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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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sellschaften, als den unfähigen (wrpicl) Händen der Negierung überlassen; daß
nach dem Ausspruche Lord Rüssels Pitt eingestanden habe, während seiner
ganzen Verwaltung hätte er niemals einen Mann an die Stelle setzen können,
wo er ihn hätte haben wollen? Gladstone habe- versprochen, in der Verwal¬
tung die politische Patronage abzuschaffen; der geheime Rath halte sie aufrecht,
er gewähre nur illusorische Garantien, indem er zu Mitgliedern der Eramina-
tionscommission solche Männer ernenne, welche die Concursprüfungen verworfen
hätten. "Der rechte Mann an der rechten Stelle!" si'de risslu men la Mo
ri^de pwoss!)

Aber dem Verein gelang es nicht, die öffentliche Meinung für seine Sache
zu begeistern und das Parlament behandelte sie wie-eine gewöhnliche Frage.
Am 10. Juli 183S beantragte Scully im Unterhause, den Bestimmungen des
geheimen Raths dadurch mehr Nachdruck zu geben, daß man die Oeffentlichkeit
der Prüfungen einführe und die anzustellenden Beamten nach dem Ausfall
der Prüfung rangiren lasse.' Der Schatzkanzler vertheidigte das System des
geheimen Rathes. Die Oeffentlichkeit der Prüfungen sei unnütz, da die Prüfung
zum Theil eine schriftliche sei; wollte man eine Rangordnung der Aspiranten
einführen, so würde man dem Ministerium die Hände binden und die Ver¬
antwortlichkeit desselben aufheben. Gegen die Patronage und ihre Mißbräuche
erhoben sich energisch Lindsay, Sir Northcote und insbesondere Gladstone.
Der Premier Lord Palmerston konnte nicht schweigen. Er bemerkte vorsichtig,
daß man einig über den Zweck, uneinig über die Mittel sei. Er lobte die
gegenwärtigen Beamten der Regierung und die Prüfungen im Allgemeinen; er
fand eS-nur sehr schwierig, für das Avancement eine Regel aufzustellen, welche
auf die gesammte Beamtenhierarchie anwendbar sei und das Verdienst und die
Anciennetät in gleichem Maße berücksichtige. Er rieth daher, es zunächst mit
dem zuletzt eingeführten System zu versuchen, worauf denn die Frage mit 140
gegen 123 Stimmen angenommen wurde.

ES ist sehr zu beachten, daß die Angriffe der Reformfreunde im Parla¬
ment niemals gegen die englische Aristokratie sich richteten. "Ich bin stolz auf
unsre Aristokratie, sagte Laing, sie ist nicht verweichlicht." "Wer sucht Zwie¬
tracht zu finden zwischen der Aristokratie und dem Volke," rief Lindsay aus,
"ich kann keine Aristokratie des Continents mit der unsrigen vergleichen!" Der
berühmte Prediger Maurice sprach in einem Handwerkerverein: "Obgleich ich
ein Bürgerlicher bin, kann und mag ich nicht leugnen, daß das Bewußtsein
der Geburt eine kostbare Sache ist für den Einzelnen und für die Nation.
Dieser Glaube fehlt den Amerikanern und England selbst besitzt ihn noch nicht
genug. Das Gefühl der Fomilie, die Achtung vor den Vorfahren ist nicht zu
stark bei uns, fondern nicht stark genug. Die Mitglieder unsrer Aristokratie
müssen diese Gefühle behalten und pflegen. Sie schützen sie vor jeder Er-


sellschaften, als den unfähigen (wrpicl) Händen der Negierung überlassen; daß
nach dem Ausspruche Lord Rüssels Pitt eingestanden habe, während seiner
ganzen Verwaltung hätte er niemals einen Mann an die Stelle setzen können,
wo er ihn hätte haben wollen? Gladstone habe- versprochen, in der Verwal¬
tung die politische Patronage abzuschaffen; der geheime Rath halte sie aufrecht,
er gewähre nur illusorische Garantien, indem er zu Mitgliedern der Eramina-
tionscommission solche Männer ernenne, welche die Concursprüfungen verworfen
hätten. „Der rechte Mann an der rechten Stelle!" si'de risslu men la Mo
ri^de pwoss!)

Aber dem Verein gelang es nicht, die öffentliche Meinung für seine Sache
zu begeistern und das Parlament behandelte sie wie-eine gewöhnliche Frage.
Am 10. Juli 183S beantragte Scully im Unterhause, den Bestimmungen des
geheimen Raths dadurch mehr Nachdruck zu geben, daß man die Oeffentlichkeit
der Prüfungen einführe und die anzustellenden Beamten nach dem Ausfall
der Prüfung rangiren lasse.' Der Schatzkanzler vertheidigte das System des
geheimen Rathes. Die Oeffentlichkeit der Prüfungen sei unnütz, da die Prüfung
zum Theil eine schriftliche sei; wollte man eine Rangordnung der Aspiranten
einführen, so würde man dem Ministerium die Hände binden und die Ver¬
antwortlichkeit desselben aufheben. Gegen die Patronage und ihre Mißbräuche
erhoben sich energisch Lindsay, Sir Northcote und insbesondere Gladstone.
Der Premier Lord Palmerston konnte nicht schweigen. Er bemerkte vorsichtig,
daß man einig über den Zweck, uneinig über die Mittel sei. Er lobte die
gegenwärtigen Beamten der Regierung und die Prüfungen im Allgemeinen; er
fand eS-nur sehr schwierig, für das Avancement eine Regel aufzustellen, welche
auf die gesammte Beamtenhierarchie anwendbar sei und das Verdienst und die
Anciennetät in gleichem Maße berücksichtige. Er rieth daher, es zunächst mit
dem zuletzt eingeführten System zu versuchen, worauf denn die Frage mit 140
gegen 123 Stimmen angenommen wurde.

ES ist sehr zu beachten, daß die Angriffe der Reformfreunde im Parla¬
ment niemals gegen die englische Aristokratie sich richteten. „Ich bin stolz auf
unsre Aristokratie, sagte Laing, sie ist nicht verweichlicht." „Wer sucht Zwie¬
tracht zu finden zwischen der Aristokratie und dem Volke," rief Lindsay aus,
„ich kann keine Aristokratie des Continents mit der unsrigen vergleichen!" Der
berühmte Prediger Maurice sprach in einem Handwerkerverein: „Obgleich ich
ein Bürgerlicher bin, kann und mag ich nicht leugnen, daß das Bewußtsein
der Geburt eine kostbare Sache ist für den Einzelnen und für die Nation.
Dieser Glaube fehlt den Amerikanern und England selbst besitzt ihn noch nicht
genug. Das Gefühl der Fomilie, die Achtung vor den Vorfahren ist nicht zu
stark bei uns, fondern nicht stark genug. Die Mitglieder unsrer Aristokratie
müssen diese Gefühle behalten und pflegen. Sie schützen sie vor jeder Er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/262>, abgerufen am 13.05.2024.