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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Die Küstenländer des schwarzen Meeres.

Die Hellenen im Skythenlande von Hr. Karl Neumann, Band l. Berlin,
Georg Reimer. -I8!in, --

In dem Werke des Herrn Neumann begrüßen wir eine historische Forschung
ersten Ranges. Der Verfasser erweist darin außer ungewöhnlicher Belesenheit
und einem eisernen Fleiß auch die höheren Tugenden des Historikers, einen
fein combinirenden Geist, ungewöhnlich sicher regulirt durch Bescheidenheit,
politischen Verstand uno common scznse, und serner eine Methode des
Forschens, welche energisch auf den entscheidenden Punkt losgeht, die Beweise
geschickt zu ordnen, mit unwiderstehlicher Kraft zu gruppiren weiß und selten
mehr beweisen will, als zu beweisen möglich und nothwendig ist. Die Mäßi¬
gung und Sicherheit seiner Constructionen erscheinen bei einem ersten Werke sehr
ungewöhnlich, nur hier und da verräth ein zu liebevolles Vertiefen in das
Detail, daß nicht ein alter Meister uns belehrt. Nächst der wissenschaftlichen
Tüchtigkeit gibt es wie zu jeder Zeit bestimmte historische und philologische
Streitfragen, an deuen sich die Gleichstrebenden erkennen und nächst dem ge¬
meinsamen Schatz historischer Belesenheit noch eine Reihe von speciellen Hilfs¬
mitteln, auf welche sich die befreundeten Forscher derselben Richtung vorzugs¬
weise gern stützen. Herr Neumann scheint nicht ganz derselben philologischen
Schule anzugehören, aus welcher die Kritiken d. Bl. hervorzugehen pflegen,
seine Ansichten über die Entstehung des griechischen Epos z. B. sind nicht in
dem Sinne von Wolf und Lachmann und unter den Büchern, welche auf ihn
eingewirkt haben, sind die neusten Werke unsrer Archäologen, z.B. Otto Jahns
Untersuchungen über die griechischen Thongefäße und Prellers Mythologie,
nicht deutlich zu erkennen. Um so unbefangener ist die Freude, daß gediegenes
Wissen und sichere Technik den Verfasser fast immer zu Resultaten führen,
welche imponiren und eine herzliche Beistimmung für sich verlangen. Und es
ist d. Bl- eine Freude, früher als manche streng wissenschaftliche Zeitung eine
bedeutende Leistung anzuzeigen.

Es war schon ein schweres und weitläufiges Unternehmen, die Nieder¬
lassung der alten Griechen am schwarzen Meere im Interesse der alten Geo¬
graphie zu verfolgen, eine von den bedenklichen Arbeiten, welchen selbst der


Grenzboten. IV. AI
Die Küstenländer des schwarzen Meeres.

Die Hellenen im Skythenlande von Hr. Karl Neumann, Band l. Berlin,
Georg Reimer. -I8!in, —

In dem Werke des Herrn Neumann begrüßen wir eine historische Forschung
ersten Ranges. Der Verfasser erweist darin außer ungewöhnlicher Belesenheit
und einem eisernen Fleiß auch die höheren Tugenden des Historikers, einen
fein combinirenden Geist, ungewöhnlich sicher regulirt durch Bescheidenheit,
politischen Verstand uno common scznse, und serner eine Methode des
Forschens, welche energisch auf den entscheidenden Punkt losgeht, die Beweise
geschickt zu ordnen, mit unwiderstehlicher Kraft zu gruppiren weiß und selten
mehr beweisen will, als zu beweisen möglich und nothwendig ist. Die Mäßi¬
gung und Sicherheit seiner Constructionen erscheinen bei einem ersten Werke sehr
ungewöhnlich, nur hier und da verräth ein zu liebevolles Vertiefen in das
Detail, daß nicht ein alter Meister uns belehrt. Nächst der wissenschaftlichen
Tüchtigkeit gibt es wie zu jeder Zeit bestimmte historische und philologische
Streitfragen, an deuen sich die Gleichstrebenden erkennen und nächst dem ge¬
meinsamen Schatz historischer Belesenheit noch eine Reihe von speciellen Hilfs¬
mitteln, auf welche sich die befreundeten Forscher derselben Richtung vorzugs¬
weise gern stützen. Herr Neumann scheint nicht ganz derselben philologischen
Schule anzugehören, aus welcher die Kritiken d. Bl. hervorzugehen pflegen,
seine Ansichten über die Entstehung des griechischen Epos z. B. sind nicht in
dem Sinne von Wolf und Lachmann und unter den Büchern, welche auf ihn
eingewirkt haben, sind die neusten Werke unsrer Archäologen, z.B. Otto Jahns
Untersuchungen über die griechischen Thongefäße und Prellers Mythologie,
nicht deutlich zu erkennen. Um so unbefangener ist die Freude, daß gediegenes
Wissen und sichere Technik den Verfasser fast immer zu Resultaten führen,
welche imponiren und eine herzliche Beistimmung für sich verlangen. Und es
ist d. Bl- eine Freude, früher als manche streng wissenschaftliche Zeitung eine
bedeutende Leistung anzuzeigen.

