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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Auf dem Gebiete der Tragik erstreckt sich sein Talent, wenn es sich nicht um
Darstellung finstrer oder dämonischer Leidenschaft handelt, selten über das Rüh¬
rende hinaus. Oft zerrt er das Tragische, zu dessen edlem Ausdruck es ihm auch
an künstlerischem Stil der Technik fehlt, in die scharf markirten Accente künstlicher
Sentimentalität, für die er sonst in seinem Spiel nicht die geringste Neigung zeigt.
Dann dehnt und zieht, wiegt und singt er zuweilen, daß an die Stelle der Wahr¬
heit die geschraubteste Mauierirtheit tritt. Dabei jedoch wurzelt die Anlage auch
solcher Rollen stets in charakteristischer Ausfassung, und wo eine grelle Färbung
des Tragischen am Orte ist, bricht eine erschütternde Wahrheit sich plötzlich, metevr-
artig Bahn. So im Lear, als der greise, geistig schwache, von Unglück und
ohnmächtigem Zorn gehetzte König deu sich wahnsinnig stellenden Edgar erblickt.
In dumpfem Schmerze stiert er die Erscheinung an, und aus der schmerzhaften Um¬
nachtung der Seele, aus der Ahnung des Wahnsinns wird dieser selbst geboren.
Wo eine derartige grell tragische Färbung mit dem genrehaft Charakteristischen
sich verbindet, wie in Hebbel's Tischler Anton, fühlt sich Döring in seinem Ele¬
mente. Dieser Tischler Anton ist von Anfang bis Ende eine fesselnde und er¬
greifende Meisterdarstellung.

Döring hat im Banquier Müller, im Commissionsrath Frosch oft bewiesen,
daß er -- wenn er will! -- keiner gewaltsamen Mittel bedürfe, um die schlagendste
komische Wirkung hervorzubringen. Er erscheint in voller Lebenswahrheit, geht,
steht und spricht, wie eben diese bestimmte Persönlichkeit gehen, stehen und sprechen
würde, wenn sie nicht zwischen Soffiten, Coulissen und Theaterlampen, sondern
im Salon oder auf der Straße uns begegnete, und doch weckt jeder neue Zug
neue Heiterkeit, neues Gelächter. Diese Sicherheit des Maßes besitzt Döring,
wenn er sich von der Liebe zum Beifall nicht fortreißen läßt, überall da, wo er
die Wirklichkeit unmittelbar ergreifen und gestalten kann. Mit dem Humor rein
idealer Figuren weiß er selten etwas Rechtes anzufangen. Ich meinerseits bin
weit davon entfernt, ihm einen großen Vorwurf daraus zu machen, daß er z. B.
mit seiner Auffassung des Mephistopheles uoch heute nicht im Klaren ist. Viel¬
mehr bin ich der Meinung, daß diese phantastische Gestalt überhaupt nicht dar¬
stellbar sei. Soll sie aber dennoch, und zwar von Döring dargestellt werden, so
gibt es dafür kaum einen andern Weg, als ihr die derbe Sinnlichkeit des Teufels
der Volkssage zu geben, wie es Seidelmann stets und auch Döring ohne vieles
Grübeln im Anfang seiner Berliner Periode gethan.

Mephisto ist allerdings in allegorischer Verbildlichnng die eine der zwei Na¬
turen, welche in der Seele des Faust mit einander kämpfen; sie springt aus
seinem Wesen in die Vorstellung seiner Phantasie, die sich in ihr bespiegelt.
Hiernach wäre wol das Richtigste, dem zum Genusse des Lebens sich rüstenden
Faust in der "Spottgeburt von Dreck und Feuer" die Versunkenheit in entgeistigter
Sinnlichkeit als persönliches Ebenbild in verzerrter Gestalt gegenüberzustellen.


Auf dem Gebiete der Tragik erstreckt sich sein Talent, wenn es sich nicht um
Darstellung finstrer oder dämonischer Leidenschaft handelt, selten über das Rüh¬
rende hinaus. Oft zerrt er das Tragische, zu dessen edlem Ausdruck es ihm auch
an künstlerischem Stil der Technik fehlt, in die scharf markirten Accente künstlicher
Sentimentalität, für die er sonst in seinem Spiel nicht die geringste Neigung zeigt.
Dann dehnt und zieht, wiegt und singt er zuweilen, daß an die Stelle der Wahr¬
heit die geschraubteste Mauierirtheit tritt. Dabei jedoch wurzelt die Anlage auch
solcher Rollen stets in charakteristischer Ausfassung, und wo eine grelle Färbung
des Tragischen am Orte ist, bricht eine erschütternde Wahrheit sich plötzlich, metevr-
artig Bahn. So im Lear, als der greise, geistig schwache, von Unglück und
ohnmächtigem Zorn gehetzte König deu sich wahnsinnig stellenden Edgar erblickt.
In dumpfem Schmerze stiert er die Erscheinung an, und aus der schmerzhaften Um¬
nachtung der Seele, aus der Ahnung des Wahnsinns wird dieser selbst geboren.
Wo eine derartige grell tragische Färbung mit dem genrehaft Charakteristischen
sich verbindet, wie in Hebbel's Tischler Anton, fühlt sich Döring in seinem Ele¬
mente. Dieser Tischler Anton ist von Anfang bis Ende eine fesselnde und er¬
greifende Meisterdarstellung.

