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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Genrebilder aus den SüdslavenSändern.
Von einem Serben.
- ' ' 3. ' ^
Die griechisch-slavische Kirche.

Der größte Theil der Südslaven, das ganze serbische Volk in Oestreich und
in der Türkei und die Bulgaren bekennen sich zur griechisch-russischen Kirche, welche
chatsächlich das Element der Vermittelung und Einigung zwischen den zwei geisteö-
srischesten und kräftigsten slavischen Volksstänunen bildet. Ist es daher schon aus
dieser Rücksicht eine interessante Aufgabe, die Entwickelung dieser Kirche zu er¬
örtern, so wird sie noch interessanter durch den Umstand, daß wir hierin das
einzige Beispiel der neuern Geschichte vor uns haben, daß das Volk die Ent-
wickelung der Kirche schuf, diese nationalistrte und das Wesen der Religion mit
seiner eigenen historischen Existenz vollkommen identificirte.

Wollte man die slavische Vvlksauffassung der Religion definiren, so käme man
dabei mit den Kategorien Glauben und Wissen durchaus nicht zurecht; denn die
Religion ist dem Volke keine superuatnralistische Theorie, sondern eine mit der
Nationalität und dem Volksleben zusammenfaltende Aeußerung seines Wesens. Die
Religion unterscheidet den Russen von dem Tataren, den Serben und Bulgaren
vom Türken, nicht als Dogma, sondern als Nationalitätsbewußtsein. .Der russische
Bauer, also der wahre Russe, wie der Serbe, nennt sich nicht anders als
"KrislMnin", Christ, wohlgemerkt als Bekenner der griechisch-slavischen Kirche,
da die Masse beider Völker sich ausschließlich zu dieser Kirche bekennt.

Zu dieser Nationalistrung der griechischen Kirche bei den Slaven haben
hauptsächlich drei Momente beigetragen: die nationale Liturgie, um welche die
Slaven der römischen Kirche Jahrhunderte lange Kämpfe mit dem Papstthum ge¬
führt haben, die Unabhängigkeit der Kirche von einem auswärtigen Oberhaupte,
wodurch der Entwickelung der Nationalkirchen ein größerer Spielraum gegeben,
und in kurzer Zeit (bei den Russen unter dem Großfürsten Jaroslaw Wladymi-
rowitsch und bei den Serben unter dem Könige Stewan Prwojentschany) durch
Gründung unabhängiger Metropolien und Patriarchate ein natürlicher Mittelpunkt
gegeben wurde; endlich die sociale Stellung des Priesters, welcher als Gatte und
Vater stets ein Mitglied der- Gesellschaft blieb, in welcher er lebte. Deshalb
konnte sich niemals bei den Serben ein außerhalb der Gesellschaft stehender Klerus,
kein Mönchthum entwickeln, und, da die Bischöfe ans diesem Grunde beinahe
stets Fremde/waren, welche sich uicht mit dem nationalen Elemente'vereinigen
konnten, konnte auch das Episkopat keine feste Wurzel fassen, so daß die Volks¬
kirche, wie die politische Gesellschaft, vollkommen demokratisch in ihren Grundlagen
geblieben ist. Das Volk betrachtet die Bischöfe als ganz außerhalb der Kirche


Genrebilder aus den SüdslavenSändern.
Von einem Serben.
- ' ' 3. ' ^
Die griechisch-slavische Kirche.

Der größte Theil der Südslaven, das ganze serbische Volk in Oestreich und
in der Türkei und die Bulgaren bekennen sich zur griechisch-russischen Kirche, welche
chatsächlich das Element der Vermittelung und Einigung zwischen den zwei geisteö-
srischesten und kräftigsten slavischen Volksstänunen bildet. Ist es daher schon aus
dieser Rücksicht eine interessante Aufgabe, die Entwickelung dieser Kirche zu er¬
örtern, so wird sie noch interessanter durch den Umstand, daß wir hierin das
einzige Beispiel der neuern Geschichte vor uns haben, daß das Volk die Ent-
wickelung der Kirche schuf, diese nationalistrte und das Wesen der Religion mit
seiner eigenen historischen Existenz vollkommen identificirte.

Wollte man die slavische Vvlksauffassung der Religion definiren, so käme man
dabei mit den Kategorien Glauben und Wissen durchaus nicht zurecht; denn die
Religion ist dem Volke keine superuatnralistische Theorie, sondern eine mit der
Nationalität und dem Volksleben zusammenfaltende Aeußerung seines Wesens. Die
Religion unterscheidet den Russen von dem Tataren, den Serben und Bulgaren
vom Türken, nicht als Dogma, sondern als Nationalitätsbewußtsein. .Der russische
Bauer, also der wahre Russe, wie der Serbe, nennt sich nicht anders als
„KrislMnin", Christ, wohlgemerkt als Bekenner der griechisch-slavischen Kirche,
da die Masse beider Völker sich ausschließlich zu dieser Kirche bekennt.

