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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Zeichen der Zeit.
Die Zeichen der Zeit. Briefe an Freunde über die Gewissensfreiheit und das
Recht der christlichen Gemeinde. Von Christian Carl Josias Bunsen,
Königl. Preuß. Wirklichen Geheimen Rathe, Doctor der Philosophie und
der Theologie. Erst Händchen. Leipzig, F. A. Brockhaus. --

Zu den merkwürdigsten Zeichen der Zeit gehört unzweifelhaft die Bildung
der sogenannten altpreußischen Partei. Im engern Sinn würde man den Be¬
griff Partei auf sie freilich nicht anwenden können, denn es fehlt ihr bis jetzt
noch an den beiden Hauptkennzeichen einer Partei, an einer festen Organisa¬
tion und an einem bestimmten, klar ausgesprochenen Zweck; aber wenn man
von der Kreuzzeitungspartei absteht, die eine Partei im strengsten Sinne des
Worts ist, und allenfalls von den Ultramontanen, so würde man keiner von
den bestehenden Fraktionen jene Bezeichnung beilegen können. Wir betrachten
überhaupt die oppositionellen Fractionen der zweiten Kammer nur als verschie¬
dene Elemente, die, dem Ursprünge nach entgegengesetzt, dennoch auf dasselbe
Ziel hinstreben.

Die erste Bildung der Opposition kann man in gewissem Sinn auch alt-
Preußisch nennen, denn sie gründet sich auf die Principien des preußischen
Landrechtö, auf die Erinnerungen an den Alten-Fritzeschen Kriegsruhm, auf
die Reformen der Stein-Hardenbergschen Zeit, auf die Freiheitskriege, auf die
Verheißungen einer Landesvertretung, auf die Provinzialstände >und schließlich,
auf den vereinigten Landtag von 1847. Wenn der preußische Charakter dieser
Opposition weniger hervortrat, so lag das in solgenden Umständen: Einmal
hatte sie zwar unter dem Beamtenstande eifrige Anhänger, aber diese durften
oder wollten nicht laut werden; ihr Mittelpunkt war theils in den Landtagen,
theils in der Presse. Der Beamtenstand, wie sehr er auch im Einzelnen sich
für diese Opposition interessiren mochte, empfand sie doch im Ganzen als einen
Gegensatz. Die ungeschulten Wünsche der Gutsbesitzer, Bürger und Bauern
gaben seiner bureaukratischen Routine, seiner Geschäftskenntniß, seinen diplo¬
matischen Formen häufig Anstoß. Dazu kam, daß der Liberalismus sich vor¬
zugsweise in den neuen Provinzen ausbildete, die mit dem preußischen Leben
und seinen Gewohnheiten am wenigsten zusammenhingen, und deren Stimmung


Greuzbolett. IV. 18os. 16
Zeichen der Zeit.
Die Zeichen der Zeit. Briefe an Freunde über die Gewissensfreiheit und das
Recht der christlichen Gemeinde. Von Christian Carl Josias Bunsen,
Königl. Preuß. Wirklichen Geheimen Rathe, Doctor der Philosophie und
der Theologie. Erst Händchen. Leipzig, F. A. Brockhaus. —

Zu den merkwürdigsten Zeichen der Zeit gehört unzweifelhaft die Bildung
der sogenannten altpreußischen Partei. Im engern Sinn würde man den Be¬
griff Partei auf sie freilich nicht anwenden können, denn es fehlt ihr bis jetzt
noch an den beiden Hauptkennzeichen einer Partei, an einer festen Organisa¬
tion und an einem bestimmten, klar ausgesprochenen Zweck; aber wenn man
von der Kreuzzeitungspartei absteht, die eine Partei im strengsten Sinne des
Worts ist, und allenfalls von den Ultramontanen, so würde man keiner von
den bestehenden Fraktionen jene Bezeichnung beilegen können. Wir betrachten
überhaupt die oppositionellen Fractionen der zweiten Kammer nur als verschie¬
dene Elemente, die, dem Ursprünge nach entgegengesetzt, dennoch auf dasselbe
Ziel hinstreben.

