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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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man bis zu einem gewissen Grade hin als antipreußisch bezeichnen konnte.
Es gehörte im Jahre 184-7 unter den liberalen Beamten zum guten Ton, die
Liberalen des Landtags gewissermaßen als zurückgeblieben zu betrachten, in
den Ansprüchen dem Inhalt nach weiter zu gehen und doch die Form derselben
zu mißbilligen. Daraus erklärt sich auch, daß im Jahre 1848, als mit der
Parteibildung Ernst gemacht werden sollte, ein großer Theil der liberalen Be¬
amten sich zu den Demokraten schlug, wie z. B. Herr von Kirchmann, der
wahrhaftig kein rother Republikaner ist. Die altliberale Partei hatte das Un¬
glück, ihren Sammelplatz in der Paulskirche zu finden, wo die Phrase vor¬
herrschte und vorherrschen mußte, weil keine praktisch ausführbare Aufgabe zu
lösen war. Daher auch die Bezeichnung der Doktrinärs für diese Partei, die
auf einen Mann wie Herr von Vincke angewandt äußerst komisch klingt. In
der Nationalversammlung hatte die Partei fast gar keine Vertretung; die ihr
angehörigen Ministerien waren schwach, und das unglückselige erfurter Project
kam noch dazu, um sie in den Augen des berliner Publicums als kleindeutsch,
gothaisch :c. dem Preußenthum entgegenzusetzen.

Die zweite oppositionelle Partei, die Demokratie, war aus dem alten Ra-
dicalismus hervorgegangen, der ursprünglich nirgend anders eristirte, als in
der Presse; denn wenn auch in einer revolutionären Zeit die unteren Volks¬
classen sich als Werkzeuge der Männer, "die am weitesten gehen", gebrauchen
lassen, so sind sie doch an sich keineswegs die Träger des Radicalismus.
Zwischen den rothen Republikanern und den gesitteten Demokraten war von
vornherein! ein großer Unterschied, und eine Verständigung der letztern mit
den Liberalen wäre schon damals möglich gewesen, wenn sich nicht der Ge¬
sichtspunkt der einen lediglich auf Frankfurt, der der andern auf Berlin be¬
schränkt hätte. Die preußische Demokratie, die mit der deutschen Demokratie
wenig zusammenhing, erhielt ihr Stichwort in der Nichtanerkennung der octro-
yirten Verfassung und in der Nichttheilnahme an den octroyirten Wahlen.
Die Führer der Partei waren im Irrthum, wenn sie glaubten, der Bestand
einer Partei bleibe immer derselbe, auch wo sie keine Thätigkeit entwickelt.
Im November 1848 waren vielleicht drei Viertel des berliner Publicums
demokratisch d. h. sie waren stolz auf ihren passiven Widerstand, und sie
waren ebenso stolz auf ihr ferneres Martyrium, daß sie an den Wahlen keinen
Theil nahmen. Von diesem demokratischen Publicum sind seitdem aber,
schlecht gerechnet, zwei Drittel abgefallen; die einen sind in ihren Jndifferen-
tismus zurückgekehrt, die andern haben sich dem Liberalismus oder auch der
Reaction angeschlossen.

Wenn aber die Altliberalen vor den Demokraten durch ihre parlamen¬
tarische Betheiligung einen großen Vortheil hatten, so waren sie dafür in der
Presse schlechter vertreten. Die alten Provinzialblätter dauerten zwar fort, die


man bis zu einem gewissen Grade hin als antipreußisch bezeichnen konnte.
Es gehörte im Jahre 184-7 unter den liberalen Beamten zum guten Ton, die
Liberalen des Landtags gewissermaßen als zurückgeblieben zu betrachten, in
den Ansprüchen dem Inhalt nach weiter zu gehen und doch die Form derselben
zu mißbilligen. Daraus erklärt sich auch, daß im Jahre 1848, als mit der
Parteibildung Ernst gemacht werden sollte, ein großer Theil der liberalen Be¬
amten sich zu den Demokraten schlug, wie z. B. Herr von Kirchmann, der
wahrhaftig kein rother Republikaner ist. Die altliberale Partei hatte das Un¬
glück, ihren Sammelplatz in der Paulskirche zu finden, wo die Phrase vor¬
herrschte und vorherrschen mußte, weil keine praktisch ausführbare Aufgabe zu
lösen war. Daher auch die Bezeichnung der Doktrinärs für diese Partei, die
auf einen Mann wie Herr von Vincke angewandt äußerst komisch klingt. In
der Nationalversammlung hatte die Partei fast gar keine Vertretung; die ihr
angehörigen Ministerien waren schwach, und das unglückselige erfurter Project
kam noch dazu, um sie in den Augen des berliner Publicums als kleindeutsch,
gothaisch :c. dem Preußenthum entgegenzusetzen.

Die zweite oppositionelle Partei, die Demokratie, war aus dem alten Ra-
dicalismus hervorgegangen, der ursprünglich nirgend anders eristirte, als in
der Presse; denn wenn auch in einer revolutionären Zeit die unteren Volks¬
classen sich als Werkzeuge der Männer, „die am weitesten gehen", gebrauchen
lassen, so sind sie doch an sich keineswegs die Träger des Radicalismus.
Zwischen den rothen Republikanern und den gesitteten Demokraten war von
vornherein! ein großer Unterschied, und eine Verständigung der letztern mit
den Liberalen wäre schon damals möglich gewesen, wenn sich nicht der Ge¬
sichtspunkt der einen lediglich auf Frankfurt, der der andern auf Berlin be¬
schränkt hätte. Die preußische Demokratie, die mit der deutschen Demokratie
wenig zusammenhing, erhielt ihr Stichwort in der Nichtanerkennung der octro-
yirten Verfassung und in der Nichttheilnahme an den octroyirten Wahlen.
Die Führer der Partei waren im Irrthum, wenn sie glaubten, der Bestand
einer Partei bleibe immer derselbe, auch wo sie keine Thätigkeit entwickelt.
Im November 1848 waren vielleicht drei Viertel des berliner Publicums
demokratisch d. h. sie waren stolz auf ihren passiven Widerstand, und sie
waren ebenso stolz auf ihr ferneres Martyrium, daß sie an den Wahlen keinen
Theil nahmen. Von diesem demokratischen Publicum sind seitdem aber,
schlecht gerechnet, zwei Drittel abgefallen; die einen sind in ihren Jndifferen-
tismus zurückgekehrt, die andern haben sich dem Liberalismus oder auch der
Reaction angeschlossen.

Wenn aber die Altliberalen vor den Demokraten durch ihre parlamen¬
tarische Betheiligung einen großen Vortheil hatten, so waren sie dafür in der
Presse schlechter vertreten. Die alten Provinzialblätter dauerten zwar fort, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/130>, abgerufen am 11.05.2024.