Zu dieser Nationalistrung der griechischen Kirche bei den Slaven haben
hauptsächlich drei Momente beigetragen: die nationale Liturgie, um welche die
Slaven der römischen Kirche Jahrhunderte lange Kämpfe mit dem Papstthum ge¬
führt haben, die Unabhängigkeit der Kirche von einem auswärtigen Oberhaupte,
wodurch der Entwickelung der Nationalkirchen ein größerer Spielraum gegeben,
und in kurzer Zeit (bei den Russen unter dem Großfürsten Jaroslaw Wladymi-
rowitsch und bei den Serben unter dem Könige Stewan Prwojentschany) durch
Gründung unabhängiger Metropolien und Patriarchate ein natürlicher Mittelpunkt
gegeben wurde; endlich die sociale Stellung des Priesters, welcher als Gatte und
Vater stets ein Mitglied der- Gesellschaft blieb, in welcher er lebte. Deshalb
konnte sich niemals bei den Serben ein außerhalb der Gesellschaft stehender Klerus,
kein Mönchthum entwickeln, und, da die Bischöfe ans diesem Grunde beinahe
stets Fremde/waren, welche sich uicht mit dem nationalen Elemente'vereinigen
konnten, konnte auch das Episkopat keine feste Wurzel fassen, so daß die Volks¬
kirche, wie die politische Gesellschaft, vollkommen demokratisch in ihren Grundlagen
geblieben ist. Das Volk betrachtet die Bischöfe als ganz außerhalb der Kirche


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[0498] Genrebilder aus den SüdslavenSändern. Von einem Serben. - ' ' 3. ' ^ Die griechisch-slavische Kirche. Der größte Theil der Südslaven, das ganze serbische Volk in Oestreich und in der Türkei und die Bulgaren bekennen sich zur griechisch-russischen Kirche, welche chatsächlich das Element der Vermittelung und Einigung zwischen den zwei geisteö- srischesten und kräftigsten slavischen Volksstänunen bildet. Ist es daher schon aus dieser Rücksicht eine interessante Aufgabe, die Entwickelung dieser Kirche zu er¬ örtern, so wird sie noch interessanter durch den Umstand, daß wir hierin das einzige Beispiel der neuern Geschichte vor uns haben, daß das Volk die Ent- wickelung der Kirche schuf, diese nationalistrte und das Wesen der Religion mit seiner eigenen historischen Existenz vollkommen identificirte. Wollte man die slavische Vvlksauffassung der Religion definiren, so käme man dabei mit den Kategorien Glauben und Wissen durchaus nicht zurecht; denn die Religion ist dem Volke keine superuatnralistische Theorie, sondern eine mit der Nationalität und dem Volksleben zusammenfaltende Aeußerung seines Wesens. Die Religion unterscheidet den Russen von dem Tataren, den Serben und Bulgaren vom Türken, nicht als Dogma, sondern als Nationalitätsbewußtsein. .Der russische Bauer, also der wahre Russe, wie der Serbe, nennt sich nicht anders als „KrislMnin", Christ, wohlgemerkt als Bekenner der griechisch-slavischen Kirche, da die Masse beider Völker sich ausschließlich zu dieser Kirche bekennt. Zu dieser Nationalistrung der griechischen Kirche bei den Slaven haben hauptsächlich drei Momente beigetragen: die nationale Liturgie, um welche die Slaven der römischen Kirche Jahrhunderte lange Kämpfe mit dem Papstthum ge¬ führt haben, die Unabhängigkeit der Kirche von einem auswärtigen Oberhaupte, wodurch der Entwickelung der Nationalkirchen ein größerer Spielraum gegeben, und in kurzer Zeit (bei den Russen unter dem Großfürsten Jaroslaw Wladymi- rowitsch und bei den Serben unter dem Könige Stewan Prwojentschany) durch Gründung unabhängiger Metropolien und Patriarchate ein natürlicher Mittelpunkt gegeben wurde; endlich die sociale Stellung des Priesters, welcher als Gatte und Vater stets ein Mitglied der- Gesellschaft blieb, in welcher er lebte. Deshalb konnte sich niemals bei den Serben ein außerhalb der Gesellschaft stehender Klerus, kein Mönchthum entwickeln, und, da die Bischöfe ans diesem Grunde beinahe stets Fremde/waren, welche sich uicht mit dem nationalen Elemente'vereinigen konnten, konnte auch das Episkopat keine feste Wurzel fassen, so daß die Volks¬ kirche, wie die politische Gesellschaft, vollkommen demokratisch in ihren Grundlagen geblieben ist. Das Volk betrachtet die Bischöfe als ganz außerhalb der Kirche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/498>, abgerufen am 28.04.2024.