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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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wurden, erhielt Halberstadt ihretwegen noch einen besondern Polizeicom-
missarius. Aus dem Hannöverschen kommen blasse, unheimliche Männer mit großen
Narben am Kopfe als versprengte Freischärler noch jetzt weit in's Preußische
hinein, und bieten ihre Contrebande hier und da bei den Honoratioren geheimni߬
voll zu Spottpreisen ans. -- Die Ländertausche waren im Harz von jeher zu
Hause, wobei zuweilen, um der Verwirrung die Krone aufzusetzen, der Wald vor¬
behalten wurde.

Nachdem die Grafen vou Stolberg-Stolberg und Stolberg-Wernigerode media-
tisirt find, haben noch Preußen, Anhalt-Bernburg, Braunschweig und Hannover
Antheil am Harz. Den freundlichsten Eindruck macht das Anhaltische Harzland, das
durch die Anlagen des verstorbenen Herzogs einem einzigen großen Garten gleicht;
die Straßen schlängeln sich hier wie Wendeltreppen an den Bergen hinan, und
durch das ganze Land gehen sogar die einspurigen Fürstenwege, die nur von
dem jedesmaligen Landesherrn befahren werden dürfen und mit Gras bewachsen
sind. Bald wird der Braunschweigische Harztheil denselben patriarchalischen Ein¬
druck machen, wenn der Herzog Wilhelm noch lange, ein zürnender Achill, in
Blankenburg verweilt, und seine Wildgattcr immer weiter vorschiebt. Die Stellung
der Grafen von Stolberg war bis zur Revolution noch eine vor dem übrige"
Adel, den Afseburg, Friesen n. s. w., sehr bevorrechtete, und noch jetzt besteht in
Wernigerode ein besonderes Konsistorium. Ihre Ahnherren gehörten zu den
Vierherren und den Landgrafen der alten Sachsen, und kommen schou bei Einhard
als Kampsgefährten Wittekinds gegen die Sorben und Wenden vor. Die übrigen
Harzgrasen waren Blankenburg, Arnstein, Mannsfeld, Wipper, Hohenstein und
Lutterberg. Wie das Christenthum in den Harz gekommen, ist so gut als unbe¬
kannt, jedenfalls mag das Maifest der alten Sachsen, wobei sich die "Hexen"
der Besen zum Wegfegen des Schnees an einzelnen Stellen bedienten,
noch lange nach Karl dem Großen gefeiert sein. Noch im vierzehnten Jahr¬
hundert heißt ein ausnahmsweise von Wenden bewohntes Dorf auf dem Kamm
des Gebirges "das heidnische Stiege".^) Mächtiger als die religiöse Widerstands¬
kraft, welche die Sachsen ihren Eroberern und dem Römisch-Deutschen Kaiserthume
entgegenzusetzen vermochte", war ihre eigentlich nationale Widerstandskraft, welche
in dem "och jetzt im Ammenliede fortlebenden Bischof Buckv von Halberstadt, Hein¬
rich IV. und im Herzog Heinrich dem Löwen, an den sich fast überall noch sagenhafte
und historische Erinnerungen knüpfen, Friedrich dem Rothbart entgegentrat. -- Viele
Burgen geriethen schon während der Kreuzzüge in Verfall; auch stößt man wol
einmal mitten im Felde auf mäßiger Anhöhe ans Wälle und Gräben einer wäh¬
rend der Kreuzzüge begonnenen, aber unvollendet gebliebenen Ritterburg, die noch
immer "das neue Schloß" heißt. Im dreißigjährigen Kriege haben die wackern



*) Seine Einwohner unterscheiden sich noch jetzt vou den übrigen Harzern.

wurden, erhielt Halberstadt ihretwegen noch einen besondern Polizeicom-
missarius. Aus dem Hannöverschen kommen blasse, unheimliche Männer mit großen
Narben am Kopfe als versprengte Freischärler noch jetzt weit in's Preußische
hinein, und bieten ihre Contrebande hier und da bei den Honoratioren geheimni߬
voll zu Spottpreisen ans. — Die Ländertausche waren im Harz von jeher zu
Hause, wobei zuweilen, um der Verwirrung die Krone aufzusetzen, der Wald vor¬
behalten wurde.

Nachdem die Grafen vou Stolberg-Stolberg und Stolberg-Wernigerode media-
tisirt find, haben noch Preußen, Anhalt-Bernburg, Braunschweig und Hannover
Antheil am Harz. Den freundlichsten Eindruck macht das Anhaltische Harzland, das
durch die Anlagen des verstorbenen Herzogs einem einzigen großen Garten gleicht;
die Straßen schlängeln sich hier wie Wendeltreppen an den Bergen hinan, und
durch das ganze Land gehen sogar die einspurigen Fürstenwege, die nur von
dem jedesmaligen Landesherrn befahren werden dürfen und mit Gras bewachsen
sind. Bald wird der Braunschweigische Harztheil denselben patriarchalischen Ein¬
druck machen, wenn der Herzog Wilhelm noch lange, ein zürnender Achill, in
Blankenburg verweilt, und seine Wildgattcr immer weiter vorschiebt. Die Stellung
der Grafen von Stolberg war bis zur Revolution noch eine vor dem übrige»
Adel, den Afseburg, Friesen n. s. w., sehr bevorrechtete, und noch jetzt besteht in
Wernigerode ein besonderes Konsistorium. Ihre Ahnherren gehörten zu den
Vierherren und den Landgrafen der alten Sachsen, und kommen schou bei Einhard
als Kampsgefährten Wittekinds gegen die Sorben und Wenden vor. Die übrigen
Harzgrasen waren Blankenburg, Arnstein, Mannsfeld, Wipper, Hohenstein und
Lutterberg. Wie das Christenthum in den Harz gekommen, ist so gut als unbe¬
kannt, jedenfalls mag das Maifest der alten Sachsen, wobei sich die „Hexen"
der Besen zum Wegfegen des Schnees an einzelnen Stellen bedienten,
noch lange nach Karl dem Großen gefeiert sein. Noch im vierzehnten Jahr¬
hundert heißt ein ausnahmsweise von Wenden bewohntes Dorf auf dem Kamm
des Gebirges „das heidnische Stiege".^) Mächtiger als die religiöse Widerstands¬
kraft, welche die Sachsen ihren Eroberern und dem Römisch-Deutschen Kaiserthume
entgegenzusetzen vermochte», war ihre eigentlich nationale Widerstandskraft, welche
in dem »och jetzt im Ammenliede fortlebenden Bischof Buckv von Halberstadt, Hein¬
rich IV. und im Herzog Heinrich dem Löwen, an den sich fast überall noch sagenhafte
und historische Erinnerungen knüpfen, Friedrich dem Rothbart entgegentrat. — Viele
Burgen geriethen schon während der Kreuzzüge in Verfall; auch stößt man wol
einmal mitten im Felde auf mäßiger Anhöhe ans Wälle und Gräben einer wäh¬
rend der Kreuzzüge begonnenen, aber unvollendet gebliebenen Ritterburg, die noch
immer „das neue Schloß" heißt. Im dreißigjährigen Kriege haben die wackern



*) Seine Einwohner unterscheiden sich noch jetzt vou den übrigen Harzern.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/500>, abgerufen am 15.05.2024.