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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Allein diese Vorwürfe treffen den Bauernstand nicht allein. Auch die Wirth¬
schaften adliger Herren trifft er. Es ist eine traurige Wechselwirkung. Die Edel¬
leute wollen, daß die Bauern schlechte Landwirthe sind, damit sie in Noth und
Dürftigkeit bleiben; die schlechte Wirthschaft der Bauern hält aber auch die Wirth¬
schaft der Edelleute fest ans der niedrigsten Stufe -- das unterdrückende Gewicht
muß selbst in der Niedrigkeit bleiben, um seinen Druck ausüben zu können; so wie
die emporhebende Kraft selbst mit in die Höhe steigt.




Plaudereien ans Westphalen.

Der Name Westphalen, früher vom Rhein bis zur Elbe ausgedehnt, beschränkt
sich jetzt auf die Regierungsbezirke Münster, Minden und Arnsberg. Historisch¬
romantische Erinnerungen mannigfacher Art geben dem Landstriche ein eigenthüm¬
liches Interesse. Westphalens "rothe Erde" war der Mutterboden der heiligen
Vehme, dieser eigenthümlichen Geschworenen des Mittelalters. Ganz Westphalen
war in Freigrasschasten eingetheilt, deren jede einen Fr-eistnhl inne hatte; der oberste
Freistuhl und zugleich der berühmteste, an dem Fürsten und sogar ein Kaiser
"wissend" geworden, war der "Spiegel zu Dortmund". Die Linden des Königs¬
hofes, der Mal- oder Dingstätte, stehen noch frisch grün an der malerisch ergrauten
Ringmauer der ehemaligen Reichsstadt Dortmund, an der die neue Zeit jetzt aus
der Eisenbahn vorbeisaust. Kein "Wissender" betrachtet die uralte Baumgruppe
aus dem Bahnhof, die den steinernen Tisch mit dem Reichsadler beschattet, wo die
Acht gesprochen ward. Ein anderer sast eben so berühmter Freistuhl war der
Baumgarten des Schlosses zu Arnsberg, der reizend gelegenen Hauptstadt des
bergigen Sauerlandes. Historische Denksteine sind in Westphalen sast alle großen
und kleinen Städte. Da ist Engern, einst eine mächtige Stadt, das Haupt eines
Landes, wo der Sachsenherzog Wittekind herrschte, jetzt ein Dorf, wo seine Gebeine
in einem gläsernen Sarge in der altergrauen, versunkenen Kirche gezeigt werden.
Seine Dienstleute, namentlich eine Art berittene Leibgarde, sind in directer Ab¬
stammung die Vorfahren der reichen Besitzer von Bauerngütern, Sattelmeier ge¬
nannt, die nur unter den Engern vorkommen und deu Geschichtsforschern schon
viel Kopfbrechen gekostet Haben. Zu den charakteristischen Gebräuchen gehört es,
daß bei dem Leicheng^folge der Sattelmeier ein gesatteltes Pferd mitgeführt wird.
Der Name Wittekind's spielt in Westphalen eine bedeutende Rolle. In der Port"
Westphalica hat ebenfalls eins seiner berühmtesten Castelle gestanden, wie eine
Thurmwarte an der Pforte Westphalens. Der Berg heißt in der Volkssprache
Weddigenstein, Wittekindstein; aus seinem Gipfel steht noch jetzt eine uralte Capelle,


Allein diese Vorwürfe treffen den Bauernstand nicht allein. Auch die Wirth¬
schaften adliger Herren trifft er. Es ist eine traurige Wechselwirkung. Die Edel¬
leute wollen, daß die Bauern schlechte Landwirthe sind, damit sie in Noth und
Dürftigkeit bleiben; die schlechte Wirthschaft der Bauern hält aber auch die Wirth¬
schaft der Edelleute fest ans der niedrigsten Stufe — das unterdrückende Gewicht
muß selbst in der Niedrigkeit bleiben, um seinen Druck ausüben zu können; so wie
die emporhebende Kraft selbst mit in die Höhe steigt.




Plaudereien ans Westphalen.

