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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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mich nie zu breit ausgeführt, nie pretiös ausgedrückt; es war darin eine echt
poetische Empfindung fast immer mit den einfachsten Worten so weit angedeutet,
daß sie einen Eindruck machen konnte. Seine poetische Sprache war eben des¬
halb fast immer singbar und wohllautend, weil sie der einfache und zweckmäßige
Ausdruck eiuer ungeküustelten Empfindung war. Die Stoffe aber, welche er mit
besonderer Vorliebe behandelte, sind echt deutsch, es sind die frohen Gesellen-
und Wanderstimmungen , die Gesänge sorgloser Geselligkeit; immer erscheint der
Mensch in froher Spannung, im frischen Genuß des Lebeus und in gemüthlicher
Wechselwirkung mit Anderen oder mit der ihn umgebenden Natur. Alles thut in
diesen Gedichten in frohster Weise seine Pflicht. Der Specht hackt am Baume
mit Selbstgefühl und Behagen, der Singvogel pfeift sein Lied sehr eifrig und
mit Behagen, und sieht mit Freuden den Menschen unter sich arbeiten, und der
Mann, welcher wandert oder trinkt oder arbeitet, sieht seinerseits mit Behagen
auf Souue und Mond, auf Specht und Amsel, auf seine eigene Liebe und seine
Sehnsucht. Alle thun, was ihres Amtes ist, und erwarten, daß auch der Andere
seine Schuldigkeit thue. Es ist Alles bei ihm in Freundschaft; für jeden Schmerz,
jede Dissonanz giebt es eine Versöhnung, und für jeden menschlichen Zustand finden
sich die wohlwollenden Vertrauten in dem weiten Reiche des Lebens; sind es keine
Menschen, so ist es der Mond, oder der Wald, oder der Sperling, an guten
Kerlchen fehlt es nie und nirgend.

Obgleich der Kreis von Vorstellungen, von Bildern und Gefühlen, in welchen
sich der Dichter mit Vorliebe bewegte, nicht übermäßig weit ist, so wußte er doch
in diesem Kreise mit liebenswürdiger Gewandtheit und mit einer nicht gemachten,
sondern ursprünglichen Lebhaftigkeit des Gefühls aus die reichste und anmuthigste
Weise immer neu und originell zu sein, und wo er nichts Neues brachte, mit
Laune und Zierlichkeit zu variiren. Am meisten natürlich bei solchen Stoffen,
die er am liebsten behandelte, bei seinen Wärter- und Gesellschastsliederu. Viel
that der Kreis von Menschen, in welchen er lebte, sein poetisches Gefühl frisch
zu erhalten. Die Geselligkeit der deutschen Maler hat bekanntlich, wie die unsrer
Studenten, uur anders und mannichfaltiger eine Fülle von gemüthlichen Be-
ziehungen und Formeu, welche den Verkehr derselben uuter einander leicht, fröh¬
lich und anregend machen. Daß viele bedeutende Menschen und große Künstler
an diesem Leben mit ganzer Seele Theil nehmen, und ihre eigene geniale Kraft in un¬
gezwungenen Verkehr mit deu gleichstrebenden spielend in den Kauf geben, erhält
diesem Verkehr, trotz allem burschikosen Wesen, eine gewisse Grazie und Haltung,
welche namentlich den jüngeren Künstlern zu Gute kommt. Reinick gewann in
Italien und in Düsseldorf durch sein schönes Talent, Stimmungen im Liede zu
idealisiren, bald Anerkennung und Geltung. Zwei Künsten angehörig, der
Malerei durch seine Bildung, der Kunst melodischen Gesanges durch sein Talent,
verstand er wie kein Anderer die Gefühle und Schicksale, die Freuden und Leiden


mich nie zu breit ausgeführt, nie pretiös ausgedrückt; es war darin eine echt
poetische Empfindung fast immer mit den einfachsten Worten so weit angedeutet,
daß sie einen Eindruck machen konnte. Seine poetische Sprache war eben des¬
halb fast immer singbar und wohllautend, weil sie der einfache und zweckmäßige
Ausdruck eiuer ungeküustelten Empfindung war. Die Stoffe aber, welche er mit
besonderer Vorliebe behandelte, sind echt deutsch, es sind die frohen Gesellen-
und Wanderstimmungen , die Gesänge sorgloser Geselligkeit; immer erscheint der
Mensch in froher Spannung, im frischen Genuß des Lebeus und in gemüthlicher
Wechselwirkung mit Anderen oder mit der ihn umgebenden Natur. Alles thut in
diesen Gedichten in frohster Weise seine Pflicht. Der Specht hackt am Baume
mit Selbstgefühl und Behagen, der Singvogel pfeift sein Lied sehr eifrig und
mit Behagen, und sieht mit Freuden den Menschen unter sich arbeiten, und der
Mann, welcher wandert oder trinkt oder arbeitet, sieht seinerseits mit Behagen
auf Souue und Mond, auf Specht und Amsel, auf seine eigene Liebe und seine
Sehnsucht. Alle thun, was ihres Amtes ist, und erwarten, daß auch der Andere
seine Schuldigkeit thue. Es ist Alles bei ihm in Freundschaft; für jeden Schmerz,
jede Dissonanz giebt es eine Versöhnung, und für jeden menschlichen Zustand finden
sich die wohlwollenden Vertrauten in dem weiten Reiche des Lebens; sind es keine
Menschen, so ist es der Mond, oder der Wald, oder der Sperling, an guten
Kerlchen fehlt es nie und nirgend.

