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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Schauspieler-Silhouetten.
2. Theodor Döring.

Döring ist ein geborner Schauspieler von seltener Begabung. Wer ihn in
der Gesellschaft beobachtet hat, erkennt in dem bewegten Redevortrage, den er
mit rastlosem Mienenspiel und dentender oder schildernder Benutzung der Arme
und Hände begleitet, den Schauspieler, bevor er ihn ans der Bühne sah. Döring
ist außer Stande, einen Vorgang, eine Handlung zu erzählen, ohne die darin
verwickelten Personen zugleich in seiner eigenen Person mitagiren zu lassen. Sein
mimisches Talent geht so weit, daß er ohne jedes äußere Hilfsmittel dem Gesichte
einen Ausdruck zu geben weiß, in welchem die Anwesenden eine frappante Ähn¬
lichkeit mit dieser oder jener Person bis zur überraschendsten Lebendigkeit wahr¬
nehmen. Mir ist eine gleiche Kraft nachahmender Mimik "in der Erfahrung nicht
zum zweiten Male vorgekommen; im Garrik rühmt sie die Theatergeschichte.

Diese Fähigkeit, das Leben so treu und lebendig in die Einbildungskraft
aufzunehmen, daß es sich auf das Gebot des Willens im Aeußern wiederspiegelt,
übt ihre Herrschaft nicht allein über das Antlitz aus, souderu auch über Ton,
Haltung, Gang, Bewegung. Die leicht auffassende, sichere Beobachtungsgabe für
das Charakteristische, ans welcher Döring's Darstellnugskunst hervorgeht, hat in
der Elasticität des Körpers und dem zwar scharfen, aber mannigfach und kräftig
modulirenden Organ kaum geringere Hilfsmittel als in der Wandelbarkeit und
Empfänglichkeit der Gesichtszüge.

Daher besteht ein wesentlicher Theil der Döring'schen Kunst in der fast
immer mit richtigem Blick ergriffenen, individuell ausgeprägten und consequent
festgehaltenen Charaktermaske; daher ist der Grundzug seiner Kunstrichtung die
Genremalerei. Niemals sah ich auf der Bühne Lustspiclgestalten von höherer
Lebenswahrheit als Döring's Banquier Müller (Liebesprotokoll) und Commissions¬
rath Frosch (der Verschwiegene wider Willen). Das sind Persönlichkeiten unsrer
Gesellschaft, wie sie, -- namentlich der Erstere -- uns täglich begegnen können
und begegnen; so bestimmt, so scharf der Wirklichkeit entnommen, wie sie leiden
und leben. Und mit nicht geringerem Glucke als in der bürgerlichen Komik bewegt
sich Döring in der Sphäre bürgerlicher Gemüthlichkeit, zumal wenn er einen Zug
scharfer Besonderheit, wie die jüdische Nationalität des Schewa, damit verbinden
kann. Die genannten Rollen und ebenso der Michel Perrin, der Richter Adam
in Kleist's Lustspiel "Der zerbrochene Krug" und andere sind Cabinetsstückchen der
Döring'schen Genremalerei. Auch deu Ton schlichtester Einfachheit vermag er an¬
zuschlagen, wo er ihn mit dem Affect der Rührung färben kann, wie im Pfarrer
Struensee.


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Schauspieler-Silhouetten.
2. Theodor Döring.

Döring ist ein geborner Schauspieler von seltener Begabung. Wer ihn in
der Gesellschaft beobachtet hat, erkennt in dem bewegten Redevortrage, den er
mit rastlosem Mienenspiel und dentender oder schildernder Benutzung der Arme
und Hände begleitet, den Schauspieler, bevor er ihn ans der Bühne sah. Döring
ist außer Stande, einen Vorgang, eine Handlung zu erzählen, ohne die darin
verwickelten Personen zugleich in seiner eigenen Person mitagiren zu lassen. Sein
mimisches Talent geht so weit, daß er ohne jedes äußere Hilfsmittel dem Gesichte
einen Ausdruck zu geben weiß, in welchem die Anwesenden eine frappante Ähn¬
lichkeit mit dieser oder jener Person bis zur überraschendsten Lebendigkeit wahr¬
nehmen. Mir ist eine gleiche Kraft nachahmender Mimik "in der Erfahrung nicht
zum zweiten Male vorgekommen; im Garrik rühmt sie die Theatergeschichte.

Diese Fähigkeit, das Leben so treu und lebendig in die Einbildungskraft
aufzunehmen, daß es sich auf das Gebot des Willens im Aeußern wiederspiegelt,
übt ihre Herrschaft nicht allein über das Antlitz aus, souderu auch über Ton,
Haltung, Gang, Bewegung. Die leicht auffassende, sichere Beobachtungsgabe für
das Charakteristische, ans welcher Döring's Darstellnugskunst hervorgeht, hat in
der Elasticität des Körpers und dem zwar scharfen, aber mannigfach und kräftig
modulirenden Organ kaum geringere Hilfsmittel als in der Wandelbarkeit und
Empfänglichkeit der Gesichtszüge.

