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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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und verdienftlos. Er trat in verschiedene Dienste und kam endlich zu meinem
Bekannten. Sein neuer Herr gewann den Jungen lieb, denn er war auf¬
geweckt, dienstwillig und zu allem brauchbar. Er hatte zwei Fehler: er schrieb
Dramen und wenn der Herr abwesend war identificirte er gern seine Persön¬
lichkeit mit diesem. Er zog dessen Kleider an, spielte den Dandy, und ging
allerlei lustigen Abenteuern in Mabille, Chateau de fleurs u. s. w. nach.
Seine Dramen, obgleich alle herzlich schlecht, wimmelnd von unsinnigen Vor¬
aussetzungen, verriethen doch jenes unerklärliche Etwas, das man dichterisches
Feuer nennt. Die lächerlichste Situation in einer Tragödie gab einer
schwungvollen Tirade die Hand -- es war ein buntes Gemisch, wie es nur
in dem Hirn eines ungebildeten, unwissenden Menschen von einiger Phantasie und
von poetischem Triebe bestehen kann. Diese Neigung zur dramatischen Pro-
duction war aber keine blos innerliche, Louis hatte das Bedürfniß, auch seine
Person mit dramatischen Fictionen zu umgeben und bei der galanten Welt von
Mabille, die häufiger dupirt wird, als man anzunehmen geneigt ist, gelang ihm
sein Beginnen vortrefflich. In diesen Kreisen hörte man bald von einem
schwarzen Gentleman sprechen, der sich durch originelle Manieren, durch unge¬
wöhnliche Eleganz hervorthue. Auch sein Herr bekam Kunde von dem Phäno¬
men und aus der Unordnung, die in der Garderobe herrschte, sowie aus andern
Einzelnheiten schloß er auf die Identität des Helden vom Quartier Breda und
seines Bedienten. Auch ertappte er ihn zuweilen auf seinen Metamorphosen
und hoffend, gütige Vorstellungen würden den schwarzen Leporello Don Juan zum
Bewußtsein der gesellschaftlichen Stellung, die er bekleidete, zurückführen, be¬
handelte er die Streiche mit Nachsicht. Die Sache wurde aber immer schlimmer,
das Bedürfniß den Dandy zu spielen bei dem jungen Manne täglich größer.
Auf Vorstellungen des Herrn entgegnete er: "Sie haben Recht, ich fühle es, aber
ich kann mir nicht helfen, ich thue meinen Dienst, aber wenn ich fertig bin
und sehe Ihre schönen Kleider, die so nutzlos im Schranke hängen, da über¬
kommt es mich so eigen. Sie fliegen mir zu und ohne daß ich es merke sehe
ich mich in einen Monsieur verwandelt. Ich bin nun einmal zum Monsieur
geboren." Mit dieser Beichte war aber auch jede Scheu abgelegt -- das
herrliche Bewußtsein entwickelte sich mit wachsender Gewalt, so daß mein
Bekannter das Band lösen mußte, das ihn an diesen Menschen knüpfte und
ihm den Abschied gab.

Die Theilnahme an dem sonderbaren Kauz, dessen interessanteste Erlebnisse
sich nicht gut zu gedruckter Mittheilung eignen, war in dem Kreise unsrer Be¬
kannten nicht gering. Man erkundigte sich von Zeit zu Zeit nach dem Schick¬
sal des schwarzen Johann, aber niemand erfuhr etwas von ihm. Wir ver¬
gaßen allmälig den dramatischen Bedienten, als sein Herr vergangenen Winter
eine eigenthümliche Begegnung mit dem Verlornen Sohne der Muse hatte.


und verdienftlos. Er trat in verschiedene Dienste und kam endlich zu meinem
Bekannten. Sein neuer Herr gewann den Jungen lieb, denn er war auf¬
geweckt, dienstwillig und zu allem brauchbar. Er hatte zwei Fehler: er schrieb
Dramen und wenn der Herr abwesend war identificirte er gern seine Persön¬
lichkeit mit diesem. Er zog dessen Kleider an, spielte den Dandy, und ging
allerlei lustigen Abenteuern in Mabille, Chateau de fleurs u. s. w. nach.
Seine Dramen, obgleich alle herzlich schlecht, wimmelnd von unsinnigen Vor¬
aussetzungen, verriethen doch jenes unerklärliche Etwas, das man dichterisches
Feuer nennt. Die lächerlichste Situation in einer Tragödie gab einer
schwungvollen Tirade die Hand — es war ein buntes Gemisch, wie es nur
in dem Hirn eines ungebildeten, unwissenden Menschen von einiger Phantasie und
von poetischem Triebe bestehen kann. Diese Neigung zur dramatischen Pro-
duction war aber keine blos innerliche, Louis hatte das Bedürfniß, auch seine
Person mit dramatischen Fictionen zu umgeben und bei der galanten Welt von
Mabille, die häufiger dupirt wird, als man anzunehmen geneigt ist, gelang ihm
sein Beginnen vortrefflich. In diesen Kreisen hörte man bald von einem
schwarzen Gentleman sprechen, der sich durch originelle Manieren, durch unge¬
wöhnliche Eleganz hervorthue. Auch sein Herr bekam Kunde von dem Phäno¬
men und aus der Unordnung, die in der Garderobe herrschte, sowie aus andern
Einzelnheiten schloß er auf die Identität des Helden vom Quartier Breda und
seines Bedienten. Auch ertappte er ihn zuweilen auf seinen Metamorphosen
und hoffend, gütige Vorstellungen würden den schwarzen Leporello Don Juan zum
Bewußtsein der gesellschaftlichen Stellung, die er bekleidete, zurückführen, be¬
handelte er die Streiche mit Nachsicht. Die Sache wurde aber immer schlimmer,
das Bedürfniß den Dandy zu spielen bei dem jungen Manne täglich größer.
Auf Vorstellungen des Herrn entgegnete er: „Sie haben Recht, ich fühle es, aber
ich kann mir nicht helfen, ich thue meinen Dienst, aber wenn ich fertig bin
und sehe Ihre schönen Kleider, die so nutzlos im Schranke hängen, da über¬
kommt es mich so eigen. Sie fliegen mir zu und ohne daß ich es merke sehe
ich mich in einen Monsieur verwandelt. Ich bin nun einmal zum Monsieur
geboren." Mit dieser Beichte war aber auch jede Scheu abgelegt — das
herrliche Bewußtsein entwickelte sich mit wachsender Gewalt, so daß mein
Bekannter das Band lösen mußte, das ihn an diesen Menschen knüpfte und
ihm den Abschied gab.

Die Theilnahme an dem sonderbaren Kauz, dessen interessanteste Erlebnisse
sich nicht gut zu gedruckter Mittheilung eignen, war in dem Kreise unsrer Be¬
kannten nicht gering. Man erkundigte sich von Zeit zu Zeit nach dem Schick¬
sal des schwarzen Johann, aber niemand erfuhr etwas von ihm. Wir ver¬
gaßen allmälig den dramatischen Bedienten, als sein Herr vergangenen Winter
eine eigenthümliche Begegnung mit dem Verlornen Sohne der Muse hatte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/196>, abgerufen am 13.05.2024.