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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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C. T. A. Hoffmann und sein Ginsiuß auf die
neuere Literatur

Außer Schiller und Goethe sind es eigentlich nur zwei Dichter, welche das
deutsche Wesen dem Ausland vermittelt haben,. Hoffmann und Heine. In dem
berühmten Buch über Deutschland', geschrieben 1809, veröffentlicht 1814, wagte
Frau von StaÄ, welche die großen Züge unsres poetischen Lebens, mit viel
schärferem Auge und sichereren Takt herausfand, als unsre eigenen Kritiker, nur
schüchtern die Resultate ihres Forschens ihren Landsleuten mitzutheilen. So viel
Wärme sie aufwendet, um die guten Seiten des deutschen Empfindens und Den¬
kens hervorzuheben, so hat man doch immer das Gefühl, daß sie sich in einer
der gebildeten Welt vollkommen fremden Sphäre bewert. Wie in Tacitus' Ger¬
mania merkt man, daß die Ideale, die sie in dem fremden träumerischen Barbaren¬
lande findet, mehr eine Polemik gegen die Verwilderung des Geschmacks und der
Sitten ihrer Heimath sind, als ein naives unmittelbares Wohlgefallen. Nur ein
Paar Jahre vergingen, als Hoffmann's Schriften den Franzosen bekannt wurden,
und augenblicklich nahm die französische Literatur eine Färbung an, die lebhast an
die Dämmerungen und Vistonen der deutschem Romantik erinnerte. Dieselbe Mischung
von Idealismus und Humor, von künstlerischer Begeisterung und von scnrrilen
Einfällen, von phantastischen Nebelbildern und derber Realität wurde das
Ideal der französischen Poesie, bis endlich die Schüler weit über den Meister
hinausgingen. Neuerdings hat sich die englische Poesie in dasselbe Labyrinth
verloren, und dunkle, mystische Figuren, wie Kreisler, Don Juan und die Serapions-
brüder, tauchen mitten unter den heiteren Bildern der Pariser Grisetten und der
Londoner Fuhrleute auf.

In Hoffmann hatten die Ausländer das getreue Abbild der deutschen Ro¬
mantik mit all ihren Stoffen und Formen, aber in einer populairen, handgreif¬
lichen Gestalt. Auch der Masse des deutschen Publicums wurde sie erst durch
Hoffmann vermittelt. Die eigentliche Schule war durchaus exclusiv gewesen. Um
den Prinzen Zerbino, den Alarkos, die Genoveva u. s. w. zu würdigen, war ein
ganz besonderes Abstractionsvermögen nöthig. Hoffmann dagegen wurde von


Grenzboten. I. 4 . ü6
C. T. A. Hoffmann und sein Ginsiuß auf die
neuere Literatur

Außer Schiller und Goethe sind es eigentlich nur zwei Dichter, welche das
deutsche Wesen dem Ausland vermittelt haben,. Hoffmann und Heine. In dem
berühmten Buch über Deutschland', geschrieben 1809, veröffentlicht 1814, wagte
Frau von StaÄ, welche die großen Züge unsres poetischen Lebens, mit viel
schärferem Auge und sichereren Takt herausfand, als unsre eigenen Kritiker, nur
schüchtern die Resultate ihres Forschens ihren Landsleuten mitzutheilen. So viel
Wärme sie aufwendet, um die guten Seiten des deutschen Empfindens und Den¬
kens hervorzuheben, so hat man doch immer das Gefühl, daß sie sich in einer
der gebildeten Welt vollkommen fremden Sphäre bewert. Wie in Tacitus' Ger¬
mania merkt man, daß die Ideale, die sie in dem fremden träumerischen Barbaren¬
lande findet, mehr eine Polemik gegen die Verwilderung des Geschmacks und der
Sitten ihrer Heimath sind, als ein naives unmittelbares Wohlgefallen. Nur ein
Paar Jahre vergingen, als Hoffmann's Schriften den Franzosen bekannt wurden,
und augenblicklich nahm die französische Literatur eine Färbung an, die lebhast an
die Dämmerungen und Vistonen der deutschem Romantik erinnerte. Dieselbe Mischung
von Idealismus und Humor, von künstlerischer Begeisterung und von scnrrilen
Einfällen, von phantastischen Nebelbildern und derber Realität wurde das
Ideal der französischen Poesie, bis endlich die Schüler weit über den Meister
hinausgingen. Neuerdings hat sich die englische Poesie in dasselbe Labyrinth
verloren, und dunkle, mystische Figuren, wie Kreisler, Don Juan und die Serapions-
brüder, tauchen mitten unter den heiteren Bildern der Pariser Grisetten und der
Londoner Fuhrleute auf.

