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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Es war auf dem Balle des türkischen Gesandten, wo jener einen Schwar¬
zen in einer auffallenden Uniform bemerkte, dessen Züge ihm nicht unbekannt
schienen. Er ging mehrmals an ihn heran und suchte in seinem Gedächtnisse
nach dem Original, an das ihn diese Erscheinung erinnerte. Da trat der fremde
Ofizier endlich zu ihm und rief lachend: Erkennen Sie mich denn nicht? Ich
bin ja ihr Jean -- Sehen Sie, ich hatte doch Recht mit meinem Berufe --
ich fühlte, daß ich zum Bedienten nicht taugte -- ich mußte mein Glück machen.
Manches hatte ich allerdings zu bestehen, aber nun ist es mir doch gelungen,
und ich bin der erste Secretär der pariser Gesandtschaft Sr. Majestät des
Kaisers Soulouque. Der Mann wird vielleicht noch Ministerpräsident, ein
schwarzer Richelieu und in seiner Eigenschaft als schlechter Dramatiker zugleich
Gründer einer schwarzen Akademie.




Rußland und Deutschland.

Zu den detaillirten Nachrichten über die Einnahme des Forts Kinburn
kommt in dieser Stunde die Nachricht, daß die Russen ihre Position gegen¬
über Kinburn freiwillig aufgegeben und die Befestigungen von Oezakow selbst
in die Luft gesprengt haben. So ist der große Liman, welcher durch den Zu¬
sammenfluß des Bug und Dniepr gebildet wird, in den Händen der Alliirten,
und es ist eine sichere Basis gewonnen für weitere Operationen sowol gegen
5le Hauptstadt am Bug, Nikolajew, als gegen das Emporium des Dniepr,
Cherson. Daß diese neu" Erpedition der Verbündeten die Folge haben muß,
die russische Armee in der Krim zu> isoliren und die Zufuhr an Truppen und
Kriegsmaterial in bedrohlicher Weise zu erschweren, ist unzweifelhaft. Zwar
wird dadurch den Russen nicht die letzte Rückzugslinie abgeschnitten, wol aber
werden die auf die Krim zu dirigirten Verstärkungen durch den Angriff an
einer neuen verwundbaren Stelle festgenagelt, und die Prophezeihung der Tages¬
blätter wird nach der Erpedition auf Bug und Dniepr allerdings zur That¬
sache werden, die Russen werden nicht im Stande sein, den Winter über
ohne einen großen strategischen Fehler und das größte Risico sür das näch¬
ste Frühjahr die Krim zu behaupten. Denn in wenig Wochen, vielleicht
schon in diesem Monat beginnt die Zeit, wo die Landwege der Steppe
durch Stürme und Schneemassen unwegsam werden. Seit der Occu-
Pation des asowschen Meeres ist die bequemste Getreidcstraße der russischen
Armee sür diese verloren, und es droht eine Winterisolirung. In dieser Zeit
wird die Armee schwächer an Mannschaft, !und nach den Niederlagen des


Es war auf dem Balle des türkischen Gesandten, wo jener einen Schwar¬
zen in einer auffallenden Uniform bemerkte, dessen Züge ihm nicht unbekannt
schienen. Er ging mehrmals an ihn heran und suchte in seinem Gedächtnisse
nach dem Original, an das ihn diese Erscheinung erinnerte. Da trat der fremde
Ofizier endlich zu ihm und rief lachend: Erkennen Sie mich denn nicht? Ich
bin ja ihr Jean — Sehen Sie, ich hatte doch Recht mit meinem Berufe —
ich fühlte, daß ich zum Bedienten nicht taugte — ich mußte mein Glück machen.
Manches hatte ich allerdings zu bestehen, aber nun ist es mir doch gelungen,
und ich bin der erste Secretär der pariser Gesandtschaft Sr. Majestät des
Kaisers Soulouque. Der Mann wird vielleicht noch Ministerpräsident, ein
schwarzer Richelieu und in seiner Eigenschaft als schlechter Dramatiker zugleich
Gründer einer schwarzen Akademie.




Rußland und Deutschland.

