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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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vermag nur derjenige Schauspieler, der in der Seele des lebendigen Menschen
gelesen und geforscht. Döring hat sich mit seinem Talent und seinen künstlerischen
Zielen ans die richtige Bahn geworfen, und wenn ihn seine Fähigkeit, in mannig¬
facher Abstufung den Ton zu coloriren, wenn ihn sein Haschen nach Effect jetzt
noch mehr als sonst in das Komödiantische sich verirren läßt, so ist das nicht
eine Folge seiner Kunstrichtung, sondern die Folge eines persönlichen Mangels an
innerem Maß und künstlerischer Bescheidenheit, einer Vermischung äußerlicher Zwecke
mit Zielen der Kunst. Döring's Spiel ist oft so forcirt und manierirt, im Gan¬
zen so ungleich, weil es im tiefern Grunde doch mehr auf der Virtuosität eines
ungewöhnlich reichen Talents, als auf einer vollendet durchgebildeten Kunst und
stilvollen Technik beruht. Döring hat nicht die Beharrlichkeit ausdauernder Ar¬
beit gehabt und ist in seiner einträglichen Berliner Stellung eher künstlerisch ge¬
sunken als künstlerisch gestiegen. Leider findet sich dies allzu häufig gerade bei
solchen Schauspielern, welche, auf ein reiches Capital von Naturgaben gestützt,
A. G. sich die öffentliche Anerkennung im Sturm erobern.




Polnische Dörfer.
3.

Folgen Sie mir aus dem Bauerndorf auf den Edelhof. Er ist vom Dorfe
getrennt, und beide liegen zuweilen weit von einander ab. Vielleicht soll die
Entfernung den Abstand des Adels vom Bauernstande andeuten. Allein in der
Erscheinung ist kein großer Unterschied zwischen ihm und dem Dorfe. Die Brand-
stistungslust der Bauern macht eine sehr weitläufige Aufstellung der Gebäude
nöthig, daher findet man sie in der Negel wie die Häuser einer Kolonie über
einen großen Flächenraum zerstreut. Die scheuen stehen oft tief im Felde und
scheinen gar nicht zu den übrigen Gebäuden zu gehören. Die Ställe und der
Speicher befinden sich auf verschiedenen Seiten näher dem Wohnhaus, am nächsten
dem Pferdestall, denn die Pferde sind die Lieblinge des Herrn, obgleich wegen der
schlechten Züchtung oft elende krüppelhafte Thiere. Der Gutsherr nennt seinen
Pferdestall Marstall, er ist aber in der Regel nicht mehr, als ein ungeheurer
Kasten von Bohlen oder rohen Baumstämmen.

Sein Wohnhaus nennt der Edelmann ?alao ^Palast), weil er selbst ein
jasnie vielmol-Q^ ?an (ein erlauchter und viclvermögcnder Herr ist). Daß die
Mitglieder des polnischen Adels einst unter blutigen Prügeleien "Könige gemacht"
haben, das wird nie von ihnen vergessen werden und bläst sie durch alle Ge-


vermag nur derjenige Schauspieler, der in der Seele des lebendigen Menschen
gelesen und geforscht. Döring hat sich mit seinem Talent und seinen künstlerischen
Zielen ans die richtige Bahn geworfen, und wenn ihn seine Fähigkeit, in mannig¬
facher Abstufung den Ton zu coloriren, wenn ihn sein Haschen nach Effect jetzt
noch mehr als sonst in das Komödiantische sich verirren läßt, so ist das nicht
eine Folge seiner Kunstrichtung, sondern die Folge eines persönlichen Mangels an
innerem Maß und künstlerischer Bescheidenheit, einer Vermischung äußerlicher Zwecke
mit Zielen der Kunst. Döring's Spiel ist oft so forcirt und manierirt, im Gan¬
zen so ungleich, weil es im tiefern Grunde doch mehr auf der Virtuosität eines
ungewöhnlich reichen Talents, als auf einer vollendet durchgebildeten Kunst und
stilvollen Technik beruht. Döring hat nicht die Beharrlichkeit ausdauernder Ar¬
beit gehabt und ist in seiner einträglichen Berliner Stellung eher künstlerisch ge¬
sunken als künstlerisch gestiegen. Leider findet sich dies allzu häufig gerade bei
solchen Schauspielern, welche, auf ein reiches Capital von Naturgaben gestützt,
A. G. sich die öffentliche Anerkennung im Sturm erobern.




Polnische Dörfer.
3.

Folgen Sie mir aus dem Bauerndorf auf den Edelhof. Er ist vom Dorfe
getrennt, und beide liegen zuweilen weit von einander ab. Vielleicht soll die
Entfernung den Abstand des Adels vom Bauernstande andeuten. Allein in der
Erscheinung ist kein großer Unterschied zwischen ihm und dem Dorfe. Die Brand-
stistungslust der Bauern macht eine sehr weitläufige Aufstellung der Gebäude
nöthig, daher findet man sie in der Negel wie die Häuser einer Kolonie über
einen großen Flächenraum zerstreut. Die scheuen stehen oft tief im Felde und
scheinen gar nicht zu den übrigen Gebäuden zu gehören. Die Ställe und der
Speicher befinden sich auf verschiedenen Seiten näher dem Wohnhaus, am nächsten
dem Pferdestall, denn die Pferde sind die Lieblinge des Herrn, obgleich wegen der
schlechten Züchtung oft elende krüppelhafte Thiere. Der Gutsherr nennt seinen
Pferdestall Marstall, er ist aber in der Regel nicht mehr, als ein ungeheurer
Kasten von Bohlen oder rohen Baumstämmen.

Sein Wohnhaus nennt der Edelmann ?alao ^Palast), weil er selbst ein
jasnie vielmol-Q^ ?an (ein erlauchter und viclvermögcnder Herr ist). Daß die
Mitglieder des polnischen Adels einst unter blutigen Prügeleien „Könige gemacht"
haben, das wird nie von ihnen vergessen werden und bläst sie durch alle Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/148>, abgerufen am 29.04.2024.