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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Jedermann verstanden, trotz seiner phantastischen Ueberschwänglichkeiten. Der
Grund liegt zunächst darin, daß er nicht ins Blaue hinein phantasirt, sondern von
ganz bestimmten concreten Anschauungen ausgeht. Wenn die Schule das Glück
des bedürfnißlosen Vagabondirens, die Heiligkeit der Kunst, die Sinnlichkeit des
Volkslebens zu schildern unternahm, so hatte diese poetische Thätigkeit immer
Etwas von der Natur des Anempfindens, wie bei Madame Melina in Wilhelm
Meister. Hoffmann dagegen war ein tüchtiger Jurist, ein tüchtiger Musiker, ein
tüchtiger Zeichner, und was das Vagabondiren betrifft, so durste er uicht weit
suchen, um die Urbilder seiner Träume und Sympathien zu entdecken. Sein
künstlerischer Enthusiasmus, wie seine Fratzenhaftigkeit, war der reinste Natur¬
wuchs. Weil er das, was er darstellen wollte, nicht erst mühsam zu suchen hatte,
war er auch im Stande, gut zu erzählen, und die Stimmung, die ihn selber
beseelte, deutlich wiederzugeben. So verschroben z. B. die Erfindungen in seinen
Teufelselixiren oder in seinen Nachtstücken sind, so ist dabei doch nichts Gemachtes,
während bei den Gespenstern, welche die Romantiker heraufbeschworen, unendlich
viel Ziererei mit unterläuft, gerade wie bei ihrem Christenthum und ihren mittel¬
alterlichen Visionen.

Diese Unbefangenheit und Natürlichkeit wurde noch durch einen zweiten Um¬
stand gefordert. Die Romantiker wurden zu ihren Schöpfungen fast -ausschließlich
durch philosophische Speculation angeregt. Ihre Intentionen waren sehr weit¬
gehend, und es kostete einige Mühe, sich hineinzuversetzen. Bei Tieck war das
zwar weniger der Fall, und sein glückliches Naturell bewahrte ihn vor vielen der
Verirrungen, in die seine Glaubensbrüder sich einließen, aber ihr Einfluß war
doch zu groß, als daß sich nicht auch bei ihm das Spinngewebe der Abstraction
fortwährend über die heitersten und farbenreichsten Bilder breitete. Man vergleiche
z. B. die "Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders" und "Franz
Sternbald" mit den "Phantasiestücken". Von eigentlicher Gestaltung ist in beiden
wenig die Rede, aber dort ist Alles Theorie, Dogma und Speculation, hier
Alles Empfindung und Anschauung. Eben so verhält es sich mit dem Nahmen
um Tieck's "Phantasus", wenn man ihn mit den "Serapionsbrüdern" vergleicht.
Tieck's Figuren, wenn anch viele Anklänge an wirkliche Persönlichkeiten mit
unterlaufen mögen, sind eigentlich doch nur dazu da, um gewisse Seiten seiner
künstlerischen Ideale zu versinnlichen, in den Serapionsbrüdern dagegen ist Alles
Natur und Beobachtung. Hoffmann hat nie speculirt; er hat sich sowol von
der herrschenden Schulphilosophie, als von den raffinirten Reflexionen der geist¬
reichen Naturalisten, wie wir sie z. B. im Kreise der Nadel antreffen, ganz ent¬
schieden fern gehalten. Seine Gedanken sind daher nie neu und überraschend,
und wenn das auch ein Mangel genannt werden muß, so fördert es doch die
Reinlichkeit und Harmonie seiner Bilder.

Von seinem Leben führen wir nur diejenigen Züge an, die für seine litera-


Jedermann verstanden, trotz seiner phantastischen Ueberschwänglichkeiten. Der
Grund liegt zunächst darin, daß er nicht ins Blaue hinein phantasirt, sondern von
ganz bestimmten concreten Anschauungen ausgeht. Wenn die Schule das Glück
des bedürfnißlosen Vagabondirens, die Heiligkeit der Kunst, die Sinnlichkeit des
Volkslebens zu schildern unternahm, so hatte diese poetische Thätigkeit immer
Etwas von der Natur des Anempfindens, wie bei Madame Melina in Wilhelm
Meister. Hoffmann dagegen war ein tüchtiger Jurist, ein tüchtiger Musiker, ein
tüchtiger Zeichner, und was das Vagabondiren betrifft, so durste er uicht weit
suchen, um die Urbilder seiner Träume und Sympathien zu entdecken. Sein
künstlerischer Enthusiasmus, wie seine Fratzenhaftigkeit, war der reinste Natur¬
wuchs. Weil er das, was er darstellen wollte, nicht erst mühsam zu suchen hatte,
war er auch im Stande, gut zu erzählen, und die Stimmung, die ihn selber
beseelte, deutlich wiederzugeben. So verschroben z. B. die Erfindungen in seinen
Teufelselixiren oder in seinen Nachtstücken sind, so ist dabei doch nichts Gemachtes,
während bei den Gespenstern, welche die Romantiker heraufbeschworen, unendlich
viel Ziererei mit unterläuft, gerade wie bei ihrem Christenthum und ihren mittel¬
alterlichen Visionen.

