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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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auch der tüchtigste Landwirth ermüdet. Das Verhältniß zwischen Bauern und
Edelmann demoralisirt die Arbeitskraft des Landes, zwingt die Wirthschaften,
auf niedrigster Stufe zu bleiben, verhindert den Gutsherrn, die Intelligenz
seiner Zeit zu seinem Vortheile zu benutzen, und erhält die polnischen Dörfer
traurig und armselig, die polnischen Wirthschaften in einem Zustand wilder, lüder-
licher Unordnung^




Die modernen Girondisten.

Nachdem wir in den Zeiten des Kampfes von den Fanatikern der Revolution
und von den Fanatikern der Reaction die widersprechendsten Angriffe erfahren
mußten, lehnen sich jetzt die eigentlichen Spießbürger, die Vertreter der ideenlosen
Masse, gegen uns ans. Sie adoptiren die Stichworte von beiden Seiten und
fügen neue Erfindungen hinzu. Am pikantesten ist der Vergleich der Gethaner
mit den Girondisten, welche, wie einer jener Vertreter sein durch daS Stu¬
dium Montesquieu's noch nicht entnervtes Publicum belehrt, eine Partei in
der französischen Revolution waren. Wir erfahren denn unter Anderm den uns
bis jetzt nicht bekannten Umstand, daß die Führer unserer Partei, wie jene
der' alten Gironde, vorzugsweise Belletristen waren, und so wissen denn
die Vincke, die Arnim, die Gagern, die Dahlmann, die Camphausen n. s. w.
jetzt den eigentlichen Grund, warum sie im Staatsleben nicht reusstrt haben.
Für unser Publicum, welches in den philosophischen Kategorien des Spießburger-
thums noch nicht so eingeschult ist, bemerken wir beiläufig, daß der Ausdruck
Belletristen hier Diejenigen bezeichnen soll, welche einen Ekel vor unanständigen
Dingen haben. Es kommt nur darauf an, daß man sich verständigt. Ich glaube,
daß nach jener Definition sich anch ein Vincke die Bezeichnung eines Belletristen
gefallen lassen wird. Wir sind allerdings belletristisch genug gewesen, um, uns
vor der Gemeinschaft mit Ohm und Seinesgleichen zu scheuen; belletristisch genug,
um jesuitische Rechtsverdrehungen, Eidbrüche und dergleichen auch vom ästhetischen
Standpunkte zu mißbilligen; belletristisch genng, um uns nicht mit frommer Re¬
signation in alle die angeblichen Wirklichkeiten zu finden, die uns von der Laune
der augenblicklichen Machthaber als solche aufgebürdet werden sollten.

Es kaun uns diese Polemik eine Genugthuung sein für die Angriffe von
Seiten unsrer eigentlichen politischen Gegner aus den beiden extremen Parteien, die
oft genug den Kunstgriff gebraucht haben, die Begriffe Bürgerthum und Spieß-
bürgerthum mit einander zu verwechseln und uns als Philister zu brandmarken,
weil wir das Bürgerthum vertraten. Dem eigentlichen Philister sind die Ideen
des Bürgerthums ebenso zuwider, als die des Adels oder des Volks; ihm sind


Grenzvotcn. II. I8SI. 19

auch der tüchtigste Landwirth ermüdet. Das Verhältniß zwischen Bauern und
Edelmann demoralisirt die Arbeitskraft des Landes, zwingt die Wirthschaften,
auf niedrigster Stufe zu bleiben, verhindert den Gutsherrn, die Intelligenz
seiner Zeit zu seinem Vortheile zu benutzen, und erhält die polnischen Dörfer
traurig und armselig, die polnischen Wirthschaften in einem Zustand wilder, lüder-
licher Unordnung^




Die modernen Girondisten.

Nachdem wir in den Zeiten des Kampfes von den Fanatikern der Revolution
und von den Fanatikern der Reaction die widersprechendsten Angriffe erfahren
mußten, lehnen sich jetzt die eigentlichen Spießbürger, die Vertreter der ideenlosen
Masse, gegen uns ans. Sie adoptiren die Stichworte von beiden Seiten und
fügen neue Erfindungen hinzu. Am pikantesten ist der Vergleich der Gethaner
mit den Girondisten, welche, wie einer jener Vertreter sein durch daS Stu¬
dium Montesquieu's noch nicht entnervtes Publicum belehrt, eine Partei in
der französischen Revolution waren. Wir erfahren denn unter Anderm den uns
bis jetzt nicht bekannten Umstand, daß die Führer unserer Partei, wie jene
der' alten Gironde, vorzugsweise Belletristen waren, und so wissen denn
die Vincke, die Arnim, die Gagern, die Dahlmann, die Camphausen n. s. w.
jetzt den eigentlichen Grund, warum sie im Staatsleben nicht reusstrt haben.
Für unser Publicum, welches in den philosophischen Kategorien des Spießburger-
thums noch nicht so eingeschult ist, bemerken wir beiläufig, daß der Ausdruck
Belletristen hier Diejenigen bezeichnen soll, welche einen Ekel vor unanständigen
Dingen haben. Es kommt nur darauf an, daß man sich verständigt. Ich glaube,
daß nach jener Definition sich anch ein Vincke die Bezeichnung eines Belletristen
gefallen lassen wird. Wir sind allerdings belletristisch genug gewesen, um, uns
vor der Gemeinschaft mit Ohm und Seinesgleichen zu scheuen; belletristisch genug,
um jesuitische Rechtsverdrehungen, Eidbrüche und dergleichen auch vom ästhetischen
Standpunkte zu mißbilligen; belletristisch genng, um uns nicht mit frommer Re¬
signation in alle die angeblichen Wirklichkeiten zu finden, die uns von der Laune
der augenblicklichen Machthaber als solche aufgebürdet werden sollten.

