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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Pflicht als Knechte oder Mägde leisten, den Lohn in Kleidungsstoffen auszuzahlen.
Am hohen Neujahrstage pflegt der Grundherr in einem seiner Zimmer eine Aus-
stellung von Waaren zu veranstalten, welche er auf dem nächsten Jahrmarkt ein¬
gekauft hat. Das Material ist bereits in Theile zerlegt, welche zu gewissen
Kleidungsstücken nöthig sind. Da sieht man blaues Tuch zu Mädchensukmanen,
Kopftücher, Schürzen, gewirkte Strümpfe, Schuhe, Leinwand, Kämme u. s. w.
Jeder Artikel ist mit einer gewissen Preisangabe versehen. Nun erscheint das
Gesinde und wählt, was es braucht, bis zur Hohe seines Lohns. Wenn der Herr
einen kleinen Theil des Lohns in baarem Gelde auszahlt, so gilt dies schon für
eine Gnade.

Das baare Geld ist deshalb etwas sehr seltenes für den polnischen Bauer;
aber auch in anderer Hinsicht ist seine Armuth kläglich und sein Leben fast thierisch.

Seine Bewirthschaftung ist begreiflicher Weise die elendeste von der Welt.
Er wirthschaftet einzig und allein, um sich vor dem Hunger zu bewahren, und
dürfte er hoffen, so viel Pilze, Kernobst und Schlehen zu ernten, als zu seiner
Familie Sättigung aus das Jahr nöthig sind, so würde er seine Felder gar nicht be¬
stellen. Den Dünger wirft er in der Regel aus das Stückchen Land, welches
sich von einer Barriere umschlossen bei der Hütte befindet und alle Jahre mit
Hanf und Gemüse bebauet wird. Bringt er den Dünger auf diesem Fleck nicht
unter, so sährt er ihn auf sein nächstes Feldstück, das er dann Jahr für Jahr mit
Erbsen und Kartoffeln bestellt, denn diese Früchte sind seine wichtigsten Nahrungs¬
mittel und erscheinen in Begleitung des unschätzbaren Quaö fast täglich auf seiner
Tasel oder im Zwillingshenkeltopfe.

Alle Fruchtarten bestellt er durch ein einmaliges Pflügen. Die Gersten- und
Haferstoppel z. B. läßt er regelmäßig liegen bis zur Roggen- oder Weizensaat,
und ein Glück ist es für ihn, daß der Boden durchschnittlich wenig Thonbestand¬
theile, dagegen eine starke Sandmischnng hat. Daher kann ihm durch geringe
Vorbereitung die zur Aufnahme des Saamens nöthige Eigenschaft gegeben werden.
Der Pflug muß Alles thun, denn die von Weidenruthen geflochtene federleichte
Egge hat selbst in diesem leichten Boden keine Wirkung, und die Walze kennt
man nicht, konnte sie auch wegen der Steinblöcke und Baumstümpfe nicht an¬
wenden. Allermeist wird das Getreide flach untergeackert und es gedeiht trotz
der schlechten Bearbeitung recht gut. Klima und Boden des Landes sind dem
Getreidebau sehr förderlich. Von bedeutendem Einflüsse ist, daß nicht die Ost¬
winde, sondern die Südwinde in Polen kühle Witterung bringen, da die Kar¬
pathen im Süden liegen. Diese Windrichtung ist im Winter selten, im Sommer
häufig. Die Feuchtigkeit der Lust ist wegen der vielen Waldungen größer als in
Deutschland und die oft fabelhafte Fruchtbarkeit bei leichtem Sandboden mag zum
Theil daher stammen. Truge nicht die Natur so viel dazu bei, so würde es um
den Feldbau des polnischen Bauernstandes sehr schlimm stehen.


Pflicht als Knechte oder Mägde leisten, den Lohn in Kleidungsstoffen auszuzahlen.
Am hohen Neujahrstage pflegt der Grundherr in einem seiner Zimmer eine Aus-
stellung von Waaren zu veranstalten, welche er auf dem nächsten Jahrmarkt ein¬
gekauft hat. Das Material ist bereits in Theile zerlegt, welche zu gewissen
Kleidungsstücken nöthig sind. Da sieht man blaues Tuch zu Mädchensukmanen,
Kopftücher, Schürzen, gewirkte Strümpfe, Schuhe, Leinwand, Kämme u. s. w.
Jeder Artikel ist mit einer gewissen Preisangabe versehen. Nun erscheint das
Gesinde und wählt, was es braucht, bis zur Hohe seines Lohns. Wenn der Herr
einen kleinen Theil des Lohns in baarem Gelde auszahlt, so gilt dies schon für
eine Gnade.

Das baare Geld ist deshalb etwas sehr seltenes für den polnischen Bauer;
aber auch in anderer Hinsicht ist seine Armuth kläglich und sein Leben fast thierisch.

Seine Bewirthschaftung ist begreiflicher Weise die elendeste von der Welt.
Er wirthschaftet einzig und allein, um sich vor dem Hunger zu bewahren, und
dürfte er hoffen, so viel Pilze, Kernobst und Schlehen zu ernten, als zu seiner
Familie Sättigung aus das Jahr nöthig sind, so würde er seine Felder gar nicht be¬
stellen. Den Dünger wirft er in der Regel aus das Stückchen Land, welches
sich von einer Barriere umschlossen bei der Hütte befindet und alle Jahre mit
Hanf und Gemüse bebauet wird. Bringt er den Dünger auf diesem Fleck nicht
unter, so sährt er ihn auf sein nächstes Feldstück, das er dann Jahr für Jahr mit
Erbsen und Kartoffeln bestellt, denn diese Früchte sind seine wichtigsten Nahrungs¬
mittel und erscheinen in Begleitung des unschätzbaren Quaö fast täglich auf seiner
Tasel oder im Zwillingshenkeltopfe.

