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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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klingenden Namen zu bereichern! Der seiner Person zu leistende Eid vollends
hat einen geheimen Sturm heraufbeschworen, selbst in der Armee, und es wird
ihm kaum Anderes übrig bleiben, als von dieser Maßregel wieder zurückzukommen,
wie von den Wahlen nach Registern auch. Louis Napoleon scheint an seine
Sieben Millionen Stimmen selbst zu glauben, und es geht ihm in dieser Be¬
ziehung nicht besser, als deu anderen Regierungen. Diese haben Frankreich da¬
durch zu Grunde gerichtet, daß sie seine Ueberraschung, seine Servilität im Mo¬
mente der Uebermannung für freiwillige Ergebenheit nahmen und vergaßen, daß
jeder Tag in diesem vielbeweglicher Volke neue Veränderungen hervorruft. Die
Leute, die ich in den ersten Tagen nach dem Gelingen des unbegreiflichen Er¬
eignisses ganz betrübt und verzweifelt herumgehen sah, sind nun wieder anßer
sich, weil selbst die Neactionaire vom reinsten Wasser Halloh schreien. Diese
Opposition, die sich langsam, aber mit unwiderstehlicher Zuversicht geltend macheu
muß, wird uns nur um so größeren Druck von oben bereiten, bis die Geschichte
eines schönen Morgens platzen wird, wenn man es am wenigsten erwarten dürfte.
Die Kaiserparodie werden wir aber aller Wahrscheinlichkeit nach doch noch zu verwin¬
den haben, und Augustulus nach Augustus ist schon da gewesen, und wird noch
ein Blatt in der Geschichte füllen. Die Legitimisten, die schon ihren Grund¬
sätzen gemäß an diese Entwickelung glauben müssen, wünschen sie herbei, weil sie
hoffen, dann um so sicherer an die Reihe zu kommen. Louis Napoleon erweist
ihnen aber einen schlechten Dienst, indem er sie von den Verfolgungen der Or-
leanisten ausnimmt. Das Märtyrerthum dieser kann sich in einem gegebenen Mo¬
mente leicht besser rentiren, als gut wäre.




Neue Bücher.

Drei Operndichtungen nebst einer Mittheilung an seine Freunde,
von Richard Wagner. Leipzig, Breitkopf und Härtel. -- Bei der unermüdlichen
Thätigkeit Wagner's sind wir sehr schnell in die Lage gesetzt, auf die Kritik seiner vor
einigen Monaten erschienenen Schrift über Oper und Drama hier eine zweite folgen zu
lassen. Er erklärt in der Vorrede, daß er nun zum letzten Male als Literat dem Pu-
blicum gegenübertrete; seine nächste Leistung werde das Kunstwerk der Zukunft sein, mit
dessen Erscheinen er früher die Menschheit ans die Zeit vertröstet hatte, wo die Staaten
abgeschafft sein würden. Bei der begeisterten Theilnahme, die er jetzt in Weimar ge¬
funden, concentrirt sich ihm die Vorstellung der idealen Menschheit aus den Localbegriff
Weimar. Dort wird in einem eigens dazu angesetzten, vier Abende hindurch währenden
Fest sein Kunstwerk der Zukunft aufgeführt werden, von dem er uns mittheilt, daß es
den Mythus VM Siegfried behandle, und daß es eine praktische Ausführung seiner
neuerdings gewonnenen Theorie über die Alliteration, die Incinandcrbildung der orchesteri¬
schen Motive durch Ahnung und Erinnerung ze. sein werde. Da wir über die Theorie


klingenden Namen zu bereichern! Der seiner Person zu leistende Eid vollends
hat einen geheimen Sturm heraufbeschworen, selbst in der Armee, und es wird
ihm kaum Anderes übrig bleiben, als von dieser Maßregel wieder zurückzukommen,
wie von den Wahlen nach Registern auch. Louis Napoleon scheint an seine
Sieben Millionen Stimmen selbst zu glauben, und es geht ihm in dieser Be¬
ziehung nicht besser, als deu anderen Regierungen. Diese haben Frankreich da¬
durch zu Grunde gerichtet, daß sie seine Ueberraschung, seine Servilität im Mo¬
mente der Uebermannung für freiwillige Ergebenheit nahmen und vergaßen, daß
jeder Tag in diesem vielbeweglicher Volke neue Veränderungen hervorruft. Die
Leute, die ich in den ersten Tagen nach dem Gelingen des unbegreiflichen Er¬
eignisses ganz betrübt und verzweifelt herumgehen sah, sind nun wieder anßer
sich, weil selbst die Neactionaire vom reinsten Wasser Halloh schreien. Diese
Opposition, die sich langsam, aber mit unwiderstehlicher Zuversicht geltend macheu
muß, wird uns nur um so größeren Druck von oben bereiten, bis die Geschichte
eines schönen Morgens platzen wird, wenn man es am wenigsten erwarten dürfte.
Die Kaiserparodie werden wir aber aller Wahrscheinlichkeit nach doch noch zu verwin¬
den haben, und Augustulus nach Augustus ist schon da gewesen, und wird noch
ein Blatt in der Geschichte füllen. Die Legitimisten, die schon ihren Grund¬
sätzen gemäß an diese Entwickelung glauben müssen, wünschen sie herbei, weil sie
hoffen, dann um so sicherer an die Reihe zu kommen. Louis Napoleon erweist
ihnen aber einen schlechten Dienst, indem er sie von den Verfolgungen der Or-
leanisten ausnimmt. Das Märtyrerthum dieser kann sich in einem gegebenen Mo¬
mente leicht besser rentiren, als gut wäre.




Neue Bücher.

Drei Operndichtungen nebst einer Mittheilung an seine Freunde,
von Richard Wagner. Leipzig, Breitkopf und Härtel. — Bei der unermüdlichen
Thätigkeit Wagner's sind wir sehr schnell in die Lage gesetzt, auf die Kritik seiner vor
einigen Monaten erschienenen Schrift über Oper und Drama hier eine zweite folgen zu
lassen. Er erklärt in der Vorrede, daß er nun zum letzten Male als Literat dem Pu-
blicum gegenübertrete; seine nächste Leistung werde das Kunstwerk der Zukunft sein, mit
dessen Erscheinen er früher die Menschheit ans die Zeit vertröstet hatte, wo die Staaten
abgeschafft sein würden. Bei der begeisterten Theilnahme, die er jetzt in Weimar ge¬
funden, concentrirt sich ihm die Vorstellung der idealen Menschheit aus den Localbegriff
Weimar. Dort wird in einem eigens dazu angesetzten, vier Abende hindurch währenden
Fest sein Kunstwerk der Zukunft aufgeführt werden, von dem er uns mittheilt, daß es
den Mythus VM Siegfried behandle, und daß es eine praktische Ausführung seiner
neuerdings gewonnenen Theorie über die Alliteration, die Incinandcrbildung der orchesteri¬
schen Motive durch Ahnung und Erinnerung ze. sein werde. Da wir über die Theorie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/246>, abgerufen am 28.04.2024.