, nur leider war Sainte Beuve nicht Sokrates. Nur ein
Franzose und nur Thiers ist im Stande, einen so abstracten Gegenstand als
angenehme Plauderei zu behandeln. Zahlen und Thatsachen geberdeten sich
unter seinem Worte wie Wachs, ans dem sich Alles bilden läßt, Blumen und
Thierstücke, Arabesken und phantastische Figuren. Wie das zusmncngestellt ist, und
wie die armen Nationalökonomen mit ihren langjährigen Ersahrungen mitgenom¬
men worden! Wer hat anch Zeit zu überlegen, ob Alles Gold ist, was glänzt? Wer
kaun diesem Geschwader mit glänzendem Küraß und Schild etwas anhaben? unser
Auge wird geblendet, und wir müssen es schließen und denken an keine Charge.
Wenn dann am andern Tage die Journale mit ihren gelehrten Widerlegungen
und statistischen Erörterungen kommen, da lacht sich Mephisto Thiers ins Fäustchen;
er schaut in den Moniteur und tröstet sich mit der Abstimmung, die ihm Recht
gegeben. Der Mann wird jedenfalls ein hohes Alter erreichen.




Die Revisionsdebatte.

Indem wir den weiter» Bericht unsers „Botschafters" abwarten, begnügen
wir uns hier mit einigen Bemerkungen. — Das Resultat der Abstimmung ist
ungefähr so ausgefallen, wie man es erwartet hat. Nach der Verfassung sind
zur Annahme der Revision drei Viertel der Stimmen erforderlich; sie hat noch
nicht einmal zwei Drittel für sich gehabt. Unter 724 Stimmender haben sich
in, für, 278 gegen die Revision entschieden. Außer den Montagnards und den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/146>, abgerufen am 03.05.2024.