Alle Fruchtarten bestellt er durch ein einmaliges Pflügen. Die Gersten- und
Haferstoppel z. B. läßt er regelmäßig liegen bis zur Roggen- oder Weizensaat,
und ein Glück ist es für ihn, daß der Boden durchschnittlich wenig Thonbestand¬
theile, dagegen eine starke Sandmischnng hat. Daher kann ihm durch geringe
Vorbereitung die zur Aufnahme des Saamens nöthige Eigenschaft gegeben werden.
Der Pflug muß Alles thun, denn die von Weidenruthen geflochtene federleichte
Egge hat selbst in diesem leichten Boden keine Wirkung, und die Walze kennt
man nicht, konnte sie auch wegen der Steinblöcke und Baumstümpfe nicht an¬
wenden. Allermeist wird das Getreide flach untergeackert und es gedeiht trotz
der schlechten Bearbeitung recht gut. Klima und Boden des Landes sind dem
Getreidebau sehr förderlich. Von bedeutendem Einflüsse ist, daß nicht die Ost¬
winde, sondern die Südwinde in Polen kühle Witterung bringen, da die Kar¬
pathen im Süden liegen. Diese Windrichtung ist im Winter selten, im Sommer
häufig. Die Feuchtigkeit der Lust ist wegen der vielen Waldungen größer als in
Deutschland und die oft fabelhafte Fruchtbarkeit bei leichtem Sandboden mag zum
Theil daher stammen. Truge nicht die Natur so viel dazu bei, so würde es um
den Feldbau des polnischen Bauernstandes sehr schlimm stehen.


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[0104] Pflicht als Knechte oder Mägde leisten, den Lohn in Kleidungsstoffen auszuzahlen. Am hohen Neujahrstage pflegt der Grundherr in einem seiner Zimmer eine Aus- stellung von Waaren zu veranstalten, welche er auf dem nächsten Jahrmarkt ein¬ gekauft hat. Das Material ist bereits in Theile zerlegt, welche zu gewissen Kleidungsstücken nöthig sind. Da sieht man blaues Tuch zu Mädchensukmanen, Kopftücher, Schürzen, gewirkte Strümpfe, Schuhe, Leinwand, Kämme u. s. w. Jeder Artikel ist mit einer gewissen Preisangabe versehen. Nun erscheint das Gesinde und wählt, was es braucht, bis zur Hohe seines Lohns. Wenn der Herr einen kleinen Theil des Lohns in baarem Gelde auszahlt, so gilt dies schon für eine Gnade. Das baare Geld ist deshalb etwas sehr seltenes für den polnischen Bauer; aber auch in anderer Hinsicht ist seine Armuth kläglich und sein Leben fast thierisch. Seine Bewirthschaftung ist begreiflicher Weise die elendeste von der Welt. Er wirthschaftet einzig und allein, um sich vor dem Hunger zu bewahren, und dürfte er hoffen, so viel Pilze, Kernobst und Schlehen zu ernten, als zu seiner Familie Sättigung aus das Jahr nöthig sind, so würde er seine Felder gar nicht be¬ stellen. Den Dünger wirft er in der Regel aus das Stückchen Land, welches sich von einer Barriere umschlossen bei der Hütte befindet und alle Jahre mit Hanf und Gemüse bebauet wird. Bringt er den Dünger auf diesem Fleck nicht unter, so sährt er ihn auf sein nächstes Feldstück, das er dann Jahr für Jahr mit Erbsen und Kartoffeln bestellt, denn diese Früchte sind seine wichtigsten Nahrungs¬ mittel und erscheinen in Begleitung des unschätzbaren Quaö fast täglich auf seiner Tasel oder im Zwillingshenkeltopfe. Alle Fruchtarten bestellt er durch ein einmaliges Pflügen. Die Gersten- und Haferstoppel z. B. läßt er regelmäßig liegen bis zur Roggen- oder Weizensaat, und ein Glück ist es für ihn, daß der Boden durchschnittlich wenig Thonbestand¬ theile, dagegen eine starke Sandmischnng hat. Daher kann ihm durch geringe Vorbereitung die zur Aufnahme des Saamens nöthige Eigenschaft gegeben werden. Der Pflug muß Alles thun, denn die von Weidenruthen geflochtene federleichte Egge hat selbst in diesem leichten Boden keine Wirkung, und die Walze kennt man nicht, konnte sie auch wegen der Steinblöcke und Baumstümpfe nicht an¬ wenden. Allermeist wird das Getreide flach untergeackert und es gedeiht trotz der schlechten Bearbeitung recht gut. Klima und Boden des Landes sind dem Getreidebau sehr förderlich. Von bedeutendem Einflüsse ist, daß nicht die Ost¬ winde, sondern die Südwinde in Polen kühle Witterung bringen, da die Kar¬ pathen im Süden liegen. Diese Windrichtung ist im Winter selten, im Sommer häufig. Die Feuchtigkeit der Lust ist wegen der vielen Waldungen größer als in Deutschland und die oft fabelhafte Fruchtbarkeit bei leichtem Sandboden mag zum Theil daher stammen. Truge nicht die Natur so viel dazu bei, so würde es um den Feldbau des polnischen Bauernstandes sehr schlimm stehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/104>, abgerufen am 14.05.2024.