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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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dem enthält das Stück barockere Züge, als irgend ein anderes von Kleist, Züge,
die mitunter an Hoffmann erinnern; so namentlich die Entpnppung der schönen
Kunigunde, die sich als ein ausgestopftes Scheusal erweist, ohne daß irgend ein
dramatisches oder ästhetisches Motiv bei dieser Verwandlung zu erkennen wäre.

Fassen wir das Ergebniß dieser einzelnen Reflexionen zusammen, so werden
wir in Kleist einen der wenigen Dichter unsrer Nestanrationsliteratnr erkennen,
die das Zeitalter zu überleben bestimmt sind. Er hat mit Arnim, Brentano,
Hoffmann u. s. w. die wirklich poetische Anlage und die krankhafte Richtung des
Gemüthes gemein, aber er unterscheidet sich wesentlich von ihnen durch die Energie
und Vollendung der Form. Auch in seinen besten Werken wird uns zuweilen
die Erinnerung an sein unglückliches Schicksal unheimlich berühren, aber in allen
werden wir die hohe poetische Kraft, die echt Deutsche Gesinnung und das leiden¬
I. S. schaftlich bewegte Herz wiederfinden.




Skizzen aus Straßburg und dem Elsaß.

Es ist ein schönes, von der Natur reich gesegnetes Land, mit tüchtigen, streb-
samen und intelligenten Bewohnern, dieser Elsaß, eine der wohlhabendsten der
Provinzen Frankreichs. Man kann diese blühenden Städte, in denen, wie be¬
sonders in Kolmar und Mühlhausen, eine arbeitsame Industrie sich regt, diese
üppigen Weizenflnren, gut bebauten Nebhügel, grünen Wälder nicht ohne Trauer
und Zorn, daß "us Alles dies für immer verloren gegangen ist, durchwandeln.
Aber hat unsern Deutschen Fürsten dies schmachvolle Beispiel, wohin Deutsche
Uneinigkeit und Schwäche sührt, wol im Mindesten Etwas genützt, sind wir
nicht eben wieder im Begriff, einen andern unsrer besten, edelsten Gauen,
das unglückliche Schleswig-Holstein, einem fremden Feinde hinzuopfern?

Daß man sich in Frankreich befindet, fühlt man schon bei dem ersten Schritt,
den man auf Elsassischen Boden thut, wenn man die nicht sehr breite Rheinbrücke
bei Kehl passirt hat. Schon der kleine, rothhosige Soldat, der in bequemer,
nachlässiger und dabei doch wieder militärischer Haltung sich auf sein Gewehr
lehnt, hat einen ganz andern Typus, wie sein Badischer Kamerad, der nur
etwa zwanzig Schritte weit von ihm postirt ist. Es ist Sitte in Frankreich, die
Regimenter hänfig wechseln zu lassen, und so sind denn manche der zahlreichen
Soldaten in Straßbnrg Sohne der Gascogne oder Provence.

Was Einem gleich beim ersten Schritt auf Französischem Boden jetzt in die
Augen fällt, und was man bis zum Ueberdruß auf jedem öffentlichen Gebäude,
von dem größten Palast bis zum kleinsten Schuppen, der zur Aufbewahrung der
Dreckkarren dient, angepinselt sieht, sind die großen Worte: "?i'0More nationale,


Grenzboten. II. I8S1. 43

dem enthält das Stück barockere Züge, als irgend ein anderes von Kleist, Züge,
die mitunter an Hoffmann erinnern; so namentlich die Entpnppung der schönen
Kunigunde, die sich als ein ausgestopftes Scheusal erweist, ohne daß irgend ein
dramatisches oder ästhetisches Motiv bei dieser Verwandlung zu erkennen wäre.

Fassen wir das Ergebniß dieser einzelnen Reflexionen zusammen, so werden
wir in Kleist einen der wenigen Dichter unsrer Nestanrationsliteratnr erkennen,
die das Zeitalter zu überleben bestimmt sind. Er hat mit Arnim, Brentano,
Hoffmann u. s. w. die wirklich poetische Anlage und die krankhafte Richtung des
Gemüthes gemein, aber er unterscheidet sich wesentlich von ihnen durch die Energie
und Vollendung der Form. Auch in seinen besten Werken wird uns zuweilen
die Erinnerung an sein unglückliches Schicksal unheimlich berühren, aber in allen
werden wir die hohe poetische Kraft, die echt Deutsche Gesinnung und das leiden¬
I. S. schaftlich bewegte Herz wiederfinden.




Skizzen aus Straßburg und dem Elsaß.

Es ist ein schönes, von der Natur reich gesegnetes Land, mit tüchtigen, streb-
samen und intelligenten Bewohnern, dieser Elsaß, eine der wohlhabendsten der
Provinzen Frankreichs. Man kann diese blühenden Städte, in denen, wie be¬
sonders in Kolmar und Mühlhausen, eine arbeitsame Industrie sich regt, diese
üppigen Weizenflnren, gut bebauten Nebhügel, grünen Wälder nicht ohne Trauer
und Zorn, daß »us Alles dies für immer verloren gegangen ist, durchwandeln.
Aber hat unsern Deutschen Fürsten dies schmachvolle Beispiel, wohin Deutsche
Uneinigkeit und Schwäche sührt, wol im Mindesten Etwas genützt, sind wir
nicht eben wieder im Begriff, einen andern unsrer besten, edelsten Gauen,
das unglückliche Schleswig-Holstein, einem fremden Feinde hinzuopfern?

Daß man sich in Frankreich befindet, fühlt man schon bei dem ersten Schritt,
den man auf Elsassischen Boden thut, wenn man die nicht sehr breite Rheinbrücke
bei Kehl passirt hat. Schon der kleine, rothhosige Soldat, der in bequemer,
nachlässiger und dabei doch wieder militärischer Haltung sich auf sein Gewehr
lehnt, hat einen ganz andern Typus, wie sein Badischer Kamerad, der nur
etwa zwanzig Schritte weit von ihm postirt ist. Es ist Sitte in Frankreich, die
Regimenter hänfig wechseln zu lassen, und so sind denn manche der zahlreichen
Soldaten in Straßbnrg Sohne der Gascogne oder Provence.

Was Einem gleich beim ersten Schritt auf Französischem Boden jetzt in die
Augen fällt, und was man bis zum Ueberdruß auf jedem öffentlichen Gebäude,
von dem größten Palast bis zum kleinsten Schuppen, der zur Aufbewahrung der
Dreckkarren dient, angepinselt sieht, sind die großen Worte: „?i'0More nationale,


Grenzboten. II. I8S1. 43
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/349>, abgerufen am 29.04.2024.