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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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in der Kunst nur diejenige Idealität berechtigt ist, die einen realen Ausdruck,
nur diejenige Realität, die eine ideale Auffassung verstattet; und das ist es, was
wir unter Protestantismus in der Poesie verstehen.




Wanderung zwischen den Brandstätten Südungarns.

Auf dem vom Blute rauchenden, von Trümmern und Aschenhaufen be¬
deckten Boden des berüchtigten Se. Tamas schreibe ich mit zitternder Hand diese
Worte nieder. Eine, Hütte schwarz vom Rauche der Flammen, die an ihren
Wänden geleckt haben, umfängt mich) ein Notstand aus Rohr dürftig zusammen¬
gefügt, ohne Gerüste, schützt vor dem Regen, der in Strömen herabgießt, ein
Bret auf Ziegeln gelegt ist mein Sitz, die Reste eines einstigen Tisches mein
Schreibepult, und doch ist derjenige reich, dem noch so viel geblieben. Er ist
reich, denn von einer zahlreichen Familie hat er sein Weib und ein Kind ge¬
rettet. Ein Sohn fiel von einer feindlichen Kugel, ein Sohn wurde das Opfer
der eigenen Bosheit. Bei einem Einbrüche in ein nachbarliches Dorf drang er
Mit seinen Kameraden in den Keller eines deutschen Wirthes; nachdem sie vom
Weine in Fülle getrunken und betrunken waren, schlugen sie den Boden der
Fässer durch und ließen den Wein auslausen. Sein trunkener Zustand erlaubte
ihm nicht so schnell aus dem Keller zu laufen, als dem Weine aus den Fässern;
er strauchelte, fiel, konnte nicht aufstehen, und theilte das Schicksal, das dem
Herzog von Clarence von seinem Bruder Richard III. bereitet wurde: er ertrank
im Weine. Die übrigen Kinder wurden bei der Einnahme von Se. Tamas
niedergemetzelt: Perczel hat furchtbar gewüthet. Es ist die Nemesis, welche die
Bewohner ereilte. Ein Raubnest war dieser Ort während mehrerer Monate;
wie die Tiger haben seine Bewohner in der Umgegend unter Deutschen und
Magyaren gehaust. Die Wohnungen der Deutschen richten sich nach und nach
auf, der Fleiß ersetzt das Verlorene; auch die Magyaren haben arbeiten gelernt,
und ihre Grundstücke sind doch zumeist frei von Schulden, aber der Serbe ist
bei all dem arbeitsscheu. Die große Menge seiner Feier- und Fasttage hindern
ihn, viel zu arbeiten; man hat ihm während der Revolution allerlei communi-
stische Ideen in ihrer rohesten Gestalt in den Kops gesetzt. Seine Grundstücke
sind in der Regel von Schulden belastet, nun kommen noch neue Steuern, wie
soll er bei solchen Umständen sich wieder aufrichten. Beim Deutschen und
Magyaren arbeitet Alles, was dazu Kräfte hat. Das Weib legt Hand an; und
das Kind wird nach Jahren und Fähigkeiten benutzt. Ist es nicht in der Schule,
so wird es beschäftigt. Das Weib des serbischen Bauern arbeitet selten und


SS*

in der Kunst nur diejenige Idealität berechtigt ist, die einen realen Ausdruck,
nur diejenige Realität, die eine ideale Auffassung verstattet; und das ist es, was
wir unter Protestantismus in der Poesie verstehen.




Wanderung zwischen den Brandstätten Südungarns.

