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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Theologen berechnet. So darf es in einer allgemeinen Zeitschrift nicht sein. Es
darf z. B. der specifischen Theologie, d. h. derjenigen Theologie, die den Zweck
hat, zu erbauen, zu rühren ze., und die für ihre Deductionen andere Gesetze
anwendet5 als die Gesetze der strengen Wissenschaft, kein Raum verstattet werden,
und jede Concession in dieser Beziehung ist ein höchst bedenkliches Attentat gegen
die Würde der Wissenschaft. -- Es muß ferner, um eine formelle Bemerkung zu
machen, der Inhalt der einzelnen Aufsätze mit ihrem Aushängeschild in dem rich¬
tigen Verhältniß stehen. Wenn sich auch diese Aufsätze nicht auf bloße kritische
Referate der besprochenen Bücher beschränken, sondern zuweilen die Gelegenheit
ergreifen, um etwas Selbstständiges mitzutheilen, so sollen doch schon des äußern
Anstandes wegen nur solche Erscheinungen der Literatur besprochen werden, die
wirklich die Wissenschaft fördern. In diesem Punkt eine strenge Gewissenhaftig¬
keit eintreten zu lassen, ist eine Aufgabe der Redaction, die freilich ihr Undank¬
bares hat, die aber nicht vermieden werden kann, wenn man nicht der Mittel¬
mäßigkeit Thor und Thür öffnen will. '

Eine Zeitschrift, die sich solche und ähnliche Aufgaben stellt, hat für uns
eine um so größere Bedeutung, da unsrer Nation die Idealität des Lebens, zu
der ihr der natürliche Weg verrannt ist, künstlich gegeben werden muß. Zu den
Zeiten Schiller's und Goethe's versuchte man es, in halb wissenschaftlichen, halb
künstlerischen Zeitschriften die Koryphäen der Nation zu vereinigen und so dieser
ein schönes Gesammtbild von ihren Schätzen zu geben. Heutzutage würde wol
Niemand die Behauptung wagen, daß unsre Kunst ein solches Bild möglich
macht. Wir wollen zwar nicht, wie Gervinus am Schluß seiner Literaturge¬
schichte, der Zukunft vorgreifen und der Nation das Betreten einer neuen Bahn
anempfehlen, aber die Thatsache steht unbestreitbar fest, daß wir wenigstens sür
jetzt an den Schöpfungen unsrer schönen Kunst keine Freude haben können. Eben
so wenig ist das bei der Politik der Fall, und so bleibt uns nur die Wissen¬
schaft übrig, um unsre Verstimmung aufzuheben und uns fröhlichen Muth und
stolzes Selbstgefühl einzuflößen. Die gewöhnlichen Klagen über die Armuth und
Verwilderung unsrer Literatur, die sich immer nur auf die geläufige Belletristik
beziehen, und über die Unprodnctivität unsrer Nation, werden in diesem Gebiet
auf das Glänzendste widerlegt werden.




Theologen berechnet. So darf es in einer allgemeinen Zeitschrift nicht sein. Es
darf z. B. der specifischen Theologie, d. h. derjenigen Theologie, die den Zweck
hat, zu erbauen, zu rühren ze., und die für ihre Deductionen andere Gesetze
anwendet5 als die Gesetze der strengen Wissenschaft, kein Raum verstattet werden,
und jede Concession in dieser Beziehung ist ein höchst bedenkliches Attentat gegen
die Würde der Wissenschaft. — Es muß ferner, um eine formelle Bemerkung zu
machen, der Inhalt der einzelnen Aufsätze mit ihrem Aushängeschild in dem rich¬
tigen Verhältniß stehen. Wenn sich auch diese Aufsätze nicht auf bloße kritische
Referate der besprochenen Bücher beschränken, sondern zuweilen die Gelegenheit
ergreifen, um etwas Selbstständiges mitzutheilen, so sollen doch schon des äußern
Anstandes wegen nur solche Erscheinungen der Literatur besprochen werden, die
wirklich die Wissenschaft fördern. In diesem Punkt eine strenge Gewissenhaftig¬
keit eintreten zu lassen, ist eine Aufgabe der Redaction, die freilich ihr Undank¬
bares hat, die aber nicht vermieden werden kann, wenn man nicht der Mittel¬
mäßigkeit Thor und Thür öffnen will. '