Es kaun uns diese Polemik eine Genugthuung sein für die Angriffe von
Seiten unsrer eigentlichen politischen Gegner aus den beiden extremen Parteien, die
oft genug den Kunstgriff gebraucht haben, die Begriffe Bürgerthum und Spieß-
bürgerthum mit einander zu verwechseln und uns als Philister zu brandmarken,
weil wir das Bürgerthum vertraten. Dem eigentlichen Philister sind die Ideen
des Bürgerthums ebenso zuwider, als die des Adels oder des Volks; ihm sind


Grenzvotcn. II. I8SI. 19
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[0157] auch der tüchtigste Landwirth ermüdet. Das Verhältniß zwischen Bauern und Edelmann demoralisirt die Arbeitskraft des Landes, zwingt die Wirthschaften, auf niedrigster Stufe zu bleiben, verhindert den Gutsherrn, die Intelligenz seiner Zeit zu seinem Vortheile zu benutzen, und erhält die polnischen Dörfer traurig und armselig, die polnischen Wirthschaften in einem Zustand wilder, lüder- licher Unordnung^ Die modernen Girondisten. Nachdem wir in den Zeiten des Kampfes von den Fanatikern der Revolution und von den Fanatikern der Reaction die widersprechendsten Angriffe erfahren mußten, lehnen sich jetzt die eigentlichen Spießbürger, die Vertreter der ideenlosen Masse, gegen uns ans. Sie adoptiren die Stichworte von beiden Seiten und fügen neue Erfindungen hinzu. Am pikantesten ist der Vergleich der Gethaner mit den Girondisten, welche, wie einer jener Vertreter sein durch daS Stu¬ dium Montesquieu's noch nicht entnervtes Publicum belehrt, eine Partei in der französischen Revolution waren. Wir erfahren denn unter Anderm den uns bis jetzt nicht bekannten Umstand, daß die Führer unserer Partei, wie jene der' alten Gironde, vorzugsweise Belletristen waren, und so wissen denn die Vincke, die Arnim, die Gagern, die Dahlmann, die Camphausen n. s. w. jetzt den eigentlichen Grund, warum sie im Staatsleben nicht reusstrt haben. Für unser Publicum, welches in den philosophischen Kategorien des Spießburger- thums noch nicht so eingeschult ist, bemerken wir beiläufig, daß der Ausdruck Belletristen hier Diejenigen bezeichnen soll, welche einen Ekel vor unanständigen Dingen haben. Es kommt nur darauf an, daß man sich verständigt. Ich glaube, daß nach jener Definition sich anch ein Vincke die Bezeichnung eines Belletristen gefallen lassen wird. Wir sind allerdings belletristisch genug gewesen, um, uns vor der Gemeinschaft mit Ohm und Seinesgleichen zu scheuen; belletristisch genug, um jesuitische Rechtsverdrehungen, Eidbrüche und dergleichen auch vom ästhetischen Standpunkte zu mißbilligen; belletristisch genng, um uns nicht mit frommer Re¬ signation in alle die angeblichen Wirklichkeiten zu finden, die uns von der Laune der augenblicklichen Machthaber als solche aufgebürdet werden sollten. Es kaun uns diese Polemik eine Genugthuung sein für die Angriffe von Seiten unsrer eigentlichen politischen Gegner aus den beiden extremen Parteien, die oft genug den Kunstgriff gebraucht haben, die Begriffe Bürgerthum und Spieß- bürgerthum mit einander zu verwechseln und uns als Philister zu brandmarken, weil wir das Bürgerthum vertraten. Dem eigentlichen Philister sind die Ideen des Bürgerthums ebenso zuwider, als die des Adels oder des Volks; ihm sind Grenzvotcn. II. I8SI. 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/157>, abgerufen am 28.04.2024.