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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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lische Partei das Heidenthum als die Urrevolution betrachtet; es bleibt also
Nichts übrig, als gar Nichts zu sagen und Instrumentalmusik zu machen, oder sich
stumm die Hand 'zu drücken und mit den Augen zu reden. Die große Oper ist
das einzige Kunstinstitut, das sich der hohen Gunst der neuen Herrscher Frank¬
reichs erfreut, weil Herr Roqueplan von jeher ein Anhänger der Staatsstreiche
gewesen. Die große Oper hatte auch die Ehre, dem Prinzen die erste kaiser¬
liche Ovation zu macheu, und, um dem Sänger Roger zu beweisen, daß der
2. December nicht 1a MrrriLv Ä"Z8 wgolveMos ist, zahlt der Prinz sogar die zahl¬
reichen Schulden der ^eÄäLniie.roMe. Der Staat hat die Befriedigung der
Gläubiger aus sich genommen, und die schönen Waden unsrer Tänzerinnen sind
uicht mehr der^ Gefahr ausgesetzt, vou irgend einem Wucherer mit Beschlag be¬
legt zu werdeu. Die komische Oper ist nicht so gut angeschrieben beim Mon-
seigneur der Republik -- Louis Napoleon läßt sich Monseigneur neunen, nicht
blos, weil er ein Prinz ist, soudern weil er der Hauptschlüssel des gegenwärti¬
gen Staatsgebäudes ist, und Alles ans- und einsperrt noie ein guter Dietrich --
als ihre tragische Collegiu von der Rue Lepelletier. Die komische Oper macht
pantomimische Opposition, und Pierrot hatte sogar die Unverschämtheit, zu sa-
^ geu, daß er von Cavenne zurückgekommen sei, und sich dort vortrefflich amüsirt habe.
Dies erklärt Alles, aber unerklärlich bleibt, daß der Pariser solche Albernheiten
als Anlaß zu oppositionellen Applause benutzt, und zur Beschämung der vfft-
ciellen Caque. So weit ist es mit uns gekommen! Diese kleinen Züge schildern
unsre kleine Gesellschaft. Sie mögen berechnen, in was sür Zuständen wir
hier leben, wenn Rothschild als staatsgefährlicher Wühler von der Polizei ver-
mahnt wird. Der Bürgerkrieg hat sich in die Salons geschlichen, und die Epi¬
gramme und scandaleusen Anekdoten ersetzen die Canaans der Journale. Merk¬
würdig ist blos, daß mau jetzt, nachdem man die Presse so gut wie vernichtet, noch
ernstlich an Ausweisung der Journalisten denkt, während man folgerichtig die
Zusammenkunft in den Privatsalons verbieten müßte. Bei der perfiden Klug¬
heit, die Louis Napoleon und seine Helfershelfer an den Tag gelegt, ist es
unbegreiflich , wie er in die Dummheit der Nestauratiouspolitik verfallen kann und
hoffen, die Strömung der öffentlichen Meinung durch so kleinliche Zwangsmaß-
regeln zu stauen. Sein Onkel überränbte die Opposition durch den Kriegslärm
seiner siegenden Armee, und doch stürzte ihn eben dieser gewaltsame Druck, der
dem Lande selbst eine fremde Invasion erträglicher scheinen ließ, als den Schein¬
tod, zu dem es die kaiserliche Polizei verdammt hatte. Jetzt haben wir gar kei¬
nen Ersatz, und sind um so und so viel Revolutionen älter, und die Narren
hoffen, Frankreich werde sich eine solche Tyrannei lange gefallen lassen. Das ist baarer
Unsinn. Wie verrückt die Zeiten seien, dies erhellt unter Anderem auch aus dem
Umstände, daß trotz der ziemlich allgemeinen Verderbtheit Louis Napoleon alle erdenk¬
