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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Freilich sprechen auch Grunde der politischen Opportunist dafür. Floren¬
court gehört zu jenen politischen Dilettanten, die seit dem Anfange dieses Jahr¬
hunderts eine so unerhörte Verwirrung in allen Begriffen vom Staate und von
her Kirche angerichtet haben. Mit derselben Coquetterie und Selbstvergötterung,
welche die Schlegel, die Adam Mutter, die Gentz, die Görres auszeichnet, hat
er in allen Fragen, welche die Zeit bewegten, seine Subjectivität hervorgekehrt
und nur Dasjenige an ihnen aufgesucht, was seine Figur in ein günstiges und
interessantes Licht setzen konnte. Solche Leute fangen damit an, die Schwächen
ihrer eigenen Partei, die sie natürlich besser kennen müssen, als die ihrer Gegner,
hervorzusuchen, und im Dünkel ihrer angeblichen Entdeckung sich als die einzigen
Vertreter des reinen Princips zu betrachten; dann gewahren sie mit einiger Be-
fremdung, daß die nämliche Entdeckung schon von den Gegnern gemacht ist; sie
ahnen eine geheime Seelenverwandtschaft und finden dieselbe anch leicht heraus,
da sie sich auf einen einzelnen Punkt capriciren; zuletzt treibt sie aber ihr Eigen¬
sinn und der Aerger über fortdauernde Verkennung dahin, sich kopfüber ans die
feindliche Seite zu stürzen. Man pflegt dann von der Ehrlichkeit solcher Leute
zu sprechen, wenn nicht gerade jeder ihrer Schritte durch einen bestimmten Geld¬
gewinn bedingt ist; man sollte aber gerade diese Molluskennatur, die sich aus
Eitelkeit jeder beliebigen Form bequemt, einmal der gründlichsten Verachtung
preisgeben, weil sie das Erbübel ist, an dem wir Deutsche leiden. In dieser
Beziehung haben wir doch seit 1848 einen starken Fortschritt gemacht; es haben
sich seitdem bestimmt geschlossene Parteien gebildet, und der Abfall trifft nicht
blos mehr das Princip, sondern es ist ein Verrath an der sittlichen Gemein¬
schaft.




Die Absetzung der Professoren Haupt, Jahr und
Mommsen.
Ans

Es ist durch die Ueberspannung des Jahres 1848 in unsern Nerven eine
solche Erschlaffung eingetreten, daß ein starkes Reizmittel dazu gehört, um ihnen
überhaupt nur eine Bewegung zu entlocken. Zwar fühlt sich so ziemlich alle Welt
unbehaglich in den neuen Zuständen, allein die Dinge gehen ihren Gang mit
einer solchen schläfrigen Regelmäßigkeit, daß man nur allzu geneigt wäre, sich in
das alte träumerische Wesen zu verlieren, wenn nicht von Zeit zu Zeit die Re¬
gierungen dafür sorgten, durch einen recht ausfallenden Zug daran zu erinnern,
daß der Boden, aus dem wir stehen, noch immer ein schwankender ist. Es sind
nicht die Flüchtlinge in London, die mit ihren echten oder erdichteten lächerlichen
Manifesten und Zwangsanleihen das Bewußtsein über die Unsicherheit unserer


Freilich sprechen auch Grunde der politischen Opportunist dafür. Floren¬
court gehört zu jenen politischen Dilettanten, die seit dem Anfange dieses Jahr¬
hunderts eine so unerhörte Verwirrung in allen Begriffen vom Staate und von
her Kirche angerichtet haben. Mit derselben Coquetterie und Selbstvergötterung,
welche die Schlegel, die Adam Mutter, die Gentz, die Görres auszeichnet, hat
er in allen Fragen, welche die Zeit bewegten, seine Subjectivität hervorgekehrt
und nur Dasjenige an ihnen aufgesucht, was seine Figur in ein günstiges und
interessantes Licht setzen konnte. Solche Leute fangen damit an, die Schwächen
ihrer eigenen Partei, die sie natürlich besser kennen müssen, als die ihrer Gegner,
hervorzusuchen, und im Dünkel ihrer angeblichen Entdeckung sich als die einzigen
Vertreter des reinen Princips zu betrachten; dann gewahren sie mit einiger Be-
fremdung, daß die nämliche Entdeckung schon von den Gegnern gemacht ist; sie
ahnen eine geheime Seelenverwandtschaft und finden dieselbe anch leicht heraus,
da sie sich auf einen einzelnen Punkt capriciren; zuletzt treibt sie aber ihr Eigen¬
sinn und der Aerger über fortdauernde Verkennung dahin, sich kopfüber ans die
feindliche Seite zu stürzen. Man pflegt dann von der Ehrlichkeit solcher Leute
zu sprechen, wenn nicht gerade jeder ihrer Schritte durch einen bestimmten Geld¬
gewinn bedingt ist; man sollte aber gerade diese Molluskennatur, die sich aus
Eitelkeit jeder beliebigen Form bequemt, einmal der gründlichsten Verachtung
preisgeben, weil sie das Erbübel ist, an dem wir Deutsche leiden. In dieser
Beziehung haben wir doch seit 1848 einen starken Fortschritt gemacht; es haben
sich seitdem bestimmt geschlossene Parteien gebildet, und der Abfall trifft nicht
blos mehr das Princip, sondern es ist ein Verrath an der sittlichen Gemein¬
schaft.




