Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
N o b e r t N e i n i et.

Noch sind die Wandervögel, welchen der Dichter so hold war, von
ihrer Winterreise nicht zurückgekehrt; wenn sie wiederkommen, wird das kleine
dumme Volk lustig über das Grab seines Freundes hüpfen und singen. -- Es ist
kein großes, aber ein gesundes und wohlthuendes Dichterleben durch seinen Tod
abgeschlossen, und wohl ist der Verstorbene werth, daß sein ganzes Volk mit
Antheil und Rührung auf seine vollendete Laufbahn schaue.

Robert Reinick (geboren 1805 zu Danzig, geht. den 7. Februar 1852'zu
Dresden) war in Berlin ein Schüler von Begas, ging von da nach Düsseldorf,
machte von dort seine Künstlerreise nach Italien, und ließ sich endlich in Dresden
nieder, wo er in glücklichem Familienleben, in weitem Kreise geachtet und geliebt,
in voller Thätigkeit vom Tode weggerafft wurde. Sein Malertalent war wol
nicht die ausgezeichnetste seiner Begabungen, wenigstens war seine Technik in
Bezug auf Farbe nicht entwickelt; außer einem größern Genrebild, welches der
Dresdner Kunstverein angekauft hat, ist ein Oelgemälde von ihm nicht allge¬
mein bekannt geworden. Sehr gerühmt werden von seinen kunstverständigen
Freunden die flüchtigen Zeichnungen, welche er als Ausbeute von seiner italieni-
schen Reise mitgebracht hat. Dagegen entwickelte sich in dem Verkehr mit Künst¬
lern und in der frohen Geselligkeit des Rheins und der deutschen Colonie zu Rom
bei ihm ein lebhaftes Produciren von Empfindungen und Stimmungen durch den
Vers, welches das Charakteristische hatte, daß ein reines, ehrliches, heiteres
Gemüth in melodischen Klängen anspruchslos seine Freude am Leben und dem
Augenblick aussprach. Auch das künstlerische Gestalten dieser lebhaften Gefühle
wurde ihm nicht leicht; er selbst sagte wol im Scherz, daß ihm dabei immer ein
Stück Seele losgehe; aber das Geschaffene hatte doch die Eigenthümlichkeit, daß
es ganz musikalisch, wie Gesang empfunden war, und deshalb die Componisten
und Sänger zu musikalischer Ausführung mehr aufforderte, als bei berühmteren
Liederdichtern der Fall ist. Die Form, in welcher er seine Lieder am liebsten
schrieb, war die der einfachen Strophen unsrer Volksweisen. Die Empfindungen
und Anschauungen, welche sich in ihnen darstellten, hatten weder große Sprünge,
noch pikante geistreiche Sinnpausen, noch überraschende Pointen; sie waren aber


Grenzboten. I. 1862. /et
N o b e r t N e i n i et.

Noch sind die Wandervögel, welchen der Dichter so hold war, von
ihrer Winterreise nicht zurückgekehrt; wenn sie wiederkommen, wird das kleine
dumme Volk lustig über das Grab seines Freundes hüpfen und singen. — Es ist
kein großes, aber ein gesundes und wohlthuendes Dichterleben durch seinen Tod
abgeschlossen, und wohl ist der Verstorbene werth, daß sein ganzes Volk mit
Antheil und Rührung auf seine vollendete Laufbahn schaue.