Döring hat im Banquier Müller, im Commissionsrath Frosch oft bewiesen,
daß er — wenn er will! — keiner gewaltsamen Mittel bedürfe, um die schlagendste
komische Wirkung hervorzubringen. Er erscheint in voller Lebenswahrheit, geht,
steht und spricht, wie eben diese bestimmte Persönlichkeit gehen, stehen und sprechen
würde, wenn sie nicht zwischen Soffiten, Coulissen und Theaterlampen, sondern
im Salon oder auf der Straße uns begegnete, und doch weckt jeder neue Zug
neue Heiterkeit, neues Gelächter. Diese Sicherheit des Maßes besitzt Döring,
wenn er sich von der Liebe zum Beifall nicht fortreißen läßt, überall da, wo er
die Wirklichkeit unmittelbar ergreifen und gestalten kann. Mit dem Humor rein
idealer Figuren weiß er selten etwas Rechtes anzufangen. Ich meinerseits bin
weit davon entfernt, ihm einen großen Vorwurf daraus zu machen, daß er z. B.
mit seiner Auffassung des Mephistopheles uoch heute nicht im Klaren ist. Viel¬
mehr bin ich der Meinung, daß diese phantastische Gestalt überhaupt nicht dar¬
stellbar sei. Soll sie aber dennoch, und zwar von Döring dargestellt werden, so
gibt es dafür kaum einen andern Weg, als ihr die derbe Sinnlichkeit des Teufels
der Volkssage zu geben, wie es Seidelmann stets und auch Döring ohne vieles
Grübeln im Anfang seiner Berliner Periode gethan.

Mephisto ist allerdings in allegorischer Verbildlichnng die eine der zwei Na¬
turen, welche in der Seele des Faust mit einander kämpfen; sie springt aus
seinem Wesen in die Vorstellung seiner Phantasie, die sich in ihr bespiegelt.
Hiernach wäre wol das Richtigste, dem zum Genusse des Lebens sich rüstenden
Faust in der „Spottgeburt von Dreck und Feuer" die Versunkenheit in entgeistigter
Sinnlichkeit als persönliches Ebenbild in verzerrter Gestalt gegenüberzustellen.


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[0144] Auf dem Gebiete der Tragik erstreckt sich sein Talent, wenn es sich nicht um Darstellung finstrer oder dämonischer Leidenschaft handelt, selten über das Rüh¬ rende hinaus. Oft zerrt er das Tragische, zu dessen edlem Ausdruck es ihm auch an künstlerischem Stil der Technik fehlt, in die scharf markirten Accente künstlicher Sentimentalität, für die er sonst in seinem Spiel nicht die geringste Neigung zeigt. Dann dehnt und zieht, wiegt und singt er zuweilen, daß an die Stelle der Wahr¬ heit die geschraubteste Mauierirtheit tritt. Dabei jedoch wurzelt die Anlage auch solcher Rollen stets in charakteristischer Ausfassung, und wo eine grelle Färbung des Tragischen am Orte ist, bricht eine erschütternde Wahrheit sich plötzlich, metevr- artig Bahn. So im Lear, als der greise, geistig schwache, von Unglück und ohnmächtigem Zorn gehetzte König deu sich wahnsinnig stellenden Edgar erblickt. In dumpfem Schmerze stiert er die Erscheinung an, und aus der schmerzhaften Um¬ nachtung der Seele, aus der Ahnung des Wahnsinns wird dieser selbst geboren. Wo eine derartige grell tragische Färbung mit dem genrehaft Charakteristischen sich verbindet, wie in Hebbel's Tischler Anton, fühlt sich Döring in seinem Ele¬ mente. Dieser Tischler Anton ist von Anfang bis Ende eine fesselnde und er¬ greifende Meisterdarstellung. Döring hat im Banquier Müller, im Commissionsrath Frosch oft bewiesen, daß er — wenn er will! — keiner gewaltsamen Mittel bedürfe, um die schlagendste komische Wirkung hervorzubringen. Er erscheint in voller Lebenswahrheit, geht, steht und spricht, wie eben diese bestimmte Persönlichkeit gehen, stehen und sprechen würde, wenn sie nicht zwischen Soffiten, Coulissen und Theaterlampen, sondern im Salon oder auf der Straße uns begegnete, und doch weckt jeder neue Zug neue Heiterkeit, neues Gelächter. Diese Sicherheit des Maßes besitzt Döring, wenn er sich von der Liebe zum Beifall nicht fortreißen läßt, überall da, wo er die Wirklichkeit unmittelbar ergreifen und gestalten kann. Mit dem Humor rein idealer Figuren weiß er selten etwas Rechtes anzufangen. Ich meinerseits bin weit davon entfernt, ihm einen großen Vorwurf daraus zu machen, daß er z. B. mit seiner Auffassung des Mephistopheles uoch heute nicht im Klaren ist. Viel¬ mehr bin ich der Meinung, daß diese phantastische Gestalt überhaupt nicht dar¬ stellbar sei. Soll sie aber dennoch, und zwar von Döring dargestellt werden, so gibt es dafür kaum einen andern Weg, als ihr die derbe Sinnlichkeit des Teufels der Volkssage zu geben, wie es Seidelmann stets und auch Döring ohne vieles Grübeln im Anfang seiner Berliner Periode gethan. Mephisto ist allerdings in allegorischer Verbildlichnng die eine der zwei Na¬ turen, welche in der Seele des Faust mit einander kämpfen; sie springt aus seinem Wesen in die Vorstellung seiner Phantasie, die sich in ihr bespiegelt. Hiernach wäre wol das Richtigste, dem zum Genusse des Lebens sich rüstenden Faust in der „Spottgeburt von Dreck und Feuer" die Versunkenheit in entgeistigter Sinnlichkeit als persönliches Ebenbild in verzerrter Gestalt gegenüberzustellen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/144>, abgerufen am 16.05.2024.