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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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scher Wahrheit. Aber ein Charakter ist's, wenn auch ein unklarer; er wäre wahr¬
scheinlich in bürgerlichen Verhältnissen rothdemokratisch, wenn er nicht rothultra-
montau wäre. Es ist Graf Arco-Valley.

"Der Gesetzentwurf ist mit den Modificationen des Ausschusses mit 29 gegen
7 Stimmen angenommen, und ich ersuche den ersten Herrn Secretair der
hohen Versammlung, die diesfällsige Rückäußerung an die Kammer der Ab¬
geordneten vorzulesen." Es geschieht. "Wenn keines der hohen Mitglieder Etwas
dagegen einzuwenden hat, so erkläre ich die Sitzung für geschlossen."

Sitzordnungsmäßig bewegt sich der Zug aus dem Saale. -- Ist dort der
kurze, gedrungene Mann mit dem schweigsamen Antlitz nicht Friedrich Heinz, der
Schöpfer der Justizreformen? Er ist's, aber verstummt in diesem Saale bei allen
Fragen, die nicht rein juristischer Natur. Da kämpft er noch im Sinne des
Vorschritts, wie er beim Gerichtsorganisationsgesetz und neuestens bei der Notariats¬
ordnung bewiesen. Aber unter der lastenden Wucht der Unzugänglichkeit der hier
alleinherrschenden Elemente vernichtet sich endlich jede Reformkraft. Und jene
beiden aristokratischen Gestalten? -- die beiden nenernannten Reichsrathe, Fürst
Thurn und Taxis, der Sieger in Kurhessen, und Graf Quadt-Jsly. Sie gehören
der Mehrheit. Der Erstere war unter jenen sieben, welche vor wenigen Tagen
das Notariatsgesetz verwerfen wollten. Gelänge es dieser Kammer, woran fort¬
während gearbeitet wird, das jetzige Ministerium zu stürzen, bildete sie einen
neuen Kronrath, dann könnte möglicher Weise die Herrschaftsperiode Abel eine
hyperliberale heißen. Aber dann käme Baiern auch binnen Kurzem zu Ent¬
scheidungen, wie man sie, bisher für unmöglich hielt.




Der Harz und seine Bewohner.
ii.

. Es ist ein alter Ruhm des Harzes, daß hier Niemand nach dem Passe ge¬
fragt wird, und so bemerkt der Reisende wol die zahlreichen Grenzen nicht einmal,
die ohne Sinn und Verstand hier die Wiesen und Wälder kreuzen; aber der Hannö-
versche Skandal bei den Märschen der Badischen Truppen erinnerte nur zu laut
an sie. Auch kommt das versteckte Gift in einem Krebsgeschwür an der Moralität
der Bevölkerung zum Vorschein, denn eine nicht unbedeutende Anzahl von den
Bewohnern der Grenzörter besteht ans Schmugglern, hier Contrebandeure genannt.
Bis Braunschweig dem Zollverein beitrat, waren selbst die größern Städte am
Fuße des Gebirges, Halberstadt, Quedlinburg und Blankenburg, voll von Paschern,
die, wie man fast sprichwörtlich sagte, zu Allem sähig waren; als diese brodlos


scher Wahrheit. Aber ein Charakter ist's, wenn auch ein unklarer; er wäre wahr¬
scheinlich in bürgerlichen Verhältnissen rothdemokratisch, wenn er nicht rothultra-
montau wäre. Es ist Graf Arco-Valley.

„Der Gesetzentwurf ist mit den Modificationen des Ausschusses mit 29 gegen
7 Stimmen angenommen, und ich ersuche den ersten Herrn Secretair der
hohen Versammlung, die diesfällsige Rückäußerung an die Kammer der Ab¬
geordneten vorzulesen." Es geschieht. „Wenn keines der hohen Mitglieder Etwas
dagegen einzuwenden hat, so erkläre ich die Sitzung für geschlossen."

Sitzordnungsmäßig bewegt sich der Zug aus dem Saale. — Ist dort der
kurze, gedrungene Mann mit dem schweigsamen Antlitz nicht Friedrich Heinz, der
Schöpfer der Justizreformen? Er ist's, aber verstummt in diesem Saale bei allen
Fragen, die nicht rein juristischer Natur. Da kämpft er noch im Sinne des
Vorschritts, wie er beim Gerichtsorganisationsgesetz und neuestens bei der Notariats¬
ordnung bewiesen. Aber unter der lastenden Wucht der Unzugänglichkeit der hier
alleinherrschenden Elemente vernichtet sich endlich jede Reformkraft. Und jene
beiden aristokratischen Gestalten? — die beiden nenernannten Reichsrathe, Fürst
Thurn und Taxis, der Sieger in Kurhessen, und Graf Quadt-Jsly. Sie gehören
der Mehrheit. Der Erstere war unter jenen sieben, welche vor wenigen Tagen
das Notariatsgesetz verwerfen wollten. Gelänge es dieser Kammer, woran fort¬
während gearbeitet wird, das jetzige Ministerium zu stürzen, bildete sie einen
neuen Kronrath, dann könnte möglicher Weise die Herrschaftsperiode Abel eine
hyperliberale heißen. Aber dann käme Baiern auch binnen Kurzem zu Ent¬
scheidungen, wie man sie, bisher für unmöglich hielt.




