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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Fleiß deutscher Forscher lange aus dem Wege gegangen ist. Denn die
Nachrichten aus dem Alterthum, welche uns über die griechischen Kolonien ge¬
blieben, sind höchst unsicher und unvollständig und das Grenzgebiet zwischen
Europa und Asien gleicht einem versunkenen Lande, auf welches man noch durch
einzelne enge Erdspalten hinabschauen darf, um zu ahnen, daß dort ein
reiches und originelles Culturleben im Sonnenlicht blühte. Dürftige Notizen
alter Schriftsteller und Scherben der Todtenhügel, das ist alles, was wir davon
haben. Eine gute kritische Zusammenstellung der vorhandenen Nachrichten
darüber wäre gewiß ein dankenswerthes Unternehmen gewesen, es hätte kaum
zu einer längern Anzeige in d. Bl. Gelegenheit gegeben. Herr Neumann hat
sich eine weitere Aufgabe gestellt. Er ist bemüht, das Leben aller Völker und
Bürgerschaften, welche im Alterthum Umwohner des schwarzen Meeres waren,
zu construiren und ihre Entwicklung und Geschichte in Verbindung mit dem
Boden, auf dem sie saßen, zu betrachten. Er zieht die Landschaft selbst in
das Bereich seiner Forschungen und weiß die Wechselwirkung der Natur und
der Menschen, wie der Völkerracen gegeneinander so vortrefflich zu schil¬
dern, daß vor unserm Sinn die Bilder des alten Lebens verständlich, farbig,
mit charakteristischen Zügen wieder ausgehen.

Unter den vielen Räthseln, welche für unsre Wissenschaften an den Küsten
des schwarzen Meeres zu lösen sind, steht ein geographisches obenan. Jetzt ist,
wie bekannt, im Norden des Meeres ein weites Steppengebiet, ein Land von
dünner Bevölkerung, ohne Ackerbau, mit Klima und Bodenbeschaffenheit, welche
feste Anstedlungen, außer an einzelnen Flußeinschnitten, sast unmöglich machen.
Die Andeutungen alter Schriftsteller lassen erkennen, daß zur Zeit der Griechen
hellenische Kolonien da gediehen, wo jetzt im Winter der Schneesturm vernichtend
über baumlose Einöden rast und im Hochsommer die torrente Sonne alles Pflan¬
zenleben vernichtet. Herr Neumann hat durch Zusammenstellung aller ältern und
neuern Nachrichten über den Charakter der südrussischen Steppe nachgewiesen, daß
große Striche derselben im Alterthum mit Laubwald bewachsen waren, daß
deshalb die atmosphärische Feuchtigkeit größer, ihre Niederschläge regelmäßiger
und ein lohnender Getreidebau an vielen Stellen möglich war, wo jetzt das
Steppengras allein zu dauern vermag. Er weist nach, wie durch die allmülige Ent¬
Holzung des Landes, welche seit dem Eindringen der Slawen, der großen Wald-
verwüster, mit reißender Schnelligkeit zunahm, weite fruchtbare Landstriche dem
wildesten Steppenklima versallen sind; wie diese Verödung des.Landes noch jetzt
unaufhörlich an den Rändern der Steppe fortschreitet, diese vergrößernd, und wie
alle Bemühungen der russischen Regierung, durch neue Anpflanzungen dem Un¬
glück zu steuern, bis jetzt im Großen betrachtet vergeblich gewesen sind. Die
schöne Ausführung dieses Beweises hat auch ein anderes, als das historische
Interesse.


Fleiß deutscher Forscher lange aus dem Wege gegangen ist. Denn die
Nachrichten aus dem Alterthum, welche uns über die griechischen Kolonien ge¬
blieben, sind höchst unsicher und unvollständig und das Grenzgebiet zwischen
Europa und Asien gleicht einem versunkenen Lande, auf welches man noch durch
einzelne enge Erdspalten hinabschauen darf, um zu ahnen, daß dort ein
reiches und originelles Culturleben im Sonnenlicht blühte. Dürftige Notizen
alter Schriftsteller und Scherben der Todtenhügel, das ist alles, was wir davon
haben. Eine gute kritische Zusammenstellung der vorhandenen Nachrichten
darüber wäre gewiß ein dankenswerthes Unternehmen gewesen, es hätte kaum
zu einer längern Anzeige in d. Bl. Gelegenheit gegeben. Herr Neumann hat
sich eine weitere Aufgabe gestellt. Er ist bemüht, das Leben aller Völker und
Bürgerschaften, welche im Alterthum Umwohner des schwarzen Meeres waren,
zu construiren und ihre Entwicklung und Geschichte in Verbindung mit dem
Boden, auf dem sie saßen, zu betrachten. Er zieht die Landschaft selbst in
das Bereich seiner Forschungen und weiß die Wechselwirkung der Natur und
der Menschen, wie der Völkerracen gegeneinander so vortrefflich zu schil¬
dern, daß vor unserm Sinn die Bilder des alten Lebens verständlich, farbig,
mit charakteristischen Zügen wieder ausgehen.

