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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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fürstin, die mit ihren Frauen in die unbekannten Heermassen stürmt, um sich schone
Jünglinge zu ihrem Rosenfest zu erobern, und in Achilles der Conflict zwischen
dem Stolz des unbesieglichen Kriegers und der Liebe zu dem schönen Weibe, das
ist ein Stoff, der nur für die exclnsiye Welt gehört, weil er das allgemein Mensch¬
liche nicht berührt. Man hat daher, so viel ich weiß, die Tragödie nicht auf
die Bühne gebracht, und ganz mit Recht. Zwar ist die Sprache höchst poetisch,
der Wahnsinn der Leidenschaft mit jener fieberhaften Gluth wiedergegeben, deren '
selten ein Dichter so Herr war, aber diese Wuth erregt doch immer nur Ent¬
setzen, keine Erschütterung. Man wird bei der Penthefilea ""willkürlich an die
Rachel erinnert, welche zwar die Rolle, weil sie bis in die kleinste" Züge hinein
ausgeführt ist, nicht spielen, wol aber ähnliche Sprünge der Stimmung und der
Leide"schaft sich selber ersinnen könnte, und in deren Erscheinung, wie im poetische"
Talent, sich so wenig Classisches findet, als in dieser seltsame" Figur. Außerdem
steht Kleist i" diesem Stück Hebbel am Nächsten, und Charaktere des Letztern,
wie Judith oder Golo,' können sich neben diese Amazone stellen, deren tigerartig
bacchantische Wuth mit der wunderbarsten, anmuthigsten Naivetät zersetzt ist. Im
Allgemeinen dürfte aber jenes Problem, die sogenannte poetische Welt, d. h. die
Welt der freien Individualität, aus allen Schranken der Natur und des Gesetzes
zu reißen, als ein undramatisches bezeichnet werden.

Ueberhaupt ist Kleist in seinen männlichen Charakteren glücklicher, als in
seinen weiblichen, obgleich die Kühnheit der letzter" Anerkennung verdient. Im
Käthchen vo" Heilbronn (18-10), dem einzigen Drama von Kleist, welches
noch dazu in einer schlechten Bearbeitung ein Zugstück unsrer Bühnen geworden
ist, wahrscheinlich weil man es mit den sonstigen Ritter- und Ränberstücken in
eine Kategorie stellte, ist die Mystik der Liebe ans eine ebenso häßliche als un¬
natürliche Art auf die Spitze getrieben. Käthchen ist das Gegenbild der Pen¬
thefilea, die demüthige, hingebende Natur, die aber in ihrer Demuth fast ebenso
gewaltsam und herausfordernd ist, als Penthefilea in ihrem Zorn. Während
nun das Ritterthum, welches das Costum dieses Gemäldes bildet, namentlich in
der Person des Grafen Wetter vom Strahl, vortrefflich gezeichnet ist, bricht in
diese reale, sonnenhelle Welt ein gespenstischer Schein, mit dem Kleist nicht um-
zugehen weiß. Bei audern Romantikern ist die übernatürliche, die teuflische oder
die seraphische Welt die eigentliche Heimath, in welche sich die stanbgebornen
Menschen als Fremdlinge verlieren; bei einem so realistischen Dichter dagegen
wie Kleist versteht man nicht, was man mit diesem persönlich auftretenden Cherub,
mit diesem somnambulen Doppelleben, welches die Seele von dem Körper trennt,
und mit diesem Zauber, der die keusche Natur des schüchternen Mädchens in ihr
Gegentheil verkehrt, eigentlich machen soll. Je plastischer diese der Darstellung
unfähige Welt ausgeführt wird, je mehr wirklich poetische, d. h. menschlich ver¬
ständliche Züge sich hineinmischen, desto unheimlicher wird uns zu Muthe. Außer-


fürstin, die mit ihren Frauen in die unbekannten Heermassen stürmt, um sich schone
Jünglinge zu ihrem Rosenfest zu erobern, und in Achilles der Conflict zwischen
dem Stolz des unbesieglichen Kriegers und der Liebe zu dem schönen Weibe, das
ist ein Stoff, der nur für die exclnsiye Welt gehört, weil er das allgemein Mensch¬
liche nicht berührt. Man hat daher, so viel ich weiß, die Tragödie nicht auf
die Bühne gebracht, und ganz mit Recht. Zwar ist die Sprache höchst poetisch,
der Wahnsinn der Leidenschaft mit jener fieberhaften Gluth wiedergegeben, deren '
selten ein Dichter so Herr war, aber diese Wuth erregt doch immer nur Ent¬
setzen, keine Erschütterung. Man wird bei der Penthefilea »»willkürlich an die
Rachel erinnert, welche zwar die Rolle, weil sie bis in die kleinste» Züge hinein
ausgeführt ist, nicht spielen, wol aber ähnliche Sprünge der Stimmung und der
Leide»schaft sich selber ersinnen könnte, und in deren Erscheinung, wie im poetische»
Talent, sich so wenig Classisches findet, als in dieser seltsame» Figur. Außerdem
steht Kleist i» diesem Stück Hebbel am Nächsten, und Charaktere des Letztern,
wie Judith oder Golo,' können sich neben diese Amazone stellen, deren tigerartig
bacchantische Wuth mit der wunderbarsten, anmuthigsten Naivetät zersetzt ist. Im
Allgemeinen dürfte aber jenes Problem, die sogenannte poetische Welt, d. h. die
Welt der freien Individualität, aus allen Schranken der Natur und des Gesetzes
zu reißen, als ein undramatisches bezeichnet werden.

Ueberhaupt ist Kleist in seinen männlichen Charakteren glücklicher, als in
seinen weiblichen, obgleich die Kühnheit der letzter» Anerkennung verdient. Im
Käthchen vo» Heilbronn (18-10), dem einzigen Drama von Kleist, welches
noch dazu in einer schlechten Bearbeitung ein Zugstück unsrer Bühnen geworden
ist, wahrscheinlich weil man es mit den sonstigen Ritter- und Ränberstücken in
eine Kategorie stellte, ist die Mystik der Liebe ans eine ebenso häßliche als un¬
natürliche Art auf die Spitze getrieben. Käthchen ist das Gegenbild der Pen¬
thefilea, die demüthige, hingebende Natur, die aber in ihrer Demuth fast ebenso
gewaltsam und herausfordernd ist, als Penthefilea in ihrem Zorn. Während
nun das Ritterthum, welches das Costum dieses Gemäldes bildet, namentlich in
der Person des Grafen Wetter vom Strahl, vortrefflich gezeichnet ist, bricht in
diese reale, sonnenhelle Welt ein gespenstischer Schein, mit dem Kleist nicht um-
zugehen weiß. Bei audern Romantikern ist die übernatürliche, die teuflische oder
die seraphische Welt die eigentliche Heimath, in welche sich die stanbgebornen
Menschen als Fremdlinge verlieren; bei einem so realistischen Dichter dagegen
wie Kleist versteht man nicht, was man mit diesem persönlich auftretenden Cherub,
mit diesem somnambulen Doppelleben, welches die Seele von dem Körper trennt,
und mit diesem Zauber, der die keusche Natur des schüchternen Mädchens in ihr
Gegentheil verkehrt, eigentlich machen soll. Je plastischer diese der Darstellung
unfähige Welt ausgeführt wird, je mehr wirklich poetische, d. h. menschlich ver¬
ständliche Züge sich hineinmischen, desto unheimlicher wird uns zu Muthe. Außer-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/348>, abgerufen am 15.05.2024.