Der Name Westphalen, früher vom Rhein bis zur Elbe ausgedehnt, beschränkt
sich jetzt auf die Regierungsbezirke Münster, Minden und Arnsberg. Historisch¬
romantische Erinnerungen mannigfacher Art geben dem Landstriche ein eigenthüm¬
liches Interesse. Westphalens „rothe Erde" war der Mutterboden der heiligen
Vehme, dieser eigenthümlichen Geschworenen des Mittelalters. Ganz Westphalen
war in Freigrasschasten eingetheilt, deren jede einen Fr-eistnhl inne hatte; der oberste
Freistuhl und zugleich der berühmteste, an dem Fürsten und sogar ein Kaiser
„wissend" geworden, war der „Spiegel zu Dortmund". Die Linden des Königs¬
hofes, der Mal- oder Dingstätte, stehen noch frisch grün an der malerisch ergrauten
Ringmauer der ehemaligen Reichsstadt Dortmund, an der die neue Zeit jetzt aus
der Eisenbahn vorbeisaust. Kein „Wissender" betrachtet die uralte Baumgruppe
aus dem Bahnhof, die den steinernen Tisch mit dem Reichsadler beschattet, wo die
Acht gesprochen ward. Ein anderer sast eben so berühmter Freistuhl war der
Baumgarten des Schlosses zu Arnsberg, der reizend gelegenen Hauptstadt des
bergigen Sauerlandes. Historische Denksteine sind in Westphalen sast alle großen
und kleinen Städte. Da ist Engern, einst eine mächtige Stadt, das Haupt eines
Landes, wo der Sachsenherzog Wittekind herrschte, jetzt ein Dorf, wo seine Gebeine
in einem gläsernen Sarge in der altergrauen, versunkenen Kirche gezeigt werden.
Seine Dienstleute, namentlich eine Art berittene Leibgarde, sind in directer Ab¬
stammung die Vorfahren der reichen Besitzer von Bauerngütern, Sattelmeier ge¬
nannt, die nur unter den Engern vorkommen und deu Geschichtsforschern schon
viel Kopfbrechen gekostet Haben. Zu den charakteristischen Gebräuchen gehört es,
daß bei dem Leicheng^folge der Sattelmeier ein gesatteltes Pferd mitgeführt wird.
Der Name Wittekind's spielt in Westphalen eine bedeutende Rolle. In der Port»
Westphalica hat ebenfalls eins seiner berühmtesten Castelle gestanden, wie eine
Thurmwarte an der Pforte Westphalens. Der Berg heißt in der Volkssprache
Weddigenstein, Wittekindstein; aus seinem Gipfel steht noch jetzt eine uralte Capelle,


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[0105] Allein diese Vorwürfe treffen den Bauernstand nicht allein. Auch die Wirth¬ schaften adliger Herren trifft er. Es ist eine traurige Wechselwirkung. Die Edel¬ leute wollen, daß die Bauern schlechte Landwirthe sind, damit sie in Noth und Dürftigkeit bleiben; die schlechte Wirthschaft der Bauern hält aber auch die Wirth¬ schaft der Edelleute fest ans der niedrigsten Stufe — das unterdrückende Gewicht muß selbst in der Niedrigkeit bleiben, um seinen Druck ausüben zu können; so wie die emporhebende Kraft selbst mit in die Höhe steigt. Plaudereien ans Westphalen. Der Name Westphalen, früher vom Rhein bis zur Elbe ausgedehnt, beschränkt sich jetzt auf die Regierungsbezirke Münster, Minden und Arnsberg. Historisch¬ romantische Erinnerungen mannigfacher Art geben dem Landstriche ein eigenthüm¬ liches Interesse. Westphalens „rothe Erde" war der Mutterboden der heiligen Vehme, dieser eigenthümlichen Geschworenen des Mittelalters. Ganz Westphalen war in Freigrasschasten eingetheilt, deren jede einen Fr-eistnhl inne hatte; der oberste Freistuhl und zugleich der berühmteste, an dem Fürsten und sogar ein Kaiser „wissend" geworden, war der „Spiegel zu Dortmund". Die Linden des Königs¬ hofes, der Mal- oder Dingstätte, stehen noch frisch grün an der malerisch ergrauten Ringmauer der ehemaligen Reichsstadt Dortmund, an der die neue Zeit jetzt aus der Eisenbahn vorbeisaust. Kein „Wissender" betrachtet die uralte Baumgruppe aus dem Bahnhof, die den steinernen Tisch mit dem Reichsadler beschattet, wo die Acht gesprochen ward. Ein anderer sast eben so berühmter Freistuhl war der Baumgarten des Schlosses zu Arnsberg, der reizend gelegenen Hauptstadt des bergigen Sauerlandes. Historische Denksteine sind in Westphalen sast alle großen und kleinen Städte. Da ist Engern, einst eine mächtige Stadt, das Haupt eines Landes, wo der Sachsenherzog Wittekind herrschte, jetzt ein Dorf, wo seine Gebeine in einem gläsernen Sarge in der altergrauen, versunkenen Kirche gezeigt werden. Seine Dienstleute, namentlich eine Art berittene Leibgarde, sind in directer Ab¬ stammung die Vorfahren der reichen Besitzer von Bauerngütern, Sattelmeier ge¬ nannt, die nur unter den Engern vorkommen und deu Geschichtsforschern schon viel Kopfbrechen gekostet Haben. Zu den charakteristischen Gebräuchen gehört es, daß bei dem Leicheng^folge der Sattelmeier ein gesatteltes Pferd mitgeführt wird. Der Name Wittekind's spielt in Westphalen eine bedeutende Rolle. In der Port» Westphalica hat ebenfalls eins seiner berühmtesten Castelle gestanden, wie eine Thurmwarte an der Pforte Westphalens. Der Berg heißt in der Volkssprache Weddigenstein, Wittekindstein; aus seinem Gipfel steht noch jetzt eine uralte Capelle,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/105>, abgerufen am 28.04.2024.