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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Berlin hat wenigstens in diesem Punkt die Probe erst noch zu bestehen. Ein
großer Theil des Publicums hier ist abgestumpft; Blastrtheit und Barbarei
könnten sich die Hände reichen. Von der unter Stern und Marx stehenden
Musikschule hat es den Anschein, daß sie innigere Beziehungen zu Weimar
hat oder erstrebt. Die Engagements von Bülow und Laub und das oben ci-
tirte Werk von Marr, das der kenntnißreiche Verfasser der Kompositionslehre
sich hätte besinnen sollen in so loser Feuilletonhalmng und mit solcher Weit¬
schweifigkeit in Darstellung der gewöhnlichsten Dinge herauszugeben, weisen
darauf hin. Die Stellung, die Marr sich zu Liszt gibt, scheint wenigstens
eine sehr innige, wenn schon er nicht in allen Dingen als ein AnHanger
moderner Idole auftritt. In einer theilweise entgegengesetzten Stellung zu
dieser Musikschule ist die von dem Pianisten Kullak gegründete Akademie der
Tonkunst, die namentlich in ihrem Gründer selbst und in dem Historiker und
Theoretiker Dehn anerkannte Lehrkräfte besitzt. Wenn sie es verstehen wird,
nicht zu weit in dem Streben zum Reellen und Technischen zu gehen und,
durch den Gegensatz verführt, sich nicht in einen einseitigen Mechanismus des
Unterrichts drängen zu lassen, so dürfte ihr, die mit einer großen Schülerzahl
begonnen hat, eine günstige Zukunft bevorstehen. Es kommt nun hier aber
zunächst nicht darauf an, die Lehrfähigkeit beider Institute zu beurtheilen, son¬
dern nur, darauf hinzuweisen, wie sich, unter dem Einfluß moderner Rich¬
tungen, Gegensätze bilden und zu befestigen suchen. -- Wie es heißt, wird
vom 1. October ab eine "norddeutsche Musikzcilung" unter der Redaction eines
Herrn Zimmer erscheinen, von der man vermuthen kann, daß sie ein Organ
der conservativen Partei, wenn man so sagen darf, werden wird. Es lassen
sich also für die nächste Zukunft lebhaftere Kämpfe erwarten. Wie auch immer
die Aufnahme der modernen Kunstversuche in Berlin ausfalle, vor allzu großer
Dreistigkeit in That und Wort möchten wir die Anhänger derselben doch war¬
nen; wir glauben nicht, daß Berlin dafür ein dauernd geeigneter Boden ist.




Zur Geschichte der preußischen, östreichischen und
deutschen Politik.

(Nach Hcnisser, deutsche Geschichte, s. No. 37.)

2.
-1797---I80K.

Die ersten Handlungen Friedrich Wilhelms III. zeugten von redlichem Eifer,
die herrschenden Mißstände zu beseitigen. Eine Cabinetsordre drang auf Ent¬
fernung träger und unfähiger Beamten und auf bessere Controle der Vermal-


Berlin hat wenigstens in diesem Punkt die Probe erst noch zu bestehen. Ein
großer Theil des Publicums hier ist abgestumpft; Blastrtheit und Barbarei
könnten sich die Hände reichen. Von der unter Stern und Marx stehenden
Musikschule hat es den Anschein, daß sie innigere Beziehungen zu Weimar
hat oder erstrebt. Die Engagements von Bülow und Laub und das oben ci-
tirte Werk von Marr, das der kenntnißreiche Verfasser der Kompositionslehre
sich hätte besinnen sollen in so loser Feuilletonhalmng und mit solcher Weit¬
schweifigkeit in Darstellung der gewöhnlichsten Dinge herauszugeben, weisen
darauf hin. Die Stellung, die Marr sich zu Liszt gibt, scheint wenigstens
eine sehr innige, wenn schon er nicht in allen Dingen als ein AnHanger
moderner Idole auftritt. In einer theilweise entgegengesetzten Stellung zu
dieser Musikschule ist die von dem Pianisten Kullak gegründete Akademie der
Tonkunst, die namentlich in ihrem Gründer selbst und in dem Historiker und
Theoretiker Dehn anerkannte Lehrkräfte besitzt. Wenn sie es verstehen wird,
nicht zu weit in dem Streben zum Reellen und Technischen zu gehen und,
durch den Gegensatz verführt, sich nicht in einen einseitigen Mechanismus des
Unterrichts drängen zu lassen, so dürfte ihr, die mit einer großen Schülerzahl
begonnen hat, eine günstige Zukunft bevorstehen. Es kommt nun hier aber
zunächst nicht darauf an, die Lehrfähigkeit beider Institute zu beurtheilen, son¬
dern nur, darauf hinzuweisen, wie sich, unter dem Einfluß moderner Rich¬
tungen, Gegensätze bilden und zu befestigen suchen. — Wie es heißt, wird
vom 1. October ab eine „norddeutsche Musikzcilung" unter der Redaction eines
Herrn Zimmer erscheinen, von der man vermuthen kann, daß sie ein Organ
der conservativen Partei, wenn man so sagen darf, werden wird. Es lassen
sich also für die nächste Zukunft lebhaftere Kämpfe erwarten. Wie auch immer
die Aufnahme der modernen Kunstversuche in Berlin ausfalle, vor allzu großer
Dreistigkeit in That und Wort möchten wir die Anhänger derselben doch war¬
nen; wir glauben nicht, daß Berlin dafür ein dauernd geeigneter Boden ist.




