Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Dramaturg!seh e M is c e lieu.

Der Glanzpunkt unsres Leipziger Theaters in den letzten Wochen war
das Austreten eines Gastes, Fräulein Johanna Wagner aus Berlin als Romeo
und als Fides. Ihre große Stimme hat seit den letzten vier Jahren an Kraft,
an Sicherheit und selbst an Umfang noch gewonnen, und ihr freies und verstän¬
diges Spiel, unterstützt durch ein Interesse erregendes Aeußere, verstärkt die Wir¬
kung ihres mächtigen Gesanges. Sie wird mit Recht zu deu bedeutendsten
Sängerinnen des deutschen Theaters gezählt. Eine andere Frage ist es freilich,
ob ihre Art des Gesanges, die durch die Schule Garcia's bei unsren bedeuten-
deren Sängerinnen jetzt allgemein zu werden scheint, die selbstständige Ausbildung
vou zwei ganz verschiedenen Stimmlagen, wie wir sie in der Art nur noch bei
der Alboni gehört haben, mit den Anforderungen eines guten Geschmacks zu ver¬
einbaren ist. Freilich ist jene Poesie des Contrastes, mit der unsre modernen
Opercomponisten ihre sujets und ihre Charaktere coucipircn, nur zu geeignet, diese
Richtung der Gesangeöknnst zu befördern, z. B. die Fides ist ganz daraus berech¬
net. Daß übrigens bei dieser Rolle auch das verständigste Spiel nicht im Stande
ist, uns über die Unklarheiten, die in der Handlung selbst liegen, aufzuklären,
z. B. uns deutlich zu machen, dnrch welche Mittel der Prophet in der Krvnungs-
scene seine Mutter ans die Knie bringt, ob dnrch Magnetismus, oder wie sonst,
versteht sich von selbst.

Was das Schauspiel betrifft, so scheint jetzt eine noch viel unfruchtbarere
Periode eingetreten zu sein, als selbst die' letzten Jahre, was man freilich
schon ans den drei Lustspielen, die in Wien den Preis davontrugen, schlie¬
ße" konnte. Die dramatische Muse hat sehr wenig Neues gebracht, und dieses
Neue ist nicht von der Art, daß es zu einer Kritik auffordert. Wir halten uns
daher an einige ältere Stücke, welche die Leipziger Bühne wieder aufgeführt hat.

Ueber Maria Stuart haben wir uus schon früher ausgesprochen, wir
müssen aber noch einige Bemerkungen nachtragen. Zunächst über das CostnM.
Wir sind keineswegs der Ansicht, daß in historischen Stücken das Costum mit der
scrupulöser Gewissenhaftigkeit einer gelehrten Bildung dargestellt werden soll;
eine gewisse Idealisirung nach jenem Geschmack hin, der trotz des Wechsels der
Mode in seinen Grundzügen doch der nämliche bleibt, und eine Verwischung
der Uebergangszeiten in der Tracht dürste in den meisten Fällen unvermeidlich
sein. Bei solchen Zeiten aber, die dnrch Portraits und historische Gemälde der
größern Masse vollkommen vorstellig geworden sind, ist die Treue im historischen
Costum um so nothwendiger, wenn die Tracht zugleich eine kleidsame und in sich
selbst übereinstimmende ist. Beides ist bei der Maria Stuart der Fall. Sie ist
durch so viel Portraits dem Publicum bekannt geworden, daß z. B. der seu-


Dramaturg!seh e M is c e lieu.

Der Glanzpunkt unsres Leipziger Theaters in den letzten Wochen war
das Austreten eines Gastes, Fräulein Johanna Wagner aus Berlin als Romeo
und als Fides. Ihre große Stimme hat seit den letzten vier Jahren an Kraft,
an Sicherheit und selbst an Umfang noch gewonnen, und ihr freies und verstän¬
diges Spiel, unterstützt durch ein Interesse erregendes Aeußere, verstärkt die Wir¬
kung ihres mächtigen Gesanges. Sie wird mit Recht zu deu bedeutendsten
Sängerinnen des deutschen Theaters gezählt. Eine andere Frage ist es freilich,
ob ihre Art des Gesanges, die durch die Schule Garcia's bei unsren bedeuten-
deren Sängerinnen jetzt allgemein zu werden scheint, die selbstständige Ausbildung
vou zwei ganz verschiedenen Stimmlagen, wie wir sie in der Art nur noch bei
der Alboni gehört haben, mit den Anforderungen eines guten Geschmacks zu ver¬
einbaren ist. Freilich ist jene Poesie des Contrastes, mit der unsre modernen
Opercomponisten ihre sujets und ihre Charaktere coucipircn, nur zu geeignet, diese
Richtung der Gesangeöknnst zu befördern, z. B. die Fides ist ganz daraus berech¬
net. Daß übrigens bei dieser Rolle auch das verständigste Spiel nicht im Stande
ist, uns über die Unklarheiten, die in der Handlung selbst liegen, aufzuklären,
z. B. uns deutlich zu machen, dnrch welche Mittel der Prophet in der Krvnungs-
scene seine Mutter ans die Knie bringt, ob dnrch Magnetismus, oder wie sonst,
versteht sich von selbst.