Robert Reinick (geboren 1805 zu Danzig, geht. den 7. Februar 1852'zu
Dresden) war in Berlin ein Schüler von Begas, ging von da nach Düsseldorf,
machte von dort seine Künstlerreise nach Italien, und ließ sich endlich in Dresden
nieder, wo er in glücklichem Familienleben, in weitem Kreise geachtet und geliebt,
in voller Thätigkeit vom Tode weggerafft wurde. Sein Malertalent war wol
nicht die ausgezeichnetste seiner Begabungen, wenigstens war seine Technik in
Bezug auf Farbe nicht entwickelt; außer einem größern Genrebild, welches der
Dresdner Kunstverein angekauft hat, ist ein Oelgemälde von ihm nicht allge¬
mein bekannt geworden. Sehr gerühmt werden von seinen kunstverständigen
Freunden die flüchtigen Zeichnungen, welche er als Ausbeute von seiner italieni-
schen Reise mitgebracht hat. Dagegen entwickelte sich in dem Verkehr mit Künst¬
lern und in der frohen Geselligkeit des Rheins und der deutschen Colonie zu Rom
bei ihm ein lebhaftes Produciren von Empfindungen und Stimmungen durch den
Vers, welches das Charakteristische hatte, daß ein reines, ehrliches, heiteres
Gemüth in melodischen Klängen anspruchslos seine Freude am Leben und dem
Augenblick aussprach. Auch das künstlerische Gestalten dieser lebhaften Gefühle
wurde ihm nicht leicht; er selbst sagte wol im Scherz, daß ihm dabei immer ein
Stück Seele losgehe; aber das Geschaffene hatte doch die Eigenthümlichkeit, daß
es ganz musikalisch, wie Gesang empfunden war, und deshalb die Componisten
und Sänger zu musikalischer Ausführung mehr aufforderte, als bei berühmteren
Liederdichtern der Fall ist. Die Form, in welcher er seine Lieder am liebsten
schrieb, war die der einfachen Strophen unsrer Volksweisen. Die Empfindungen
und Anschauungen, welche sich in ihnen darstellten, hatten weder große Sprünge,
noch pikante geistreiche Sinnpausen, noch überraschende Pointen; sie waren aber