liche Mühe hat, seinen Senat und seinen Staatsrath mit nur einigermaßen bekannt


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lische Partei das Heidenthum als die Urrevolution betrachtet; es bleibt also
Nichts übrig, als gar Nichts zu sagen und Instrumentalmusik zu machen, oder sich
stumm die Hand 'zu drücken und mit den Augen zu reden. Die große Oper ist
das einzige Kunstinstitut, das sich der hohen Gunst der neuen Herrscher Frank¬
reichs erfreut, weil Herr Roqueplan von jeher ein Anhänger der Staatsstreiche
gewesen. Die große Oper hatte auch die Ehre, dem Prinzen die erste kaiser¬
liche Ovation zu macheu, und, um dem Sänger Roger zu beweisen, daß der
2. December nicht 1a MrrriLv Ä«Z8 wgolveMos ist, zahlt der Prinz sogar die zahl¬
reichen Schulden der ^eÄäLniie.roMe. Der Staat hat die Befriedigung der
Gläubiger aus sich genommen, und die schönen Waden unsrer Tänzerinnen sind
uicht mehr der^ Gefahr ausgesetzt, vou irgend einem Wucherer mit Beschlag be¬
legt zu werdeu. Die komische Oper ist nicht so gut angeschrieben beim Mon-
seigneur der Republik — Louis Napoleon läßt sich Monseigneur neunen, nicht
blos, weil er ein Prinz ist, soudern weil er der Hauptschlüssel des gegenwärti¬
gen Staatsgebäudes ist, und Alles ans- und einsperrt noie ein guter Dietrich —
als ihre tragische Collegiu von der Rue Lepelletier. Die komische Oper macht
pantomimische Opposition, und Pierrot hatte sogar die Unverschämtheit, zu sa-
^ geu, daß er von Cavenne zurückgekommen sei, und sich dort vortrefflich amüsirt habe.
Dies erklärt Alles, aber unerklärlich bleibt, daß der Pariser solche Albernheiten
als Anlaß zu oppositionellen Applause benutzt, und zur Beschämung der vfft-
ciellen Caque. So weit ist es mit uns gekommen! Diese kleinen Züge schildern
unsre kleine Gesellschaft. Sie mögen berechnen, in was sür Zuständen wir
hier leben, wenn Rothschild als staatsgefährlicher Wühler von der Polizei ver-
mahnt wird. Der Bürgerkrieg hat sich in die Salons geschlichen, und die Epi¬
gramme und scandaleusen Anekdoten ersetzen die Canaans der Journale. Merk¬
würdig ist blos, daß mau jetzt, nachdem man die Presse so gut wie vernichtet, noch
ernstlich an Ausweisung der Journalisten denkt, während man folgerichtig die
Zusammenkunft in den Privatsalons verbieten müßte. Bei der perfiden Klug¬
heit, die Louis Napoleon und seine Helfershelfer an den Tag gelegt, ist es
unbegreiflich , wie er in die Dummheit der Nestauratiouspolitik verfallen kann und
hoffen, die Strömung der öffentlichen Meinung durch so kleinliche Zwangsmaß-
regeln zu stauen. Sein Onkel überränbte die Opposition durch den Kriegslärm
seiner siegenden Armee, und doch stürzte ihn eben dieser gewaltsame Druck, der
dem Lande selbst eine fremde Invasion erträglicher scheinen ließ, als den Schein¬
tod, zu dem es die kaiserliche Polizei verdammt hatte. Jetzt haben wir gar kei¬
nen Ersatz, und sind um so und so viel Revolutionen älter, und die Narren
hoffen, Frankreich werde sich eine solche Tyrannei lange gefallen lassen. Das ist baarer
Unsinn. Wie verrückt die Zeiten seien, dies erhellt unter Anderem auch aus dem
Umstände, daß trotz der ziemlich allgemeinen Verderbtheit Louis Napoleon alle erdenk¬
liche Mühe hat, seinen Senat und seinen Staatsrath mit nur einigermaßen bekannt