Was das Schauspiel betrifft, so scheint jetzt eine noch viel unfruchtbarere
Periode eingetreten zu sein, als selbst die' letzten Jahre, was man freilich
schon ans den drei Lustspielen, die in Wien den Preis davontrugen, schlie¬
ße» konnte. Die dramatische Muse hat sehr wenig Neues gebracht, und dieses
Neue ist nicht von der Art, daß es zu einer Kritik auffordert. Wir halten uns
daher an einige ältere Stücke, welche die Leipziger Bühne wieder aufgeführt hat.

Ueber Maria Stuart haben wir uus schon früher ausgesprochen, wir
müssen aber noch einige Bemerkungen nachtragen. Zunächst über das CostnM.
Wir sind keineswegs der Ansicht, daß in historischen Stücken das Costum mit der
scrupulöser Gewissenhaftigkeit einer gelehrten Bildung dargestellt werden soll;
eine gewisse Idealisirung nach jenem Geschmack hin, der trotz des Wechsels der
Mode in seinen Grundzügen doch der nämliche bleibt, und eine Verwischung
der Uebergangszeiten in der Tracht dürste in den meisten Fällen unvermeidlich
sein. Bei solchen Zeiten aber, die dnrch Portraits und historische Gemälde der
größern Masse vollkommen vorstellig geworden sind, ist die Treue im historischen
Costum um so nothwendiger, wenn die Tracht zugleich eine kleidsame und in sich
selbst übereinstimmende ist. Beides ist bei der Maria Stuart der Fall. Sie ist
durch so viel Portraits dem Publicum bekannt geworden, daß z. B. der seu-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0344" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280961"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Dramaturg!seh e M is c e lieu.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1022"> Der Glanzpunkt unsres Leipziger Theaters in den letzten Wochen war<lb/>
das Austreten eines Gastes, Fräulein Johanna Wagner aus Berlin als Romeo<lb/>
und als Fides. Ihre große Stimme hat seit den letzten vier Jahren an Kraft,<lb/>
an Sicherheit und selbst an Umfang noch gewonnen, und ihr freies und verstän¬<lb/>
diges Spiel, unterstützt durch ein Interesse erregendes Aeußere, verstärkt die Wir¬<lb/>
kung ihres mächtigen Gesanges. Sie wird mit Recht zu deu bedeutendsten<lb/>
Sängerinnen des deutschen Theaters gezählt. Eine andere Frage ist es freilich,<lb/>
ob ihre Art des Gesanges, die durch die Schule Garcia's bei unsren bedeuten-<lb/>
deren Sängerinnen jetzt allgemein zu werden scheint, die selbstständige Ausbildung<lb/>
vou zwei ganz verschiedenen Stimmlagen, wie wir sie in der Art nur noch bei<lb/>
der Alboni gehört haben, mit den Anforderungen eines guten Geschmacks zu ver¬<lb/>
einbaren ist. Freilich ist jene Poesie des Contrastes, mit der unsre modernen<lb/>
Opercomponisten ihre sujets und ihre Charaktere coucipircn, nur zu geeignet, diese<lb/>
Richtung der Gesangeöknnst zu befördern, z. B. die Fides ist ganz daraus berech¬<lb/>
net. Daß übrigens bei dieser Rolle auch das verständigste Spiel nicht im Stande<lb/>
ist, uns über die Unklarheiten, die in der Handlung selbst liegen, aufzuklären,<lb/>
z. B. uns deutlich zu machen, dnrch welche Mittel der Prophet in der Krvnungs-<lb/>
scene seine Mutter ans die Knie bringt, ob dnrch Magnetismus, oder wie sonst,<lb/>
versteht sich von selbst.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1023"> Was das Schauspiel betrifft, so scheint jetzt eine noch viel unfruchtbarere<lb/>
Periode eingetreten zu sein, als selbst die' letzten Jahre, was man freilich<lb/>
schon ans den drei Lustspielen, die in Wien den Preis davontrugen, schlie¬<lb/>
ße» konnte. Die dramatische Muse hat sehr wenig Neues gebracht, und dieses<lb/>
Neue ist nicht von der Art, daß es zu einer Kritik auffordert. Wir halten uns<lb/>
daher an einige ältere Stücke, welche die Leipziger Bühne wieder aufgeführt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1024" next="#ID_1025"> Ueber Maria Stuart haben wir uus schon früher ausgesprochen, wir<lb/>
müssen aber noch einige Bemerkungen nachtragen. Zunächst über das CostnM.<lb/>