Obgleich der Kreis von Vorstellungen, von Bildern und Gefühlen, in welchen
sich der Dichter mit Vorliebe bewegte, nicht übermäßig weit ist, so wußte er doch
in diesem Kreise mit liebenswürdiger Gewandtheit und mit einer nicht gemachten,
sondern ursprünglichen Lebhaftigkeit des Gefühls aus die reichste und anmuthigste
Weise immer neu und originell zu sein, und wo er nichts Neues brachte, mit
Laune und Zierlichkeit zu variiren. Am meisten natürlich bei solchen Stoffen,
die er am liebsten behandelte, bei seinen Wärter- und Gesellschastsliederu. Viel
that der Kreis von Menschen, in welchen er lebte, sein poetisches Gefühl frisch
zu erhalten. Die Geselligkeit der deutschen Maler hat bekanntlich, wie die unsrer
Studenten, uur anders und mannichfaltiger eine Fülle von gemüthlichen Be-
ziehungen und Formeu, welche den Verkehr derselben uuter einander leicht, fröh¬
lich und anregend machen. Daß viele bedeutende Menschen und große Künstler
an diesem Leben mit ganzer Seele Theil nehmen, und ihre eigene geniale Kraft in un¬
gezwungenen Verkehr mit deu gleichstrebenden spielend in den Kauf geben, erhält
diesem Verkehr, trotz allem burschikosen Wesen, eine gewisse Grazie und Haltung,
welche namentlich den jüngeren Künstlern zu Gute kommt. Reinick gewann in
Italien und in Düsseldorf durch sein schönes Talent, Stimmungen im Liede zu
idealisiren, bald Anerkennung und Geltung. Zwei Künsten angehörig, der
Malerei durch seine Bildung, der Kunst melodischen Gesanges durch sein Talent,
verstand er wie kein Anderer die Gefühle und Schicksale, die Freuden und Leiden


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[0332] mich nie zu breit ausgeführt, nie pretiös ausgedrückt; es war darin eine echt poetische Empfindung fast immer mit den einfachsten Worten so weit angedeutet, daß sie einen Eindruck machen konnte. Seine poetische Sprache war eben des¬ halb fast immer singbar und wohllautend, weil sie der einfache und zweckmäßige Ausdruck eiuer ungeküustelten Empfindung war. Die Stoffe aber, welche er mit besonderer Vorliebe behandelte, sind echt deutsch, es sind die frohen Gesellen- und Wanderstimmungen , die Gesänge sorgloser Geselligkeit; immer erscheint der Mensch in froher Spannung, im frischen Genuß des Lebeus und in gemüthlicher Wechselwirkung mit Anderen oder mit der ihn umgebenden Natur. Alles thut in diesen Gedichten in frohster Weise seine Pflicht. Der Specht hackt am Baume mit Selbstgefühl und Behagen, der Singvogel pfeift sein Lied sehr eifrig und mit Behagen, und sieht mit Freuden den Menschen unter sich arbeiten, und der Mann, welcher wandert oder trinkt oder arbeitet, sieht seinerseits mit Behagen auf Souue und Mond, auf Specht und Amsel, auf seine eigene Liebe und seine Sehnsucht. Alle thun, was ihres Amtes ist, und erwarten, daß auch der Andere seine Schuldigkeit thue. Es ist Alles bei ihm in Freundschaft; für jeden Schmerz, jede Dissonanz giebt es eine Versöhnung, und für jeden menschlichen Zustand finden sich die wohlwollenden Vertrauten in dem weiten Reiche des Lebens; sind es keine Menschen, so ist es der Mond, oder der Wald, oder der Sperling, an guten Kerlchen fehlt es nie und nirgend. Obgleich der Kreis von Vorstellungen, von Bildern und Gefühlen, in welchen sich der Dichter mit Vorliebe bewegte, nicht übermäßig weit ist, so wußte er doch in diesem Kreise mit liebenswürdiger Gewandtheit und mit einer nicht gemachten, sondern ursprünglichen Lebhaftigkeit des Gefühls aus die reichste und anmuthigste Weise immer neu und originell zu sein, und wo er nichts Neues brachte, mit Laune und Zierlichkeit zu variiren. Am meisten natürlich bei solchen Stoffen, die er am liebsten behandelte, bei seinen Wärter- und Gesellschastsliederu. Viel that der Kreis von Menschen, in welchen er lebte, sein poetisches Gefühl frisch zu erhalten. Die Geselligkeit der deutschen Maler hat bekanntlich, wie die unsrer Studenten, uur anders und mannichfaltiger eine Fülle von gemüthlichen Be- ziehungen und Formeu, welche den Verkehr derselben uuter einander leicht, fröh¬ lich und anregend machen. Daß viele bedeutende Menschen und große Künstler an diesem Leben mit ganzer Seele Theil nehmen, und ihre eigene geniale Kraft in un¬ gezwungenen Verkehr mit deu gleichstrebenden spielend in den Kauf geben, erhält diesem Verkehr, trotz allem burschikosen Wesen, eine gewisse Grazie und Haltung, welche namentlich den jüngeren Künstlern zu Gute kommt. Reinick gewann in Italien und in Düsseldorf durch sein schönes Talent, Stimmungen im Liede zu idealisiren, bald Anerkennung und Geltung. Zwei Künsten angehörig, der Malerei durch seine Bildung, der Kunst melodischen Gesanges durch sein Talent, verstand er wie kein Anderer die Gefühle und Schicksale, die Freuden und Leiden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/332>, abgerufen am 12.05.2024.