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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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wo der sächsische Held seine ersten christlichen Meditationen gehalten haben soll.
Auf seinem SchlvfHvfe in dem nahen Minden ließ er die erste Kirche bauen; der
jetzige Dom steht noch aus dieser Stelle.. Um nach seiner etwas gewaltsamen
Bekehrung durch Karl den Großen seine onlvnle eorömlo mit demselben zu be¬
thätigen, theilte Wittekind die Stadt mit ihm und sagte: Min und din, woraus
sich Minden gebildet hat. In neuerer Zeit hat die Stadt durch ihre großartigen
Festungswerke einige Bedeutung gewonnen. Die Befestigung des Bahnhofes ist
nach Aussage von Kennern ein strategisches Kunstwerk zu nennen, wozu das treff¬
liche Material aus den Steinbrüchen des Wesergebirges wesentlich beigetragen
haben mag. Die Namen zweier Wohlthäter von Westphalen und berühmter
Staatsmänner von Preußen knüpfen sich an Minden; der Minister Stein hat die
ersten Jahre seiner Thätigkeit im Verwaltungsfache als Kammerpräsident dort
zugebracht und der Oberpräsident Vinke ist daselbst geboren, wo damals sein
Vater evangelischer Domprobst war. Dem Liebhaber historischer Kuriositäten wird
es auch der Mühe werth dünken, das Hans aufzusuchen, welches dem Erzbischof
Droste-Vischcring zur Zeit der Kölner Wirren zum Gefängniß diente. Es war
damals häufig das Ziel frommer Wallfahrten und wurde in zahllosen Lithographien
verbreitet. Außer diesem berühmten Gefangenen hat auch einst der parlamentarische
Freiherr Georg Vinke in Minden aus "Festung gesessen", in Folge eines Duells
aus der Neferendarienzeit.

So alt die Stadt ist, besitzt sie doch nur wenige Baudenkmale aus der guten
alten Zeit, einige schöne Giebelformen ausgenommen, die sich aber in den dunklen
schmalen Gassen schwer auffinden lassen. Indessen hat sie durch Zufall einen der
werthvollsten Kunstschätze des Mittelalters erworben, der lange unbeachtet hinter
den Mauern westphälischer Kloster verborgen gewesen war. Die neuern Kunst¬
historiker, wie Passavant, Schnaase, Franz Kugler, Ernst Förster, Hötho, bezeugen
einstimmig die Existenz einer westphälischen Malerschule, die zwar verwandt mit
den Meistern von Köln und Flandern, doch in ureigener Idealität sich im fünf¬
zehnten Jahrhundert entwickelt hatte, durch Innigkeit der Empfindung an Fiesole
und Perugino erinnernd. Im Kloster zu Liesboru bei Lippstadt lebte der Raphael
dieser Schule. Der ergreifendste Ausdruck der Seligkeit und des Schmerzes ver¬
einigt sich bei ihm mit Größe des Styls und Klarheit des Kolorits; jeder seiner
Köpfe ist eine gemalte Seele. Sein Name ist unbekannt geblieben, von der
Klosterregel verlöscht, er heißt nur der Meister von LieSborn; seine Schüler lie¬
ferten anfangs treffliche Nachahmungen von ihm, konnten sich jedoch nicht dem
Einfluß der damals herrschenden van Eyk'schen Schule entziehen, grelle Charakte¬
ristik und Lust an Verrenkungen machte sich immer mehr geltend. In den Kirchen
und Klöstern Westphalens zerstreut, wurden diese herrlichen Gemälde zur Zeit der
Säcularisation achtlos verschleudert und sogar theilweise vernichtet. Es gelang
mit Mühe einigen intelligenten Sammlern, die Neste und Bruchstücke zu retten;


wo der sächsische Held seine ersten christlichen Meditationen gehalten haben soll.
Auf seinem SchlvfHvfe in dem nahen Minden ließ er die erste Kirche bauen; der
jetzige Dom steht noch aus dieser Stelle.. Um nach seiner etwas gewaltsamen
Bekehrung durch Karl den Großen seine onlvnle eorömlo mit demselben zu be¬
thätigen, theilte Wittekind die Stadt mit ihm und sagte: Min und din, woraus
sich Minden gebildet hat. In neuerer Zeit hat die Stadt durch ihre großartigen
Festungswerke einige Bedeutung gewonnen. Die Befestigung des Bahnhofes ist
nach Aussage von Kennern ein strategisches Kunstwerk zu nennen, wozu das treff¬
liche Material aus den Steinbrüchen des Wesergebirges wesentlich beigetragen
haben mag. Die Namen zweier Wohlthäter von Westphalen und berühmter
Staatsmänner von Preußen knüpfen sich an Minden; der Minister Stein hat die
ersten Jahre seiner Thätigkeit im Verwaltungsfache als Kammerpräsident dort
zugebracht und der Oberpräsident Vinke ist daselbst geboren, wo damals sein
Vater evangelischer Domprobst war. Dem Liebhaber historischer Kuriositäten wird
es auch der Mühe werth dünken, das Hans aufzusuchen, welches dem Erzbischof
Droste-Vischcring zur Zeit der Kölner Wirren zum Gefängniß diente. Es war
damals häufig das Ziel frommer Wallfahrten und wurde in zahllosen Lithographien
verbreitet. Außer diesem berühmten Gefangenen hat auch einst der parlamentarische
Freiherr Georg Vinke in Minden aus „Festung gesessen", in Folge eines Duells
aus der Neferendarienzeit.

So alt die Stadt ist, besitzt sie doch nur wenige Baudenkmale aus der guten
alten Zeit, einige schöne Giebelformen ausgenommen, die sich aber in den dunklen
schmalen Gassen schwer auffinden lassen. Indessen hat sie durch Zufall einen der
werthvollsten Kunstschätze des Mittelalters erworben, der lange unbeachtet hinter
den Mauern westphälischer Kloster verborgen gewesen war. Die neuern Kunst¬
historiker, wie Passavant, Schnaase, Franz Kugler, Ernst Förster, Hötho, bezeugen
einstimmig die Existenz einer westphälischen Malerschule, die zwar verwandt mit
den Meistern von Köln und Flandern, doch in ureigener Idealität sich im fünf¬
zehnten Jahrhundert entwickelt hatte, durch Innigkeit der Empfindung an Fiesole
und Perugino erinnernd. Im Kloster zu Liesboru bei Lippstadt lebte der Raphael
dieser Schule. Der ergreifendste Ausdruck der Seligkeit und des Schmerzes ver¬
einigt sich bei ihm mit Größe des Styls und Klarheit des Kolorits; jeder seiner
Köpfe ist eine gemalte Seele. Sein Name ist unbekannt geblieben, von der
Klosterregel verlöscht, er heißt nur der Meister von LieSborn; seine Schüler lie¬
ferten anfangs treffliche Nachahmungen von ihm, konnten sich jedoch nicht dem
Einfluß der damals herrschenden van Eyk'schen Schule entziehen, grelle Charakte¬
ristik und Lust an Verrenkungen machte sich immer mehr geltend. In den Kirchen
und Klöstern Westphalens zerstreut, wurden diese herrlichen Gemälde zur Zeit der
Säcularisation achtlos verschleudert und sogar theilweise vernichtet. Es gelang
mit Mühe einigen intelligenten Sammlern, die Neste und Bruchstücke zu retten;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/106>, abgerufen am 14.05.2024.