Der Harz und seine Bewohner.
ii.

. Es ist ein alter Ruhm des Harzes, daß hier Niemand nach dem Passe ge¬
fragt wird, und so bemerkt der Reisende wol die zahlreichen Grenzen nicht einmal,
die ohne Sinn und Verstand hier die Wiesen und Wälder kreuzen; aber der Hannö-
versche Skandal bei den Märschen der Badischen Truppen erinnerte nur zu laut
an sie. Auch kommt das versteckte Gift in einem Krebsgeschwür an der Moralität
der Bevölkerung zum Vorschein, denn eine nicht unbedeutende Anzahl von den
Bewohnern der Grenzörter besteht ans Schmugglern, hier Contrebandeure genannt.
Bis Braunschweig dem Zollverein beitrat, waren selbst die größern Städte am
Fuße des Gebirges, Halberstadt, Quedlinburg und Blankenburg, voll von Paschern,
die, wie man fast sprichwörtlich sagte, zu Allem sähig waren; als diese brodlos


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[0499] scher Wahrheit. Aber ein Charakter ist's, wenn auch ein unklarer; er wäre wahr¬ scheinlich in bürgerlichen Verhältnissen rothdemokratisch, wenn er nicht rothultra- montau wäre. Es ist Graf Arco-Valley. „Der Gesetzentwurf ist mit den Modificationen des Ausschusses mit 29 gegen 7 Stimmen angenommen, und ich ersuche den ersten Herrn Secretair der hohen Versammlung, die diesfällsige Rückäußerung an die Kammer der Ab¬ geordneten vorzulesen." Es geschieht. „Wenn keines der hohen Mitglieder Etwas dagegen einzuwenden hat, so erkläre ich die Sitzung für geschlossen." Sitzordnungsmäßig bewegt sich der Zug aus dem Saale. — Ist dort der kurze, gedrungene Mann mit dem schweigsamen Antlitz nicht Friedrich Heinz, der Schöpfer der Justizreformen? Er ist's, aber verstummt in diesem Saale bei allen Fragen, die nicht rein juristischer Natur. Da kämpft er noch im Sinne des Vorschritts, wie er beim Gerichtsorganisationsgesetz und neuestens bei der Notariats¬ ordnung bewiesen. Aber unter der lastenden Wucht der Unzugänglichkeit der hier alleinherrschenden Elemente vernichtet sich endlich jede Reformkraft. Und jene beiden aristokratischen Gestalten? — die beiden nenernannten Reichsrathe, Fürst Thurn und Taxis, der Sieger in Kurhessen, und Graf Quadt-Jsly. Sie gehören der Mehrheit. Der Erstere war unter jenen sieben, welche vor wenigen Tagen das Notariatsgesetz verwerfen wollten. Gelänge es dieser Kammer, woran fort¬ während gearbeitet wird, das jetzige Ministerium zu stürzen, bildete sie einen neuen Kronrath, dann könnte möglicher Weise die Herrschaftsperiode Abel eine hyperliberale heißen. Aber dann käme Baiern auch binnen Kurzem zu Ent¬ scheidungen, wie man sie, bisher für unmöglich hielt. Der Harz und seine Bewohner. ii. . Es ist ein alter Ruhm des Harzes, daß hier Niemand nach dem Passe ge¬ fragt wird, und so bemerkt der Reisende wol die zahlreichen Grenzen nicht einmal, die ohne Sinn und Verstand hier die Wiesen und Wälder kreuzen; aber der Hannö- versche Skandal bei den Märschen der Badischen Truppen erinnerte nur zu laut an sie. Auch kommt das versteckte Gift in einem Krebsgeschwür an der Moralität der Bevölkerung zum Vorschein, denn eine nicht unbedeutende Anzahl von den Bewohnern der Grenzörter besteht ans Schmugglern, hier Contrebandeure genannt. Bis Braunschweig dem Zollverein beitrat, waren selbst die größern Städte am Fuße des Gebirges, Halberstadt, Quedlinburg und Blankenburg, voll von Paschern, die, wie man fast sprichwörtlich sagte, zu Allem sähig waren; als diese brodlos

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/499>, abgerufen am 29.04.2024.