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[0245] lische Partei das Heidenthum als die Urrevolution betrachtet; es bleibt also Nichts übrig, als gar Nichts zu sagen und Instrumentalmusik zu machen, oder sich stumm die Hand 'zu drücken und mit den Augen zu reden. Die große Oper ist das einzige Kunstinstitut, das sich der hohen Gunst der neuen Herrscher Frank¬ reichs erfreut, weil Herr Roqueplan von jeher ein Anhänger der Staatsstreiche gewesen. Die große Oper hatte auch die Ehre, dem Prinzen die erste kaiser¬ liche Ovation zu macheu, und, um dem Sänger Roger zu beweisen, daß der 2. December nicht 1a MrrriLv Ä«Z8 wgolveMos ist, zahlt der Prinz sogar die zahl¬ reichen Schulden der ^eÄäLniie.roMe. Der Staat hat die Befriedigung der Gläubiger aus sich genommen, und die schönen Waden unsrer Tänzerinnen sind uicht mehr der^ Gefahr ausgesetzt, vou irgend einem Wucherer mit Beschlag be¬ legt zu werdeu. Die komische Oper ist nicht so gut angeschrieben beim Mon- seigneur der Republik — Louis Napoleon läßt sich Monseigneur neunen, nicht blos, weil er ein Prinz ist, soudern weil er der Hauptschlüssel des gegenwärti¬ gen Staatsgebäudes ist, und Alles ans- und einsperrt noie ein guter Dietrich — als ihre tragische Collegiu von der Rue Lepelletier. Die komische Oper macht pantomimische Opposition, und Pierrot hatte sogar die Unverschämtheit, zu sa- ^ geu, daß er von Cavenne zurückgekommen sei, und sich dort vortrefflich amüsirt habe. Dies erklärt Alles, aber unerklärlich bleibt, daß der Pariser solche Albernheiten als Anlaß zu oppositionellen Applause benutzt, und zur Beschämung der vfft- ciellen Caque. So weit ist es mit uns gekommen! Diese kleinen Züge schildern unsre kleine Gesellschaft. Sie mögen berechnen, in was sür Zuständen wir hier leben, wenn Rothschild als staatsgefährlicher Wühler von der Polizei ver- mahnt wird. Der Bürgerkrieg hat sich in die Salons geschlichen, und die Epi¬ gramme und scandaleusen Anekdoten ersetzen die Canaans der Journale. Merk¬ würdig ist blos, daß mau jetzt, nachdem man die Presse so gut wie vernichtet, noch ernstlich an Ausweisung der Journalisten denkt, während man folgerichtig die Zusammenkunft in den Privatsalons verbieten müßte. Bei der perfiden Klug¬ heit, die Louis Napoleon und seine Helfershelfer an den Tag gelegt, ist es unbegreiflich , wie er in die Dummheit der Nestauratiouspolitik verfallen kann und hoffen, die Strömung der öffentlichen Meinung durch so kleinliche Zwangsmaß- regeln zu stauen. Sein Onkel überränbte die Opposition durch den Kriegslärm seiner siegenden Armee, und doch stürzte ihn eben dieser gewaltsame Druck, der dem Lande selbst eine fremde Invasion erträglicher scheinen ließ, als den Schein¬ tod, zu dem es die kaiserliche Polizei verdammt hatte. Jetzt haben wir gar kei¬ nen Ersatz, und sind um so und so viel Revolutionen älter, und die Narren hoffen, Frankreich werde sich eine solche Tyrannei lange gefallen lassen. Das ist baarer Unsinn. Wie verrückt die Zeiten seien, dies erhellt unter Anderem auch aus dem Umstände, daß trotz der ziemlich allgemeinen Verderbtheit Louis Napoleon alle erdenk¬ liche Mühe hat, seinen Senat und seinen Staatsrath mit nur einigermaßen bekannt 30*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/245>, abgerufen am 12.05.2024.