Wir sind keineswegs der Ansicht, daß in historischen Stücken das Costum mit der<lb/>
scrupulöser Gewissenhaftigkeit einer gelehrten Bildung dargestellt werden soll;<lb/>
eine gewisse Idealisirung nach jenem Geschmack hin, der trotz des Wechsels der<lb/>
Mode in seinen Grundzügen doch der nämliche bleibt, und eine Verwischung<lb/>
der Uebergangszeiten in der Tracht dürste in den meisten Fällen unvermeidlich<lb/>
sein. Bei solchen Zeiten aber, die dnrch Portraits und historische Gemälde der<lb/>
größern Masse vollkommen vorstellig geworden sind, ist die Treue im historischen<lb/>
Costum um so nothwendiger, wenn die Tracht zugleich eine kleidsame und in sich<lb/>
selbst übereinstimmende ist. Beides ist bei der Maria Stuart der Fall. Sie ist<lb/>
durch so viel Portraits dem Publicum bekannt geworden, daß z. B. der seu-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0344] Dramaturg!seh e M is c e lieu. Der Glanzpunkt unsres Leipziger Theaters in den letzten Wochen war das Austreten eines Gastes, Fräulein Johanna Wagner aus Berlin als Romeo und als Fides. Ihre große Stimme hat seit den letzten vier Jahren an Kraft, an Sicherheit und selbst an Umfang noch gewonnen, und ihr freies und verstän¬ diges Spiel, unterstützt durch ein Interesse erregendes Aeußere, verstärkt die Wir¬ kung ihres mächtigen Gesanges. Sie wird mit Recht zu deu bedeutendsten Sängerinnen des deutschen Theaters gezählt. Eine andere Frage ist es freilich, ob ihre Art des Gesanges, die durch die Schule Garcia's bei unsren bedeuten- deren Sängerinnen jetzt allgemein zu werden scheint, die selbstständige Ausbildung vou zwei ganz verschiedenen Stimmlagen, wie wir sie in der Art nur noch bei der Alboni gehört haben, mit den Anforderungen eines guten Geschmacks zu ver¬ einbaren ist. Freilich ist jene Poesie des Contrastes, mit der unsre modernen Opercomponisten ihre sujets und ihre Charaktere coucipircn, nur zu geeignet, diese Richtung der Gesangeöknnst zu befördern, z. B. die Fides ist ganz daraus berech¬ net. Daß übrigens bei dieser Rolle auch das verständigste Spiel nicht im Stande ist, uns über die Unklarheiten, die in der Handlung selbst liegen, aufzuklären, z. B. uns deutlich zu machen, dnrch welche Mittel der Prophet in der Krvnungs- scene seine Mutter ans die Knie bringt, ob dnrch Magnetismus, oder wie sonst, versteht sich von selbst. Was das Schauspiel betrifft, so scheint jetzt eine noch viel unfruchtbarere Periode eingetreten zu sein, als selbst die' letzten Jahre, was man freilich schon ans den drei Lustspielen, die in Wien den Preis davontrugen, schlie¬ ße» konnte. Die dramatische Muse hat sehr wenig Neues gebracht, und dieses Neue ist nicht von der Art, daß es zu einer Kritik auffordert. Wir halten uns daher an einige ältere Stücke, welche die Leipziger Bühne wieder aufgeführt hat. Ueber Maria Stuart haben wir uus schon früher ausgesprochen, wir müssen aber noch einige Bemerkungen nachtragen. Zunächst über das CostnM. Wir sind keineswegs der Ansicht, daß in historischen Stücken das Costum mit der scrupulöser Gewissenhaftigkeit einer gelehrten Bildung dargestellt werden soll; eine gewisse Idealisirung nach jenem Geschmack hin, der trotz des Wechsels der Mode in seinen Grundzügen doch der nämliche bleibt, und eine Verwischung der Uebergangszeiten in der Tracht dürste in den meisten Fällen unvermeidlich sein. Bei solchen Zeiten aber, die dnrch Portraits und historische Gemälde der größern Masse vollkommen vorstellig geworden sind, ist die Treue im historischen Costum um so nothwendiger, wenn die Tracht zugleich eine kleidsame und in sich selbst übereinstimmende ist. Beides ist bei der Maria Stuart der Fall. Sie ist durch so viel Portraits dem Publicum bekannt geworden, daß z. B. der seu-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/344
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/344>, abgerufen am 26.04.2024.