Unter den vielen Räthseln, welche für unsre Wissenschaften an den Küsten
des schwarzen Meeres zu lösen sind, steht ein geographisches obenan. Jetzt ist,
wie bekannt, im Norden des Meeres ein weites Steppengebiet, ein Land von
dünner Bevölkerung, ohne Ackerbau, mit Klima und Bodenbeschaffenheit, welche
feste Anstedlungen, außer an einzelnen Flußeinschnitten, sast unmöglich machen.
Die Andeutungen alter Schriftsteller lassen erkennen, daß zur Zeit der Griechen
hellenische Kolonien da gediehen, wo jetzt im Winter der Schneesturm vernichtend
über baumlose Einöden rast und im Hochsommer die torrente Sonne alles Pflan¬
zenleben vernichtet. Herr Neumann hat durch Zusammenstellung aller ältern und
neuern Nachrichten über den Charakter der südrussischen Steppe nachgewiesen, daß
große Striche derselben im Alterthum mit Laubwald bewachsen waren, daß
deshalb die atmosphärische Feuchtigkeit größer, ihre Niederschläge regelmäßiger
und ein lohnender Getreidebau an vielen Stellen möglich war, wo jetzt das
Steppengras allein zu dauern vermag. Er weist nach, wie durch die allmülige Ent¬
Holzung des Landes, welche seit dem Eindringen der Slawen, der großen Wald-
verwüster, mit reißender Schnelligkeit zunahm, weite fruchtbare Landstriche dem
wildesten Steppenklima versallen sind; wie diese Verödung des.Landes noch jetzt
unaufhörlich an den Rändern der Steppe fortschreitet, diese vergrößernd, und wie
alle Bemühungen der russischen Regierung, durch neue Anpflanzungen dem Un¬
glück zu steuern, bis jetzt im Großen betrachtet vergeblich gewesen sind. Die
schöne Ausführung dieses Beweises hat auch ein anderes, als das historische
Interesse.


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[0170] Fleiß deutscher Forscher lange aus dem Wege gegangen ist. Denn die Nachrichten aus dem Alterthum, welche uns über die griechischen Kolonien ge¬ blieben, sind höchst unsicher und unvollständig und das Grenzgebiet zwischen Europa und Asien gleicht einem versunkenen Lande, auf welches man noch durch einzelne enge Erdspalten hinabschauen darf, um zu ahnen, daß dort ein reiches und originelles Culturleben im Sonnenlicht blühte. Dürftige Notizen alter Schriftsteller und Scherben der Todtenhügel, das ist alles, was wir davon haben. Eine gute kritische Zusammenstellung der vorhandenen Nachrichten darüber wäre gewiß ein dankenswerthes Unternehmen gewesen, es hätte kaum zu einer längern Anzeige in d. Bl. Gelegenheit gegeben. Herr Neumann hat sich eine weitere Aufgabe gestellt. Er ist bemüht, das Leben aller Völker und Bürgerschaften, welche im Alterthum Umwohner des schwarzen Meeres waren, zu construiren und ihre Entwicklung und Geschichte in Verbindung mit dem Boden, auf dem sie saßen, zu betrachten. Er zieht die Landschaft selbst in das Bereich seiner Forschungen und weiß die Wechselwirkung der Natur und der Menschen, wie der Völkerracen gegeneinander so vortrefflich zu schil¬ dern, daß vor unserm Sinn die Bilder des alten Lebens verständlich, farbig, mit charakteristischen Zügen wieder ausgehen. Unter den vielen Räthseln, welche für unsre Wissenschaften an den Küsten des schwarzen Meeres zu lösen sind, steht ein geographisches obenan. Jetzt ist, wie bekannt, im Norden des Meeres ein weites Steppengebiet, ein Land von dünner Bevölkerung, ohne Ackerbau, mit Klima und Bodenbeschaffenheit, welche feste Anstedlungen, außer an einzelnen Flußeinschnitten, sast unmöglich machen. Die Andeutungen alter Schriftsteller lassen erkennen, daß zur Zeit der Griechen hellenische Kolonien da gediehen, wo jetzt im Winter der Schneesturm vernichtend über baumlose Einöden rast und im Hochsommer die torrente Sonne alles Pflan¬ zenleben vernichtet. Herr Neumann hat durch Zusammenstellung aller ältern und neuern Nachrichten über den Charakter der südrussischen Steppe nachgewiesen, daß große Striche derselben im Alterthum mit Laubwald bewachsen waren, daß deshalb die atmosphärische Feuchtigkeit größer, ihre Niederschläge regelmäßiger und ein lohnender Getreidebau an vielen Stellen möglich war, wo jetzt das Steppengras allein zu dauern vermag. Er weist nach, wie durch die allmülige Ent¬ Holzung des Landes, welche seit dem Eindringen der Slawen, der großen Wald- verwüster, mit reißender Schnelligkeit zunahm, weite fruchtbare Landstriche dem wildesten Steppenklima versallen sind; wie diese Verödung des.Landes noch jetzt unaufhörlich an den Rändern der Steppe fortschreitet, diese vergrößernd, und wie alle Bemühungen der russischen Regierung, durch neue Anpflanzungen dem Un¬ glück zu steuern, bis jetzt im Großen betrachtet vergeblich gewesen sind. Die schöne Ausführung dieses Beweises hat auch ein anderes, als das historische Interesse.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/170>, abgerufen am 13.05.2024.