Grenzboten. I. 1862. /et
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0331" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93696"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> N o b e r t N e i n i et.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_884"> Noch sind die Wandervögel, welchen der Dichter so hold war, von<lb/>
ihrer Winterreise nicht zurückgekehrt; wenn sie wiederkommen, wird das kleine<lb/>
dumme Volk lustig über das Grab seines Freundes hüpfen und singen. &#x2014; Es ist<lb/>
kein großes, aber ein gesundes und wohlthuendes Dichterleben durch seinen Tod<lb/>
abgeschlossen, und wohl ist der Verstorbene werth, daß sein ganzes Volk mit<lb/>
Antheil und Rührung auf seine vollendete Laufbahn schaue.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_885" next="#ID_886"> Robert Reinick (geboren 1805 zu Danzig, geht. den 7. Februar 1852'zu<lb/>
Dresden) war in Berlin ein Schüler von Begas, ging von da nach Düsseldorf,<lb/>
machte von dort seine Künstlerreise nach Italien, und ließ sich endlich in Dresden<lb/>
nieder, wo er in glücklichem Familienleben, in weitem Kreise geachtet und geliebt,<lb/>
in voller Thätigkeit vom Tode weggerafft wurde. Sein Malertalent war wol<lb/>
nicht die ausgezeichnetste seiner Begabungen, wenigstens war seine Technik in<lb/>
Bezug auf Farbe nicht entwickelt; außer einem größern Genrebild, welches der<lb/>
Dresdner Kunstverein angekauft hat, ist ein Oelgemälde von ihm nicht allge¬<lb/>
mein bekannt geworden. Sehr gerühmt werden von seinen kunstverständigen<lb/>
Freunden die flüchtigen Zeichnungen, welche er als Ausbeute von seiner italieni-<lb/>
schen Reise mitgebracht hat. Dagegen entwickelte sich in dem Verkehr mit Künst¬<lb/>
lern und in der frohen Geselligkeit des Rheins und der deutschen Colonie zu Rom<lb/>
bei ihm ein lebhaftes Produciren von Empfindungen und Stimmungen durch den<lb/>
Vers, welches das Charakteristische hatte, daß ein reines, ehrliches, heiteres<lb/>
Gemüth in melodischen Klängen anspruchslos seine Freude am Leben und dem<lb/>
Augenblick aussprach. Auch das künstlerische Gestalten dieser lebhaften Gefühle<lb/>
wurde ihm nicht leicht; er selbst sagte wol im Scherz, daß ihm dabei immer ein<lb/>
Stück Seele losgehe; aber das Geschaffene hatte doch die Eigenthümlichkeit, daß<lb/>
es ganz musikalisch, wie Gesang empfunden war, und deshalb die Componisten<lb/>
und Sänger zu musikalischer Ausführung mehr aufforderte, als bei berühmteren<lb/>
Liederdichtern der Fall ist. Die Form, in welcher er seine Lieder am liebsten<lb/>
schrieb, war die der einfachen Strophen unsrer Volksweisen. Die Empfindungen<lb/>
und Anschauungen, welche sich in ihnen darstellten, hatten weder große Sprünge,<lb/>
noch pikante geistreiche Sinnpausen, noch überraschende Pointen; sie waren aber</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. I. 1862. /et</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0331] N o b e r t N e i n i et. Noch sind die Wandervögel, welchen der Dichter so hold war, von ihrer Winterreise nicht zurückgekehrt; wenn sie wiederkommen, wird das kleine dumme Volk lustig über das Grab seines Freundes hüpfen und singen. — Es ist kein großes, aber ein gesundes und wohlthuendes Dichterleben durch seinen Tod abgeschlossen, und wohl ist der Verstorbene werth, daß sein ganzes Volk mit Antheil und Rührung auf seine vollendete Laufbahn schaue. Robert Reinick (geboren 1805 zu Danzig, geht. den 7. Februar 1852'zu Dresden) war in Berlin ein Schüler von Begas, ging von da nach Düsseldorf, machte von dort seine Künstlerreise nach Italien, und ließ sich endlich in Dresden nieder, wo er in glücklichem Familienleben, in weitem Kreise geachtet und geliebt, in voller Thätigkeit vom Tode weggerafft wurde. Sein Malertalent war wol nicht die ausgezeichnetste seiner Begabungen, wenigstens war seine Technik in Bezug auf Farbe nicht entwickelt; außer einem größern Genrebild, welches der Dresdner Kunstverein angekauft hat, ist ein Oelgemälde von ihm nicht allge¬ mein bekannt geworden. Sehr gerühmt werden von seinen kunstverständigen Freunden die flüchtigen Zeichnungen, welche er als Ausbeute von seiner italieni- schen Reise mitgebracht hat. Dagegen entwickelte sich in dem Verkehr mit Künst¬ lern und in der frohen Geselligkeit des Rheins und der deutschen Colonie zu Rom bei ihm ein lebhaftes Produciren von Empfindungen und Stimmungen durch den Vers, welches das Charakteristische hatte, daß ein reines, ehrliches, heiteres Gemüth in melodischen Klängen anspruchslos seine Freude am Leben und dem Augenblick aussprach. Auch das künstlerische Gestalten dieser lebhaften Gefühle wurde ihm nicht leicht; er selbst sagte wol im Scherz, daß ihm dabei immer ein Stück Seele losgehe; aber das Geschaffene hatte doch die Eigenthümlichkeit, daß es ganz musikalisch, wie Gesang empfunden war, und deshalb die Componisten und Sänger zu musikalischer Ausführung mehr aufforderte, als bei berühmteren Liederdichtern der Fall ist. Die Form, in welcher er seine Lieder am liebsten schrieb, war die der einfachen Strophen unsrer Volksweisen. Die Empfindungen und Anschauungen, welche sich in ihnen darstellten, hatten weder große Sprünge, noch pikante geistreiche Sinnpausen, noch überraschende Pointen; sie waren aber Grenzboten. I. 1862. /et

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/331
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/331>, abgerufen am 28.04.2024.