Zu den detaillirten Nachrichten über die Einnahme des Forts Kinburn
kommt in dieser Stunde die Nachricht, daß die Russen ihre Position gegen¬
über Kinburn freiwillig aufgegeben und die Befestigungen von Oezakow selbst
in die Luft gesprengt haben. So ist der große Liman, welcher durch den Zu¬
sammenfluß des Bug und Dniepr gebildet wird, in den Händen der Alliirten,
und es ist eine sichere Basis gewonnen für weitere Operationen sowol gegen
5le Hauptstadt am Bug, Nikolajew, als gegen das Emporium des Dniepr,
Cherson. Daß diese neu« Erpedition der Verbündeten die Folge haben muß,
die russische Armee in der Krim zu> isoliren und die Zufuhr an Truppen und
Kriegsmaterial in bedrohlicher Weise zu erschweren, ist unzweifelhaft. Zwar
wird dadurch den Russen nicht die letzte Rückzugslinie abgeschnitten, wol aber
werden die auf die Krim zu dirigirten Verstärkungen durch den Angriff an
einer neuen verwundbaren Stelle festgenagelt, und die Prophezeihung der Tages¬
blätter wird nach der Erpedition auf Bug und Dniepr allerdings zur That¬
sache werden, die Russen werden nicht im Stande sein, den Winter über
ohne einen großen strategischen Fehler und das größte Risico sür das näch¬
ste Frühjahr die Krim zu behaupten. Denn in wenig Wochen, vielleicht
schon in diesem Monat beginnt die Zeit, wo die Landwege der Steppe
durch Stürme und Schneemassen unwegsam werden. Seit der Occu-
Pation des asowschen Meeres ist die bequemste Getreidcstraße der russischen
Armee sür diese verloren, und es droht eine Winterisolirung. In dieser Zeit
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[0197] Es war auf dem Balle des türkischen Gesandten, wo jener einen Schwar¬ zen in einer auffallenden Uniform bemerkte, dessen Züge ihm nicht unbekannt schienen. Er ging mehrmals an ihn heran und suchte in seinem Gedächtnisse nach dem Original, an das ihn diese Erscheinung erinnerte. Da trat der fremde Ofizier endlich zu ihm und rief lachend: Erkennen Sie mich denn nicht? Ich bin ja ihr Jean — Sehen Sie, ich hatte doch Recht mit meinem Berufe — ich fühlte, daß ich zum Bedienten nicht taugte — ich mußte mein Glück machen. Manches hatte ich allerdings zu bestehen, aber nun ist es mir doch gelungen, und ich bin der erste Secretär der pariser Gesandtschaft Sr. Majestät des Kaisers Soulouque. Der Mann wird vielleicht noch Ministerpräsident, ein schwarzer Richelieu und in seiner Eigenschaft als schlechter Dramatiker zugleich Gründer einer schwarzen Akademie. Rußland und Deutschland. Zu den detaillirten Nachrichten über die Einnahme des Forts Kinburn kommt in dieser Stunde die Nachricht, daß die Russen ihre Position gegen¬ über Kinburn freiwillig aufgegeben und die Befestigungen von Oezakow selbst in die Luft gesprengt haben. So ist der große Liman, welcher durch den Zu¬ sammenfluß des Bug und Dniepr gebildet wird, in den Händen der Alliirten, und es ist eine sichere Basis gewonnen für weitere Operationen sowol gegen 5le Hauptstadt am Bug, Nikolajew, als gegen das Emporium des Dniepr, Cherson. Daß diese neu« Erpedition der Verbündeten die Folge haben muß, die russische Armee in der Krim zu> isoliren und die Zufuhr an Truppen und Kriegsmaterial in bedrohlicher Weise zu erschweren, ist unzweifelhaft. Zwar wird dadurch den Russen nicht die letzte Rückzugslinie abgeschnitten, wol aber werden die auf die Krim zu dirigirten Verstärkungen durch den Angriff an einer neuen verwundbaren Stelle festgenagelt, und die Prophezeihung der Tages¬ blätter wird nach der Erpedition auf Bug und Dniepr allerdings zur That¬ sache werden, die Russen werden nicht im Stande sein, den Winter über ohne einen großen strategischen Fehler und das größte Risico sür das näch¬ ste Frühjahr die Krim zu behaupten. Denn in wenig Wochen, vielleicht schon in diesem Monat beginnt die Zeit, wo die Landwege der Steppe durch Stürme und Schneemassen unwegsam werden. Seit der Occu- Pation des asowschen Meeres ist die bequemste Getreidcstraße der russischen Armee sür diese verloren, und es droht eine Winterisolirung. In dieser Zeit wird die Armee schwächer an Mannschaft, !und nach den Niederlagen des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/197>, abgerufen am 28.04.2024.