Zur Geschichte der preußischen, östreichischen und
deutschen Politik.

(Nach Hcnisser, deutsche Geschichte, s. No. 37.)

2.
-1797—-I80K.

Die ersten Handlungen Friedrich Wilhelms III. zeugten von redlichem Eifer,
die herrschenden Mißstände zu beseitigen. Eine Cabinetsordre drang auf Ent¬
fernung träger und unfähiger Beamten und auf bessere Controle der Vermal-


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[0103] Berlin hat wenigstens in diesem Punkt die Probe erst noch zu bestehen. Ein großer Theil des Publicums hier ist abgestumpft; Blastrtheit und Barbarei könnten sich die Hände reichen. Von der unter Stern und Marx stehenden Musikschule hat es den Anschein, daß sie innigere Beziehungen zu Weimar hat oder erstrebt. Die Engagements von Bülow und Laub und das oben ci- tirte Werk von Marr, das der kenntnißreiche Verfasser der Kompositionslehre sich hätte besinnen sollen in so loser Feuilletonhalmng und mit solcher Weit¬ schweifigkeit in Darstellung der gewöhnlichsten Dinge herauszugeben, weisen darauf hin. Die Stellung, die Marr sich zu Liszt gibt, scheint wenigstens eine sehr innige, wenn schon er nicht in allen Dingen als ein AnHanger moderner Idole auftritt. In einer theilweise entgegengesetzten Stellung zu dieser Musikschule ist die von dem Pianisten Kullak gegründete Akademie der Tonkunst, die namentlich in ihrem Gründer selbst und in dem Historiker und Theoretiker Dehn anerkannte Lehrkräfte besitzt. Wenn sie es verstehen wird, nicht zu weit in dem Streben zum Reellen und Technischen zu gehen und, durch den Gegensatz verführt, sich nicht in einen einseitigen Mechanismus des Unterrichts drängen zu lassen, so dürfte ihr, die mit einer großen Schülerzahl begonnen hat, eine günstige Zukunft bevorstehen. Es kommt nun hier aber zunächst nicht darauf an, die Lehrfähigkeit beider Institute zu beurtheilen, son¬ dern nur, darauf hinzuweisen, wie sich, unter dem Einfluß moderner Rich¬ tungen, Gegensätze bilden und zu befestigen suchen. — Wie es heißt, wird vom 1. October ab eine „norddeutsche Musikzcilung" unter der Redaction eines Herrn Zimmer erscheinen, von der man vermuthen kann, daß sie ein Organ der conservativen Partei, wenn man so sagen darf, werden wird. Es lassen sich also für die nächste Zukunft lebhaftere Kämpfe erwarten. Wie auch immer die Aufnahme der modernen Kunstversuche in Berlin ausfalle, vor allzu großer Dreistigkeit in That und Wort möchten wir die Anhänger derselben doch war¬ nen; wir glauben nicht, daß Berlin dafür ein dauernd geeigneter Boden ist. Zur Geschichte der preußischen, östreichischen und deutschen Politik. (Nach Hcnisser, deutsche Geschichte, s. No. 37.) 2. -1797—-I80K. Die ersten Handlungen Friedrich Wilhelms III. zeugten von redlichem Eifer, die herrschenden Mißstände zu beseitigen. Eine Cabinetsordre drang auf Ent¬ fernung träger und unfähiger Beamten und auf bessere Controle der Vermal-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/103>, abgerufen am 28.04.2024.