Es war schon ein schweres und weitläufiges Unternehmen, die Nieder¬
lassung der alten Griechen am schwarzen Meere im Interesse der alten Geo¬
graphie zu verfolgen, eine von den bedenklichen Arbeiten, welchen selbst der


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[0169] Die Küstenländer des schwarzen Meeres. Die Hellenen im Skythenlande von Hr. Karl Neumann, Band l. Berlin, Georg Reimer. -I8!in, — In dem Werke des Herrn Neumann begrüßen wir eine historische Forschung ersten Ranges. Der Verfasser erweist darin außer ungewöhnlicher Belesenheit und einem eisernen Fleiß auch die höheren Tugenden des Historikers, einen fein combinirenden Geist, ungewöhnlich sicher regulirt durch Bescheidenheit, politischen Verstand uno common scznse, und serner eine Methode des Forschens, welche energisch auf den entscheidenden Punkt losgeht, die Beweise geschickt zu ordnen, mit unwiderstehlicher Kraft zu gruppiren weiß und selten mehr beweisen will, als zu beweisen möglich und nothwendig ist. Die Mäßi¬ gung und Sicherheit seiner Constructionen erscheinen bei einem ersten Werke sehr ungewöhnlich, nur hier und da verräth ein zu liebevolles Vertiefen in das Detail, daß nicht ein alter Meister uns belehrt. Nächst der wissenschaftlichen Tüchtigkeit gibt es wie zu jeder Zeit bestimmte historische und philologische Streitfragen, an deuen sich die Gleichstrebenden erkennen und nächst dem ge¬ meinsamen Schatz historischer Belesenheit noch eine Reihe von speciellen Hilfs¬ mitteln, auf welche sich die befreundeten Forscher derselben Richtung vorzugs¬ weise gern stützen. Herr Neumann scheint nicht ganz derselben philologischen Schule anzugehören, aus welcher die Kritiken d. Bl. hervorzugehen pflegen, seine Ansichten über die Entstehung des griechischen Epos z. B. sind nicht in dem Sinne von Wolf und Lachmann und unter den Büchern, welche auf ihn eingewirkt haben, sind die neusten Werke unsrer Archäologen, z.B. Otto Jahns Untersuchungen über die griechischen Thongefäße und Prellers Mythologie, nicht deutlich zu erkennen. Um so unbefangener ist die Freude, daß gediegenes Wissen und sichere Technik den Verfasser fast immer zu Resultaten führen, welche imponiren und eine herzliche Beistimmung für sich verlangen. Und es ist d. Bl- eine Freude, früher als manche streng wissenschaftliche Zeitung eine bedeutende Leistung anzuzeigen. Es war schon ein schweres und weitläufiges Unternehmen, die Nieder¬ lassung der alten Griechen am schwarzen Meere im Interesse der alten Geo¬ graphie zu verfolgen, eine von den bedenklichen Arbeiten, welchen selbst der Grenzboten. IV. AI

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/169>, abgerufen am 28.04.2024.