In Hoffmann hatten die Ausländer das getreue Abbild der deutschen Ro¬
mantik mit all ihren Stoffen und Formen, aber in einer populairen, handgreif¬
lichen Gestalt. Auch der Masse des deutschen Publicums wurde sie erst durch
Hoffmann vermittelt. Die eigentliche Schule war durchaus exclusiv gewesen. Um
den Prinzen Zerbino, den Alarkos, die Genoveva u. s. w. zu würdigen, war ein
ganz besonderes Abstractionsvermögen nöthig. Hoffmann dagegen wurde von


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[0451] C. T. A. Hoffmann und sein Ginsiuß auf die neuere Literatur Außer Schiller und Goethe sind es eigentlich nur zwei Dichter, welche das deutsche Wesen dem Ausland vermittelt haben,. Hoffmann und Heine. In dem berühmten Buch über Deutschland', geschrieben 1809, veröffentlicht 1814, wagte Frau von StaÄ, welche die großen Züge unsres poetischen Lebens, mit viel schärferem Auge und sichereren Takt herausfand, als unsre eigenen Kritiker, nur schüchtern die Resultate ihres Forschens ihren Landsleuten mitzutheilen. So viel Wärme sie aufwendet, um die guten Seiten des deutschen Empfindens und Den¬ kens hervorzuheben, so hat man doch immer das Gefühl, daß sie sich in einer der gebildeten Welt vollkommen fremden Sphäre bewert. Wie in Tacitus' Ger¬ mania merkt man, daß die Ideale, die sie in dem fremden träumerischen Barbaren¬ lande findet, mehr eine Polemik gegen die Verwilderung des Geschmacks und der Sitten ihrer Heimath sind, als ein naives unmittelbares Wohlgefallen. Nur ein Paar Jahre vergingen, als Hoffmann's Schriften den Franzosen bekannt wurden, und augenblicklich nahm die französische Literatur eine Färbung an, die lebhast an die Dämmerungen und Vistonen der deutschem Romantik erinnerte. Dieselbe Mischung von Idealismus und Humor, von künstlerischer Begeisterung und von scnrrilen Einfällen, von phantastischen Nebelbildern und derber Realität wurde das Ideal der französischen Poesie, bis endlich die Schüler weit über den Meister hinausgingen. Neuerdings hat sich die englische Poesie in dasselbe Labyrinth verloren, und dunkle, mystische Figuren, wie Kreisler, Don Juan und die Serapions- brüder, tauchen mitten unter den heiteren Bildern der Pariser Grisetten und der Londoner Fuhrleute auf. In Hoffmann hatten die Ausländer das getreue Abbild der deutschen Ro¬ mantik mit all ihren Stoffen und Formen, aber in einer populairen, handgreif¬ lichen Gestalt. Auch der Masse des deutschen Publicums wurde sie erst durch Hoffmann vermittelt. Die eigentliche Schule war durchaus exclusiv gewesen. Um den Prinzen Zerbino, den Alarkos, die Genoveva u. s. w. zu würdigen, war ein ganz besonderes Abstractionsvermögen nöthig. Hoffmann dagegen wurde von Grenzboten. I. 4 . ü6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/451>, abgerufen am 28.04.2024.