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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Zustände wach erhalten, nicht die gemüthliche Miene, mit welcher die zuschauende
Demokratie von Zeit zu Zeit über die Vorgänge des Tages gravitätisch den
Kopf schüttelt, es wird vielmehr von oben her das Gefühl, daß wir inmitten einer
Revolution stehen, von Zeit zu Zeit in's Gedächtniß gerufen.

Die so ebeu erfolgte Absetzung der Leipziger Professoren Haupt, Jahr und
Mommsen ist in diesem Sinne betrachtet eine sehr ernsthafte Begebenheit. Sie
ist so auffallend in der neuern deutschen Entwickelung, daß sie nur eine Analogie
in der Göttinger Geschichte von 1838 findet. Allein auch diese war in vieler
Beziehung begreiflicher. Der König von Hannover vertrieb im Bewußtsein einer
siegenden Contrerevolution in einem Zeitpunkt, wo der Kampf noch nicht in allen
Stadien beendigt war, die politischen Gegner, die ihm offen den Fehdehandschuh
hinzuwerfen wagten; es war die Entscheidung einer überlegenen Gewalt, nicht einer
Rechtsdeduction, und in diesem Sinne hat es auch das deutsche Volk, haben es
selbst die Regierungen aufgefaßt, die kurze Zeit darauf den vertriebenen Professoren
in ihren Staaten eine Stelle gaben.

Die sächsische Regierung hat die Sache nicht in dieser einfachen Form be¬
handelt, sie operirt wenigstens theilweise mit Rechtsdednctionen. Jene Professoren
waren der Theilnahme an den Maiereignissen bezüchtigt, und zwei von ihnen in
erster Instanz verurtheilt und in Folge dessen nach der Bestimmung des Gesetzes
vorläufig von ihrem Amte suspendirt, in zweiter Instanz dagegen wurden sie alle
drei freigesprochen, wenn auch mit dem in Sachsen noch üblichen Zusatz, "wegen
Mangels mehrerer Beweise". Dieser Zusatz gibt der Regierung das Recht, nach
Ermessen die Absetzung eintreten zu lassen, und sie hat geglaubt, sich dieses Rechtes
bedienen zu müssen.

Wenn wir die Natur jener Freisprechung betrachten, so ergibt es sich, daß
sie nichts Andres bedeutet, 'als was bei den Geschworenen eine vollständige Frei¬
sprechung sein würde; sie stimmt genan mit der Freisprechung Waldeck's überein.
Von einer moralischen Pflicht der Regierung, die ungenügende richterliche Strafe
durch eine Disciplinarstrafe zu ergänzen, kann also nicht die Rede sein. Unzwei¬
felhaft aber hat jene Vollmacht in den Händen der Regierung keinen andern Sinn.
Unmöglich kann man sich vorstellen, daß sie etwa darum ihnen ertheilt sein sollte,
sonstige politische Zwecke durch Einschiebung eines rechtlichen Motivs bequemer
zu verfolgen.

In diesem Fall war die Negierung in der Lage, sich über die Freisprechung
der Angeklagten freuen zu müssen. Die Verurtheilung jener Männer hätte die
Universität Leipzig, deren Kräfte gegew die frühere Zeit ans eine sehr bedenkliche
Weise in Nachtheil stehen, einiger ihrer größten Zierden beraubt, denn der wissen¬
schaftliche Werth jener Männer ist noch in neuester Zeit an competenter Stelle
aus die glänzendste Weise anerkannt worden, und ihre Ersetzung ist unmöglich.
Im Interesse ihres eigenen Staats mußte also die Regierung die Gelegenheit,


Zustände wach erhalten, nicht die gemüthliche Miene, mit welcher die zuschauende
Demokratie von Zeit zu Zeit über die Vorgänge des Tages gravitätisch den
Kopf schüttelt, es wird vielmehr von oben her das Gefühl, daß wir inmitten einer
Revolution stehen, von Zeit zu Zeit in's Gedächtniß gerufen.

Die so ebeu erfolgte Absetzung der Leipziger Professoren Haupt, Jahr und
Mommsen ist in diesem Sinne betrachtet eine sehr ernsthafte Begebenheit. Sie
ist so auffallend in der neuern deutschen Entwickelung, daß sie nur eine Analogie
in der Göttinger Geschichte von 1838 findet. Allein auch diese war in vieler
Beziehung begreiflicher. Der König von Hannover vertrieb im Bewußtsein einer
siegenden Contrerevolution in einem Zeitpunkt, wo der Kampf noch nicht in allen
Stadien beendigt war, die politischen Gegner, die ihm offen den Fehdehandschuh
hinzuwerfen wagten; es war die Entscheidung einer überlegenen Gewalt, nicht einer
Rechtsdeduction, und in diesem Sinne hat es auch das deutsche Volk, haben es
selbst die Regierungen aufgefaßt, die kurze Zeit darauf den vertriebenen Professoren
in ihren Staaten eine Stelle gaben.

Die sächsische Regierung hat die Sache nicht in dieser einfachen Form be¬
handelt, sie operirt wenigstens theilweise mit Rechtsdednctionen. Jene Professoren
waren der Theilnahme an den Maiereignissen bezüchtigt, und zwei von ihnen in
erster Instanz verurtheilt und in Folge dessen nach der Bestimmung des Gesetzes
vorläufig von ihrem Amte suspendirt, in zweiter Instanz dagegen wurden sie alle
drei freigesprochen, wenn auch mit dem in Sachsen noch üblichen Zusatz, „wegen
Mangels mehrerer Beweise". Dieser Zusatz gibt der Regierung das Recht, nach
Ermessen die Absetzung eintreten zu lassen, und sie hat geglaubt, sich dieses Rechtes
bedienen zu müssen.

Wenn wir die Natur jener Freisprechung betrachten, so ergibt es sich, daß
sie nichts Andres bedeutet, 'als was bei den Geschworenen eine vollständige Frei¬
sprechung sein würde; sie stimmt genan mit der Freisprechung Waldeck's überein.
Von einer moralischen Pflicht der Regierung, die ungenügende richterliche Strafe
durch eine Disciplinarstrafe zu ergänzen, kann also nicht die Rede sein. Unzwei¬
felhaft aber hat jene Vollmacht in den Händen der Regierung keinen andern Sinn.
Unmöglich kann man sich vorstellen, daß sie etwa darum ihnen ertheilt sein sollte,
sonstige politische Zwecke durch Einschiebung eines rechtlichen Motivs bequemer
zu verfolgen.

In diesem Fall war die Negierung in der Lage, sich über die Freisprechung
der Angeklagten freuen zu müssen. Die Verurtheilung jener Männer hätte die
Universität Leipzig, deren Kräfte gegew die frühere Zeit ans eine sehr bedenkliche
Weise in Nachtheil stehen, einiger ihrer größten Zierden beraubt, denn der wissen¬
schaftliche Werth jener Männer ist noch in neuester Zeit an competenter Stelle
aus die glänzendste Weise anerkannt worden, und ihre Ersetzung ist unmöglich.
Im Interesse ihres eigenen Staats mußte also die Regierung die Gelegenheit,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/203>, abgerufen am 13.05.2024.