Eine Zeitschrift, die sich solche und ähnliche Aufgaben stellt, hat für uns
eine um so größere Bedeutung, da unsrer Nation die Idealität des Lebens, zu
der ihr der natürliche Weg verrannt ist, künstlich gegeben werden muß. Zu den
Zeiten Schiller's und Goethe's versuchte man es, in halb wissenschaftlichen, halb
künstlerischen Zeitschriften die Koryphäen der Nation zu vereinigen und so dieser
ein schönes Gesammtbild von ihren Schätzen zu geben. Heutzutage würde wol
Niemand die Behauptung wagen, daß unsre Kunst ein solches Bild möglich
macht. Wir wollen zwar nicht, wie Gervinus am Schluß seiner Literaturge¬
schichte, der Zukunft vorgreifen und der Nation das Betreten einer neuen Bahn
anempfehlen, aber die Thatsache steht unbestreitbar fest, daß wir wenigstens sür
jetzt an den Schöpfungen unsrer schönen Kunst keine Freude haben können. Eben
so wenig ist das bei der Politik der Fall, und so bleibt uns nur die Wissen¬
schaft übrig, um unsre Verstimmung aufzuheben und uns fröhlichen Muth und
stolzes Selbstgefühl einzuflößen. Die gewöhnlichen Klagen über die Armuth und
Verwilderung unsrer Literatur, die sich immer nur auf die geläufige Belletristik
beziehen, und über die Unprodnctivität unsrer Nation, werden in diesem Gebiet
auf das Glänzendste widerlegt werden.




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[0497] Theologen berechnet. So darf es in einer allgemeinen Zeitschrift nicht sein. Es darf z. B. der specifischen Theologie, d. h. derjenigen Theologie, die den Zweck hat, zu erbauen, zu rühren ze., und die für ihre Deductionen andere Gesetze anwendet5 als die Gesetze der strengen Wissenschaft, kein Raum verstattet werden, und jede Concession in dieser Beziehung ist ein höchst bedenkliches Attentat gegen die Würde der Wissenschaft. — Es muß ferner, um eine formelle Bemerkung zu machen, der Inhalt der einzelnen Aufsätze mit ihrem Aushängeschild in dem rich¬ tigen Verhältniß stehen. Wenn sich auch diese Aufsätze nicht auf bloße kritische Referate der besprochenen Bücher beschränken, sondern zuweilen die Gelegenheit ergreifen, um etwas Selbstständiges mitzutheilen, so sollen doch schon des äußern Anstandes wegen nur solche Erscheinungen der Literatur besprochen werden, die wirklich die Wissenschaft fördern. In diesem Punkt eine strenge Gewissenhaftig¬ keit eintreten zu lassen, ist eine Aufgabe der Redaction, die freilich ihr Undank¬ bares hat, die aber nicht vermieden werden kann, wenn man nicht der Mittel¬ mäßigkeit Thor und Thür öffnen will. ' Eine Zeitschrift, die sich solche und ähnliche Aufgaben stellt, hat für uns eine um so größere Bedeutung, da unsrer Nation die Idealität des Lebens, zu der ihr der natürliche Weg verrannt ist, künstlich gegeben werden muß. Zu den Zeiten Schiller's und Goethe's versuchte man es, in halb wissenschaftlichen, halb künstlerischen Zeitschriften die Koryphäen der Nation zu vereinigen und so dieser ein schönes Gesammtbild von ihren Schätzen zu geben. Heutzutage würde wol Niemand die Behauptung wagen, daß unsre Kunst ein solches Bild möglich macht. Wir wollen zwar nicht, wie Gervinus am Schluß seiner Literaturge¬ schichte, der Zukunft vorgreifen und der Nation das Betreten einer neuen Bahn anempfehlen, aber die Thatsache steht unbestreitbar fest, daß wir wenigstens sür jetzt an den Schöpfungen unsrer schönen Kunst keine Freude haben können. Eben so wenig ist das bei der Politik der Fall, und so bleibt uns nur die Wissen¬ schaft übrig, um unsre Verstimmung aufzuheben und uns fröhlichen Muth und stolzes Selbstgefühl einzuflößen. Die gewöhnlichen Klagen über die Armuth und Verwilderung unsrer Literatur, die sich immer nur auf die geläufige Belletristik beziehen, und über die Unprodnctivität unsrer Nation, werden in diesem Gebiet auf das Glänzendste widerlegt werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/497>, abgerufen am 13.05.2024.