Die erste Bildung der Opposition kann man in gewissem Sinn auch alt-
Preußisch nennen, denn sie gründet sich auf die Principien des preußischen
Landrechtö, auf die Erinnerungen an den Alten-Fritzeschen Kriegsruhm, auf
die Reformen der Stein-Hardenbergschen Zeit, auf die Freiheitskriege, auf die
Verheißungen einer Landesvertretung, auf die Provinzialstände >und schließlich,
auf den vereinigten Landtag von 1847. Wenn der preußische Charakter dieser
Opposition weniger hervortrat, so lag das in solgenden Umständen: Einmal
hatte sie zwar unter dem Beamtenstande eifrige Anhänger, aber diese durften
oder wollten nicht laut werden; ihr Mittelpunkt war theils in den Landtagen,
theils in der Presse. Der Beamtenstand, wie sehr er auch im Einzelnen sich
für diese Opposition interessiren mochte, empfand sie doch im Ganzen als einen
Gegensatz. Die ungeschulten Wünsche der Gutsbesitzer, Bürger und Bauern
gaben seiner bureaukratischen Routine, seiner Geschäftskenntniß, seinen diplo¬
matischen Formen häufig Anstoß. Dazu kam, daß der Liberalismus sich vor¬
zugsweise in den neuen Provinzen ausbildete, die mit dem preußischen Leben
und seinen Gewohnheiten am wenigsten zusammenhingen, und deren Stimmung


Greuzbolett. IV. 18os. 16
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[0129] Zeichen der Zeit. Die Zeichen der Zeit. Briefe an Freunde über die Gewissensfreiheit und das Recht der christlichen Gemeinde. Von Christian Carl Josias Bunsen, Königl. Preuß. Wirklichen Geheimen Rathe, Doctor der Philosophie und der Theologie. Erst Händchen. Leipzig, F. A. Brockhaus. — Zu den merkwürdigsten Zeichen der Zeit gehört unzweifelhaft die Bildung der sogenannten altpreußischen Partei. Im engern Sinn würde man den Be¬ griff Partei auf sie freilich nicht anwenden können, denn es fehlt ihr bis jetzt noch an den beiden Hauptkennzeichen einer Partei, an einer festen Organisa¬ tion und an einem bestimmten, klar ausgesprochenen Zweck; aber wenn man von der Kreuzzeitungspartei absteht, die eine Partei im strengsten Sinne des Worts ist, und allenfalls von den Ultramontanen, so würde man keiner von den bestehenden Fraktionen jene Bezeichnung beilegen können. Wir betrachten überhaupt die oppositionellen Fractionen der zweiten Kammer nur als verschie¬ dene Elemente, die, dem Ursprünge nach entgegengesetzt, dennoch auf dasselbe Ziel hinstreben. Die erste Bildung der Opposition kann man in gewissem Sinn auch alt- Preußisch nennen, denn sie gründet sich auf die Principien des preußischen Landrechtö, auf die Erinnerungen an den Alten-Fritzeschen Kriegsruhm, auf die Reformen der Stein-Hardenbergschen Zeit, auf die Freiheitskriege, auf die Verheißungen einer Landesvertretung, auf die Provinzialstände >und schließlich, auf den vereinigten Landtag von 1847. Wenn der preußische Charakter dieser Opposition weniger hervortrat, so lag das in solgenden Umständen: Einmal hatte sie zwar unter dem Beamtenstande eifrige Anhänger, aber diese durften oder wollten nicht laut werden; ihr Mittelpunkt war theils in den Landtagen, theils in der Presse. Der Beamtenstand, wie sehr er auch im Einzelnen sich für diese Opposition interessiren mochte, empfand sie doch im Ganzen als einen Gegensatz. Die ungeschulten Wünsche der Gutsbesitzer, Bürger und Bauern gaben seiner bureaukratischen Routine, seiner Geschäftskenntniß, seinen diplo¬ matischen Formen häufig Anstoß. Dazu kam, daß der Liberalismus sich vor¬ zugsweise in den neuen Provinzen ausbildete, die mit dem preußischen Leben und seinen Gewohnheiten am wenigsten zusammenhingen, und deren Stimmung Greuzbolett. IV. 18os. 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/129>, abgerufen am 27.04.2024.