Diese Unbefangenheit und Natürlichkeit wurde noch durch einen zweiten Um¬
stand gefordert. Die Romantiker wurden zu ihren Schöpfungen fast -ausschließlich
durch philosophische Speculation angeregt. Ihre Intentionen waren sehr weit¬
gehend, und es kostete einige Mühe, sich hineinzuversetzen. Bei Tieck war das
zwar weniger der Fall, und sein glückliches Naturell bewahrte ihn vor vielen der
Verirrungen, in die seine Glaubensbrüder sich einließen, aber ihr Einfluß war
doch zu groß, als daß sich nicht auch bei ihm das Spinngewebe der Abstraction
fortwährend über die heitersten und farbenreichsten Bilder breitete. Man vergleiche
z. B. die „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders" und „Franz
Sternbald" mit den „Phantasiestücken". Von eigentlicher Gestaltung ist in beiden
wenig die Rede, aber dort ist Alles Theorie, Dogma und Speculation, hier
Alles Empfindung und Anschauung. Eben so verhält es sich mit dem Nahmen
um Tieck's „Phantasus", wenn man ihn mit den „Serapionsbrüdern" vergleicht.
Tieck's Figuren, wenn anch viele Anklänge an wirkliche Persönlichkeiten mit
unterlaufen mögen, sind eigentlich doch nur dazu da, um gewisse Seiten seiner
künstlerischen Ideale zu versinnlichen, in den Serapionsbrüdern dagegen ist Alles
Natur und Beobachtung. Hoffmann hat nie speculirt; er hat sich sowol von
der herrschenden Schulphilosophie, als von den raffinirten Reflexionen der geist¬
reichen Naturalisten, wie wir sie z. B. im Kreise der Nadel antreffen, ganz ent¬
schieden fern gehalten. Seine Gedanken sind daher nie neu und überraschend,
und wenn das auch ein Mangel genannt werden muß, so fördert es doch die
Reinlichkeit und Harmonie seiner Bilder.

Von seinem Leben führen wir nur diejenigen Züge an, die für seine litera-


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[0452] Jedermann verstanden, trotz seiner phantastischen Ueberschwänglichkeiten. Der Grund liegt zunächst darin, daß er nicht ins Blaue hinein phantasirt, sondern von ganz bestimmten concreten Anschauungen ausgeht. Wenn die Schule das Glück des bedürfnißlosen Vagabondirens, die Heiligkeit der Kunst, die Sinnlichkeit des Volkslebens zu schildern unternahm, so hatte diese poetische Thätigkeit immer Etwas von der Natur des Anempfindens, wie bei Madame Melina in Wilhelm Meister. Hoffmann dagegen war ein tüchtiger Jurist, ein tüchtiger Musiker, ein tüchtiger Zeichner, und was das Vagabondiren betrifft, so durste er uicht weit suchen, um die Urbilder seiner Träume und Sympathien zu entdecken. Sein künstlerischer Enthusiasmus, wie seine Fratzenhaftigkeit, war der reinste Natur¬ wuchs. Weil er das, was er darstellen wollte, nicht erst mühsam zu suchen hatte, war er auch im Stande, gut zu erzählen, und die Stimmung, die ihn selber beseelte, deutlich wiederzugeben. So verschroben z. B. die Erfindungen in seinen Teufelselixiren oder in seinen Nachtstücken sind, so ist dabei doch nichts Gemachtes, während bei den Gespenstern, welche die Romantiker heraufbeschworen, unendlich viel Ziererei mit unterläuft, gerade wie bei ihrem Christenthum und ihren mittel¬ alterlichen Visionen. Diese Unbefangenheit und Natürlichkeit wurde noch durch einen zweiten Um¬ stand gefordert. Die Romantiker wurden zu ihren Schöpfungen fast -ausschließlich durch philosophische Speculation angeregt. Ihre Intentionen waren sehr weit¬ gehend, und es kostete einige Mühe, sich hineinzuversetzen. Bei Tieck war das zwar weniger der Fall, und sein glückliches Naturell bewahrte ihn vor vielen der Verirrungen, in die seine Glaubensbrüder sich einließen, aber ihr Einfluß war doch zu groß, als daß sich nicht auch bei ihm das Spinngewebe der Abstraction fortwährend über die heitersten und farbenreichsten Bilder breitete. Man vergleiche z. B. die „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders" und „Franz Sternbald" mit den „Phantasiestücken". Von eigentlicher Gestaltung ist in beiden wenig die Rede, aber dort ist Alles Theorie, Dogma und Speculation, hier Alles Empfindung und Anschauung. Eben so verhält es sich mit dem Nahmen um Tieck's „Phantasus", wenn man ihn mit den „Serapionsbrüdern" vergleicht. Tieck's Figuren, wenn anch viele Anklänge an wirkliche Persönlichkeiten mit unterlaufen mögen, sind eigentlich doch nur dazu da, um gewisse Seiten seiner künstlerischen Ideale zu versinnlichen, in den Serapionsbrüdern dagegen ist Alles Natur und Beobachtung. Hoffmann hat nie speculirt; er hat sich sowol von der herrschenden Schulphilosophie, als von den raffinirten Reflexionen der geist¬ reichen Naturalisten, wie wir sie z. B. im Kreise der Nadel antreffen, ganz ent¬ schieden fern gehalten. Seine Gedanken sind daher nie neu und überraschend, und wenn das auch ein Mangel genannt werden muß, so fördert es doch die Reinlichkeit und Harmonie seiner Bilder. Von seinem Leben führen wir nur diejenigen Züge an, die für seine litera-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/452>, abgerufen am 12.05.2024.