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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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scheiden, hinzufügt, ist nicht immer stichhaltig. Er ist von dem Dichter, dem er
so eindringliche Studien gewidmet hat, zu sehr eingenommen, um seine vielfälti¬
gen Schwächen unbefangen zu durchschauen. -- Ein sehr großes Verdienst hat
sich Adolf Friedrich von Schack in seiner "Geschichte der dramatischen Litera¬
tur und Kunst in Spanien'" (Berlin, Duncker und Humblot 1845--46) um Cal-
deron erworben, wenn er anch einen großen Theil seiner Bemerkungen seinem
gelehrten Vorgänger verdankt. Er hat zunächst in den Stücken selbst eine fabel¬
hafte Belesenheit (von Lope hat er z. B. 300 Stücke gelesen, von Calderon wie es
scheint sämmtliche) und er hat anch aus der übrigen gleichzeitigen Literatur eine
Menge sehr interessanter Notizen über die äußeren Zustände des spanischen Thea¬
ters zusammengetragen. Sehr interessant ist namentlich sein Auszug aus der
"Kunst, spanische Komödie zu machen" von Lope de Vega (2. Bd. S. 220ff),
ferner die Auszüge aus den Büchern , der Gräfin d'Aunoy (3. Bd. S. 233),
obgleich es uns so scheint, als ob ihre Schilderung der spanischen Sitten und
Gebräuche direct aus zwei und drei Lustspielen von Calderon zusammengetragen
ist. In der Einleitung zu Calderon stellt er mehre überraschend richtige Gesichts¬
punkte auf.' Er weist nach, daß dieser Dichter trotz seiner außerordentlichen Kunst
dennoch als der erste Schritt zum Verfall der spanischen Bühne betrachtet wer¬
den muß, weil er ganz und gar von der Natur abging und die sonderbaren
sittlichen Begriffe, die allerdings schon vor ihm vorhanden waren, künstlich auf
die Spitze trieb. Allein diese sehr richtige Erkenntniß vergißt er ganz und
gar, als er auf die Ausführung kommt. Diese ist fast ganz panegyrisch
und übertreibt den Werth des Dichters in einer erstaunlichen Weise; von
einem großen Theile der Stücke gibt Schack kurze. Jnhaltsanzcigen, wo¬
bei er auf die künstlerische Analyse der Komposition fast gar keine Rücksicht
nimmt. Förderlicher wäre es gewesen, wenn er bei den bessern Werken ausführ¬
licher verweilt, und die künstlerischen Gesetze, die darin gewaltet, nachgewiesen
hätte. Indeß wir würden auf diese Ausstellungen uicht soviel Gewicht legen,
da es bei der Bearbeitung eines fast noch unangebauten Feldes in der Wissen¬
schaft zunächst darauf ankommt, soviel Material als möglich zusammenzubringen,
wenn nur der Verfasser nicht auch versucht hätte, die sittliche Weltanschauung sei¬
nes Dichters zu retten. Er gibt es zu, daß in seinen geistlichen Schauspielen
manche starke Dinge vorkommen, allein er meint, daß die Glanbenseinheit Spa¬
niens in einer Zeit, wo in den übrigen Ländern die Religion ganz auseinander¬
gefallen sei, ein gewisses Opfer wol rechtfertige und daß die Protestanten bei
ihren Angriffen ans den katholischen Fanatismus doch nicht vergessen sollten, daß
vorzugsweise bei ihnen die Hexenprocesse geblüht. Wir wollen es hier vorläufig
dahingestellt sein lassen, ob in der That das Verhältniß der protestantischen Län¬
der zu den katholischen in Beziehung auf die Hexenprocesse ein so ungünstiges ist,
wir wollen sogar zugeben, daß die demselben zu Grunde liegende Idee des Da-
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scheiden, hinzufügt, ist nicht immer stichhaltig. Er ist von dem Dichter, dem er
so eindringliche Studien gewidmet hat, zu sehr eingenommen, um seine vielfälti¬
gen Schwächen unbefangen zu durchschauen. — Ein sehr großes Verdienst hat
sich Adolf Friedrich von Schack in seiner „Geschichte der dramatischen Litera¬
tur und Kunst in Spanien'" (Berlin, Duncker und Humblot 1845—46) um Cal-
deron erworben, wenn er anch einen großen Theil seiner Bemerkungen seinem
gelehrten Vorgänger verdankt. Er hat zunächst in den Stücken selbst eine fabel¬
hafte Belesenheit (von Lope hat er z. B. 300 Stücke gelesen, von Calderon wie es
scheint sämmtliche) und er hat anch aus der übrigen gleichzeitigen Literatur eine
Menge sehr interessanter Notizen über die äußeren Zustände des spanischen Thea¬
ters zusammengetragen. Sehr interessant ist namentlich sein Auszug aus der
„Kunst, spanische Komödie zu machen" von Lope de Vega (2. Bd. S. 220ff),
ferner die Auszüge aus den Büchern , der Gräfin d'Aunoy (3. Bd. S. 233),
obgleich es uns so scheint, als ob ihre Schilderung der spanischen Sitten und
Gebräuche direct aus zwei und drei Lustspielen von Calderon zusammengetragen
ist. In der Einleitung zu Calderon stellt er mehre überraschend richtige Gesichts¬
punkte auf.' Er weist nach, daß dieser Dichter trotz seiner außerordentlichen Kunst
dennoch als der erste Schritt zum Verfall der spanischen Bühne betrachtet wer¬
den muß, weil er ganz und gar von der Natur abging und die sonderbaren
sittlichen Begriffe, die allerdings schon vor ihm vorhanden waren, künstlich auf
die Spitze trieb. Allein diese sehr richtige Erkenntniß vergißt er ganz und
gar, als er auf die Ausführung kommt. Diese ist fast ganz panegyrisch
und übertreibt den Werth des Dichters in einer erstaunlichen Weise; von
einem großen Theile der Stücke gibt Schack kurze. Jnhaltsanzcigen, wo¬
bei er auf die künstlerische Analyse der Komposition fast gar keine Rücksicht
nimmt. Förderlicher wäre es gewesen, wenn er bei den bessern Werken ausführ¬
licher verweilt, und die künstlerischen Gesetze, die darin gewaltet, nachgewiesen
hätte. Indeß wir würden auf diese Ausstellungen uicht soviel Gewicht legen,
da es bei der Bearbeitung eines fast noch unangebauten Feldes in der Wissen¬
schaft zunächst darauf ankommt, soviel Material als möglich zusammenzubringen,
wenn nur der Verfasser nicht auch versucht hätte, die sittliche Weltanschauung sei¬
nes Dichters zu retten. Er gibt es zu, daß in seinen geistlichen Schauspielen
manche starke Dinge vorkommen, allein er meint, daß die Glanbenseinheit Spa¬
niens in einer Zeit, wo in den übrigen Ländern die Religion ganz auseinander¬
gefallen sei, ein gewisses Opfer wol rechtfertige und daß die Protestanten bei
ihren Angriffen ans den katholischen Fanatismus doch nicht vergessen sollten, daß
vorzugsweise bei ihnen die Hexenprocesse geblüht. Wir wollen es hier vorläufig
dahingestellt sein lassen, ob in der That das Verhältniß der protestantischen Län¬
der zu den katholischen in Beziehung auf die Hexenprocesse ein so ungünstiges ist,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/59>, abgerufen am 24.05.2024.