Auf dem vom Blute rauchenden, von Trümmern und Aschenhaufen be¬
deckten Boden des berüchtigten Se. Tamas schreibe ich mit zitternder Hand diese
Worte nieder. Eine, Hütte schwarz vom Rauche der Flammen, die an ihren
Wänden geleckt haben, umfängt mich) ein Notstand aus Rohr dürftig zusammen¬
gefügt, ohne Gerüste, schützt vor dem Regen, der in Strömen herabgießt, ein
Bret auf Ziegeln gelegt ist mein Sitz, die Reste eines einstigen Tisches mein
Schreibepult, und doch ist derjenige reich, dem noch so viel geblieben. Er ist
reich, denn von einer zahlreichen Familie hat er sein Weib und ein Kind ge¬
rettet. Ein Sohn fiel von einer feindlichen Kugel, ein Sohn wurde das Opfer
der eigenen Bosheit. Bei einem Einbrüche in ein nachbarliches Dorf drang er
Mit seinen Kameraden in den Keller eines deutschen Wirthes; nachdem sie vom
Weine in Fülle getrunken und betrunken waren, schlugen sie den Boden der
Fässer durch und ließen den Wein auslausen. Sein trunkener Zustand erlaubte
ihm nicht so schnell aus dem Keller zu laufen, als dem Weine aus den Fässern;
er strauchelte, fiel, konnte nicht aufstehen, und theilte das Schicksal, das dem
Herzog von Clarence von seinem Bruder Richard III. bereitet wurde: er ertrank
im Weine. Die übrigen Kinder wurden bei der Einnahme von Se. Tamas
niedergemetzelt: Perczel hat furchtbar gewüthet. Es ist die Nemesis, welche die
Bewohner ereilte. Ein Raubnest war dieser Ort während mehrerer Monate;
wie die Tiger haben seine Bewohner in der Umgegend unter Deutschen und
Magyaren gehaust. Die Wohnungen der Deutschen richten sich nach und nach
auf, der Fleiß ersetzt das Verlorene; auch die Magyaren haben arbeiten gelernt,
und ihre Grundstücke sind doch zumeist frei von Schulden, aber der Serbe ist
bei all dem arbeitsscheu. Die große Menge seiner Feier- und Fasttage hindern
ihn, viel zu arbeiten; man hat ihm während der Revolution allerlei communi-
stische Ideen in ihrer rohesten Gestalt in den Kops gesetzt. Seine Grundstücke
sind in der Regel von Schulden belastet, nun kommen noch neue Steuern, wie
soll er bei solchen Umständen sich wieder aufrichten. Beim Deutschen und
Magyaren arbeitet Alles, was dazu Kräfte hat. Das Weib legt Hand an; und
das Kind wird nach Jahren und Fähigkeiten benutzt. Ist es nicht in der Schule,
so wird es beschäftigt. Das Weib des serbischen Bauern arbeitet selten und


SS*
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[0423] in der Kunst nur diejenige Idealität berechtigt ist, die einen realen Ausdruck, nur diejenige Realität, die eine ideale Auffassung verstattet; und das ist es, was wir unter Protestantismus in der Poesie verstehen. Wanderung zwischen den Brandstätten Südungarns. Auf dem vom Blute rauchenden, von Trümmern und Aschenhaufen be¬ deckten Boden des berüchtigten Se. Tamas schreibe ich mit zitternder Hand diese Worte nieder. Eine, Hütte schwarz vom Rauche der Flammen, die an ihren Wänden geleckt haben, umfängt mich) ein Notstand aus Rohr dürftig zusammen¬ gefügt, ohne Gerüste, schützt vor dem Regen, der in Strömen herabgießt, ein Bret auf Ziegeln gelegt ist mein Sitz, die Reste eines einstigen Tisches mein Schreibepult, und doch ist derjenige reich, dem noch so viel geblieben. Er ist reich, denn von einer zahlreichen Familie hat er sein Weib und ein Kind ge¬ rettet. Ein Sohn fiel von einer feindlichen Kugel, ein Sohn wurde das Opfer der eigenen Bosheit. Bei einem Einbrüche in ein nachbarliches Dorf drang er Mit seinen Kameraden in den Keller eines deutschen Wirthes; nachdem sie vom Weine in Fülle getrunken und betrunken waren, schlugen sie den Boden der Fässer durch und ließen den Wein auslausen. Sein trunkener Zustand erlaubte ihm nicht so schnell aus dem Keller zu laufen, als dem Weine aus den Fässern; er strauchelte, fiel, konnte nicht aufstehen, und theilte das Schicksal, das dem Herzog von Clarence von seinem Bruder Richard III. bereitet wurde: er ertrank im Weine. Die übrigen Kinder wurden bei der Einnahme von Se. Tamas niedergemetzelt: Perczel hat furchtbar gewüthet. Es ist die Nemesis, welche die Bewohner ereilte. Ein Raubnest war dieser Ort während mehrerer Monate; wie die Tiger haben seine Bewohner in der Umgegend unter Deutschen und Magyaren gehaust. Die Wohnungen der Deutschen richten sich nach und nach auf, der Fleiß ersetzt das Verlorene; auch die Magyaren haben arbeiten gelernt, und ihre Grundstücke sind doch zumeist frei von Schulden, aber der Serbe ist bei all dem arbeitsscheu. Die große Menge seiner Feier- und Fasttage hindern ihn, viel zu arbeiten; man hat ihm während der Revolution allerlei communi- stische Ideen in ihrer rohesten Gestalt in den Kops gesetzt. Seine Grundstücke sind in der Regel von Schulden belastet, nun kommen noch neue Steuern, wie soll er bei solchen Umständen sich wieder aufrichten. Beim Deutschen und Magyaren arbeitet Alles, was dazu Kräfte hat. Das Weib legt Hand an; und das Kind wird nach Jahren und Fähigkeiten benutzt. Ist es nicht in der Schule, so wird es beschäftigt. Das Weib des serbischen Bauern arbeitet selten und SS*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/423>, abgerufen am 07.05.2024.