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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Monismus mit dem protestantischen Princip der Rechtfertigung durch den Glau¬
ben genauer zusammenhängt als mit dem katholischen der Rechtfertigung durch ti,e
Werke; wir wollen zugeben, daß die Uebertreibung des ersteren ebenso ungesunde
Früchte getragen hat, als die Uebertreibung deö letzteren, ober was würde Herr
von Schack denn dazu sagen, wenn gleichzeitig mit Calderon ein großer prote¬
stantischer Dichter gelebt und das Princip der Hexenprocesse ebenso schamlos ver-
sinnlicht hätte, als Calderon das Princip der Werkheiligkeit in der "Andacht zum
Kreuz", im "Fegefeuer des heil. Patrizius u. f. w." Wir Protestanten wür¬
den doch die ersten sein, die von einem solchen Dichter sagten, seine Weltan¬
schauung sei abscheulich nud verrucht, und in Beziehung auf einen katholischen
Dichter soll uns so etwas verwehrt sein? Man verwechsele ja nicht den reflec-
tirten, jesuitischen Katholicismus des -17. Jahrhunderts mit dem Katholicismus
des Mittelalters, der uus ebenso gut angehört, als den heutigen Katholiken.
Dante kann die eine Kirche noch so gut.verstehen wie die andere, denn in ihm
sind die Gegensätze noch gebunden, aber Calderon ist eine Empörung gegen das
ausgesprochene Wort. Für unsern Glauben ist die Zeit der Hexenprocesse ein
unheimlicher, dunkler Theil unserer Geschichte, den die gesammte Kirche- verleugnet,
von der äußersten Orthodoxie bis zum äußersten Rationalismus. Sobald die ka¬
tholische Kirche die Werkheiligkeit, d. h. die Rechtfertigung der Sünde durch kirch¬
liche Acte, durch Fasten, Geißeln, Almosengeben, vor dem Kreuz knien, eine ge¬
wisse Anzahl Gebete hersagen und dergl., ebenso entschieden und allgemein ver¬
leugnen wird, werden wir im Stande sein, uns ihre" Dichtern gegenüber liberal
zu verhalte", deun dann werden sie aufhören, uus in gefährlicher Gegenwart zu
drohen. -- Das Neueste über Calderon ist in der Geschichte der spanische" Li¬
teratur von Tickneor, von dem wir Deutschen eine vortessliche, mit zahlreichen Zu¬
sätzen bereicherte Uebersetzung von Julius besitzen. Der amerikanische Prote¬
stant ist fester in seinem Glauben und Gewisse", al^s unser Landsmann, er läßt
sich von dem Zauber der Caldervnschen Poesie nicht blenden und eifert auf das
ernstlichste gegen das sittliche Princip, während er die Kunst vollständig an¬
erkennt.




Die mecklenburgischen Finanzen.

Mecklenburg ist ein so eigenthümliches und sonderbares Land, daß fast keine
Seite seines öffentlichen Lebens der allgemeinen Physiognomie des Jahrhunderts
im mindesten ähnlich sieht. Sein Verkehr mit dem Auslande ist so frei, daß an
der Grenze nicht einmal nach Benennung, Maß und Werth der Waaren gefragt
wird, welche herein- und hinauswandern. Sein innerer Handel ist dagegen dnrch


Monismus mit dem protestantischen Princip der Rechtfertigung durch den Glau¬
ben genauer zusammenhängt als mit dem katholischen der Rechtfertigung durch ti,e
Werke; wir wollen zugeben, daß die Uebertreibung des ersteren ebenso ungesunde
Früchte getragen hat, als die Uebertreibung deö letzteren, ober was würde Herr
von Schack denn dazu sagen, wenn gleichzeitig mit Calderon ein großer prote¬
stantischer Dichter gelebt und das Princip der Hexenprocesse ebenso schamlos ver-
sinnlicht hätte, als Calderon das Princip der Werkheiligkeit in der „Andacht zum
Kreuz", im „Fegefeuer des heil. Patrizius u. f. w." Wir Protestanten wür¬
den doch die ersten sein, die von einem solchen Dichter sagten, seine Weltan¬
schauung sei abscheulich nud verrucht, und in Beziehung auf einen katholischen
Dichter soll uns so etwas verwehrt sein? Man verwechsele ja nicht den reflec-
tirten, jesuitischen Katholicismus des -17. Jahrhunderts mit dem Katholicismus
des Mittelalters, der uus ebenso gut angehört, als den heutigen Katholiken.
Dante kann die eine Kirche noch so gut.verstehen wie die andere, denn in ihm
sind die Gegensätze noch gebunden, aber Calderon ist eine Empörung gegen das
ausgesprochene Wort. Für unsern Glauben ist die Zeit der Hexenprocesse ein
unheimlicher, dunkler Theil unserer Geschichte, den die gesammte Kirche- verleugnet,
von der äußersten Orthodoxie bis zum äußersten Rationalismus. Sobald die ka¬
tholische Kirche die Werkheiligkeit, d. h. die Rechtfertigung der Sünde durch kirch¬
liche Acte, durch Fasten, Geißeln, Almosengeben, vor dem Kreuz knien, eine ge¬
wisse Anzahl Gebete hersagen und dergl., ebenso entschieden und allgemein ver¬
leugnen wird, werden wir im Stande sein, uns ihre» Dichtern gegenüber liberal
zu verhalte», deun dann werden sie aufhören, uus in gefährlicher Gegenwart zu
drohen. — Das Neueste über Calderon ist in der Geschichte der spanische» Li¬
teratur von Tickneor, von dem wir Deutschen eine vortessliche, mit zahlreichen Zu¬
sätzen bereicherte Uebersetzung von Julius besitzen. Der amerikanische Prote¬
stant ist fester in seinem Glauben und Gewisse», al^s unser Landsmann, er läßt
sich von dem Zauber der Caldervnschen Poesie nicht blenden und eifert auf das
ernstlichste gegen das sittliche Princip, während er die Kunst vollständig an¬
erkennt.




Die mecklenburgischen Finanzen.

Mecklenburg ist ein so eigenthümliches und sonderbares Land, daß fast keine
Seite seines öffentlichen Lebens der allgemeinen Physiognomie des Jahrhunderts
im mindesten ähnlich sieht. Sein Verkehr mit dem Auslande ist so frei, daß an
der Grenze nicht einmal nach Benennung, Maß und Werth der Waaren gefragt
wird, welche herein- und hinauswandern. Sein innerer Handel ist dagegen dnrch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/60>, abgerufen am 05.05.2024.