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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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niedrigung, Trägheit, Gleichgiltigkeit, vor dem Geschmack an der Mode und
dem Reichthum, den wir ihnen zum Vorwurf machen." In der That kann
man die Mißbräuche der Verwaltung nicht der Aristokratie Schuld geben. Sie
hat keinen Vorzug in den Ofsizierstellen, noch weniger in den Bureaurämtern,
um welche sie sich wenig bewirbt. Der Mangel an militärischer Erfahrung ist
bei dem Bürgerthum ebenso groß, als bei dem Adel und rührt von dem
Mangel guter Specialschulen her. Die Hauptangriffe waren gegen die
"Patronage" gerichtet, dagegen, daß die Minister bei Anstellungen weniger
auf das Staatswohl, als daraus sehen, daß sie ihre alten Clienten belohnen und
neue Clienten sich schaffen; dagegen, daß Familien-, gesellschaftliche und Par¬
teirücksichten bei der Besetzung der Stellen eine große Rolle spielen. Man
darf aber nicht vergessen, daß-ein freier Staat wie England ein Staat ist, wo
die Parteien herrschen und wo die herrschende Partei genöthigt ist, die Staats¬
ämter mit ihren Anhängern zu besetzen. Es kommt nur darauf an, daß diese
Anhänger für dies ihnen übertragene Amt geeignet und tüchtig sind und dies
zu erreichen wird der öffentlichen Meinung in England, sobald sie es ernstlich
will, sicherlich gelingen. Der öffentlichen Meinung in England hat noch kein
Ministerium Widerstand zu leisten vermocht.




Die Franzosen im Jahre 1806 in Berlin.

Endlich hatte Friedrich Wilhelm III. dem Drängen der russisch gesinnten
Partei nachgegeben, die den Krieg gegen Frankreich als eine von dem National¬
willen dringend geltend gemachte Forderung hinstellte und unmittelbar nach der
Rückkehr der Königin aus Phrmont eilten Couriere nach allen Seiten, um
der Armee den Befehl zu überbringen, sich in Bewegung zu setzen.

Der Prinz Louis Ferdinand, dessen feuriges Temperament ihn weit über
die Grenzen ruhiger Besonnenheit hinausführte, war vielleicht ebendeshalb der
Held der Berliner geworden. Prinz Louis war jedenfalls von der Natur sowol
in leiblicher wie geistiger Beziehung aus das entschiedenste begünstigt worden,
er hatte einen schönen, starken Körper, neben diesem einen hellen Verstand, aber
auch heftige Leidenschaften. Gern glauben wir einem seiner Zeitgenossen, welcher
sich in Bezug auf ihn in folgenden Worten äußert: "Für ihn war nur der
Königsthron, und da er ihn nicht besaß, so wußte er nicht, was er mit seiner
Kraft anfangen sollte; er ließ also seinen Leidenschaften den Zügel schießen und
gab sich ganz dem physischen Genuß hin. Bei Tage Champagner, des Nachts
schöne Mädchen, zur Abwechselung Musik und Jagd, unter diese theilte er sein
Leben." -- Der völlige Gegensatz hiervon war der schüchterne, der nüchterne, in


niedrigung, Trägheit, Gleichgiltigkeit, vor dem Geschmack an der Mode und
dem Reichthum, den wir ihnen zum Vorwurf machen." In der That kann
man die Mißbräuche der Verwaltung nicht der Aristokratie Schuld geben. Sie
hat keinen Vorzug in den Ofsizierstellen, noch weniger in den Bureaurämtern,
um welche sie sich wenig bewirbt. Der Mangel an militärischer Erfahrung ist
bei dem Bürgerthum ebenso groß, als bei dem Adel und rührt von dem
Mangel guter Specialschulen her. Die Hauptangriffe waren gegen die
„Patronage" gerichtet, dagegen, daß die Minister bei Anstellungen weniger
auf das Staatswohl, als daraus sehen, daß sie ihre alten Clienten belohnen und
neue Clienten sich schaffen; dagegen, daß Familien-, gesellschaftliche und Par¬
teirücksichten bei der Besetzung der Stellen eine große Rolle spielen. Man
darf aber nicht vergessen, daß-ein freier Staat wie England ein Staat ist, wo
die Parteien herrschen und wo die herrschende Partei genöthigt ist, die Staats¬
ämter mit ihren Anhängern zu besetzen. Es kommt nur darauf an, daß diese
Anhänger für dies ihnen übertragene Amt geeignet und tüchtig sind und dies
zu erreichen wird der öffentlichen Meinung in England, sobald sie es ernstlich
will, sicherlich gelingen. Der öffentlichen Meinung in England hat noch kein
Ministerium Widerstand zu leisten vermocht.




Die Franzosen im Jahre 1806 in Berlin.

Endlich hatte Friedrich Wilhelm III. dem Drängen der russisch gesinnten
Partei nachgegeben, die den Krieg gegen Frankreich als eine von dem National¬
willen dringend geltend gemachte Forderung hinstellte und unmittelbar nach der
Rückkehr der Königin aus Phrmont eilten Couriere nach allen Seiten, um
der Armee den Befehl zu überbringen, sich in Bewegung zu setzen.

Der Prinz Louis Ferdinand, dessen feuriges Temperament ihn weit über
die Grenzen ruhiger Besonnenheit hinausführte, war vielleicht ebendeshalb der
Held der Berliner geworden. Prinz Louis war jedenfalls von der Natur sowol
in leiblicher wie geistiger Beziehung aus das entschiedenste begünstigt worden,
er hatte einen schönen, starken Körper, neben diesem einen hellen Verstand, aber
auch heftige Leidenschaften. Gern glauben wir einem seiner Zeitgenossen, welcher
sich in Bezug auf ihn in folgenden Worten äußert: „Für ihn war nur der
Königsthron, und da er ihn nicht besaß, so wußte er nicht, was er mit seiner
Kraft anfangen sollte; er ließ also seinen Leidenschaften den Zügel schießen und
gab sich ganz dem physischen Genuß hin. Bei Tage Champagner, des Nachts
schöne Mädchen, zur Abwechselung Musik und Jagd, unter diese theilte er sein
Leben." — Der völlige Gegensatz hiervon war der schüchterne, der nüchterne, in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/263>, abgerufen am 28.04.2024.