Die Absetzung der Professoren Haupt, Jahr und
Mommsen.
Ans

Es ist durch die Ueberspannung des Jahres 1848 in unsern Nerven eine
solche Erschlaffung eingetreten, daß ein starkes Reizmittel dazu gehört, um ihnen
überhaupt nur eine Bewegung zu entlocken. Zwar fühlt sich so ziemlich alle Welt
unbehaglich in den neuen Zuständen, allein die Dinge gehen ihren Gang mit
einer solchen schläfrigen Regelmäßigkeit, daß man nur allzu geneigt wäre, sich in
das alte träumerische Wesen zu verlieren, wenn nicht von Zeit zu Zeit die Re¬
gierungen dafür sorgten, durch einen recht ausfallenden Zug daran zu erinnern,
daß der Boden, aus dem wir stehen, noch immer ein schwankender ist. Es sind
nicht die Flüchtlinge in London, die mit ihren echten oder erdichteten lächerlichen
Manifesten und Zwangsanleihen das Bewußtsein über die Unsicherheit unserer


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[0202] Freilich sprechen auch Grunde der politischen Opportunist dafür. Floren¬ court gehört zu jenen politischen Dilettanten, die seit dem Anfange dieses Jahr¬ hunderts eine so unerhörte Verwirrung in allen Begriffen vom Staate und von her Kirche angerichtet haben. Mit derselben Coquetterie und Selbstvergötterung, welche die Schlegel, die Adam Mutter, die Gentz, die Görres auszeichnet, hat er in allen Fragen, welche die Zeit bewegten, seine Subjectivität hervorgekehrt und nur Dasjenige an ihnen aufgesucht, was seine Figur in ein günstiges und interessantes Licht setzen konnte. Solche Leute fangen damit an, die Schwächen ihrer eigenen Partei, die sie natürlich besser kennen müssen, als die ihrer Gegner, hervorzusuchen, und im Dünkel ihrer angeblichen Entdeckung sich als die einzigen Vertreter des reinen Princips zu betrachten; dann gewahren sie mit einiger Be- fremdung, daß die nämliche Entdeckung schon von den Gegnern gemacht ist; sie ahnen eine geheime Seelenverwandtschaft und finden dieselbe anch leicht heraus, da sie sich auf einen einzelnen Punkt capriciren; zuletzt treibt sie aber ihr Eigen¬ sinn und der Aerger über fortdauernde Verkennung dahin, sich kopfüber ans die feindliche Seite zu stürzen. Man pflegt dann von der Ehrlichkeit solcher Leute zu sprechen, wenn nicht gerade jeder ihrer Schritte durch einen bestimmten Geld¬ gewinn bedingt ist; man sollte aber gerade diese Molluskennatur, die sich aus Eitelkeit jeder beliebigen Form bequemt, einmal der gründlichsten Verachtung preisgeben, weil sie das Erbübel ist, an dem wir Deutsche leiden. In dieser Beziehung haben wir doch seit 1848 einen starken Fortschritt gemacht; es haben sich seitdem bestimmt geschlossene Parteien gebildet, und der Abfall trifft nicht blos mehr das Princip, sondern es ist ein Verrath an der sittlichen Gemein¬ schaft. Die Absetzung der Professoren Haupt, Jahr und Mommsen. Ans Es ist durch die Ueberspannung des Jahres 1848 in unsern Nerven eine solche Erschlaffung eingetreten, daß ein starkes Reizmittel dazu gehört, um ihnen überhaupt nur eine Bewegung zu entlocken. Zwar fühlt sich so ziemlich alle Welt unbehaglich in den neuen Zuständen, allein die Dinge gehen ihren Gang mit einer solchen schläfrigen Regelmäßigkeit, daß man nur allzu geneigt wäre, sich in das alte träumerische Wesen zu verlieren, wenn nicht von Zeit zu Zeit die Re¬ gierungen dafür sorgten, durch einen recht ausfallenden Zug daran zu erinnern, daß der Boden, aus dem wir stehen, noch immer ein schwankender ist. Es sind nicht die Flüchtlinge in London, die mit ihren echten oder erdichteten lächerlichen Manifesten und Zwangsanleihen das Bewußtsein über die Unsicherheit unserer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/202>, abgerufen am 28.04.2024.