Daher besteht ein wesentlicher Theil der Döring'schen Kunst in der fast
immer mit richtigem Blick ergriffenen, individuell ausgeprägten und consequent
festgehaltenen Charaktermaske; daher ist der Grundzug seiner Kunstrichtung die
Genremalerei. Niemals sah ich auf der Bühne Lustspiclgestalten von höherer
Lebenswahrheit als Döring's Banquier Müller (Liebesprotokoll) und Commissions¬
rath Frosch (der Verschwiegene wider Willen). Das sind Persönlichkeiten unsrer
Gesellschaft, wie sie, — namentlich der Erstere — uns täglich begegnen können
und begegnen; so bestimmt, so scharf der Wirklichkeit entnommen, wie sie leiden
und leben. Und mit nicht geringerem Glucke als in der bürgerlichen Komik bewegt
sich Döring in der Sphäre bürgerlicher Gemüthlichkeit, zumal wenn er einen Zug
scharfer Besonderheit, wie die jüdische Nationalität des Schewa, damit verbinden
kann. Die genannten Rollen und ebenso der Michel Perrin, der Richter Adam
in Kleist's Lustspiel „Der zerbrochene Krug" und andere sind Cabinetsstückchen der
Döring'schen Genremalerei. Auch deu Ton schlichtester Einfachheit vermag er an¬
zuschlagen, wo er ihn mit dem Affect der Rührung färben kann, wie im Pfarrer
Struensee.


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[0143] Schauspieler-Silhouetten. 2. Theodor Döring. Döring ist ein geborner Schauspieler von seltener Begabung. Wer ihn in der Gesellschaft beobachtet hat, erkennt in dem bewegten Redevortrage, den er mit rastlosem Mienenspiel und dentender oder schildernder Benutzung der Arme und Hände begleitet, den Schauspieler, bevor er ihn ans der Bühne sah. Döring ist außer Stande, einen Vorgang, eine Handlung zu erzählen, ohne die darin verwickelten Personen zugleich in seiner eigenen Person mitagiren zu lassen. Sein mimisches Talent geht so weit, daß er ohne jedes äußere Hilfsmittel dem Gesichte einen Ausdruck zu geben weiß, in welchem die Anwesenden eine frappante Ähn¬ lichkeit mit dieser oder jener Person bis zur überraschendsten Lebendigkeit wahr¬ nehmen. Mir ist eine gleiche Kraft nachahmender Mimik "in der Erfahrung nicht zum zweiten Male vorgekommen; im Garrik rühmt sie die Theatergeschichte. Diese Fähigkeit, das Leben so treu und lebendig in die Einbildungskraft aufzunehmen, daß es sich auf das Gebot des Willens im Aeußern wiederspiegelt, übt ihre Herrschaft nicht allein über das Antlitz aus, souderu auch über Ton, Haltung, Gang, Bewegung. Die leicht auffassende, sichere Beobachtungsgabe für das Charakteristische, ans welcher Döring's Darstellnugskunst hervorgeht, hat in der Elasticität des Körpers und dem zwar scharfen, aber mannigfach und kräftig modulirenden Organ kaum geringere Hilfsmittel als in der Wandelbarkeit und Empfänglichkeit der Gesichtszüge. Daher besteht ein wesentlicher Theil der Döring'schen Kunst in der fast immer mit richtigem Blick ergriffenen, individuell ausgeprägten und consequent festgehaltenen Charaktermaske; daher ist der Grundzug seiner Kunstrichtung die Genremalerei. Niemals sah ich auf der Bühne Lustspiclgestalten von höherer Lebenswahrheit als Döring's Banquier Müller (Liebesprotokoll) und Commissions¬ rath Frosch (der Verschwiegene wider Willen). Das sind Persönlichkeiten unsrer Gesellschaft, wie sie, — namentlich der Erstere — uns täglich begegnen können und begegnen; so bestimmt, so scharf der Wirklichkeit entnommen, wie sie leiden und leben. Und mit nicht geringerem Glucke als in der bürgerlichen Komik bewegt sich Döring in der Sphäre bürgerlicher Gemüthlichkeit, zumal wenn er einen Zug scharfer Besonderheit, wie die jüdische Nationalität des Schewa, damit verbinden kann. Die genannten Rollen und ebenso der Michel Perrin, der Richter Adam in Kleist's Lustspiel „Der zerbrochene Krug" und andere sind Cabinetsstückchen der Döring'schen Genremalerei. Auch deu Ton schlichtester Einfachheit vermag er an¬ zuschlagen, wo er ihn mit dem Affect der Rührung färben kann, wie im Pfarrer Struensee. 17*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/143>, abgerufen am 29.04.2024.