Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Kirchendisciplin sonst und jetzt.
Betrachtungen eines Dorfgeistlichen aus Pommern.

Ich trat zu jener Zeit in unser Amt, in welcher das Gestirn des königs¬
berger Philosophen am grünen Tische der Consistorien und auf den Dvrfkanzeln
zu erbleichen begann. So sehr der kategorische Imperativ mit dem Glauben
an Gott, Freiheit und Unsterblichkeit auch ohne Kenntniß des Ursprungs
und der begründenden Form in dem Herzen der Laien fortwirkte, der Ein¬
fluß der Universitäten hatte dem jungen Geschlecht der Theologen bereits eine
andre Richtung gegeben. Obgleich die Universität Halle durch die Autorität
von Gesenius und Wegscheider die alte rationalistische Ausrüstung für den
Kirchendienst am ausschließlichsten und längsten festhielt, so waren auf andern
Universitäten, namentlich in Berlin, andre Männer zur Geltung gekommen; sie
halfen die große Anziehungskraft von Halle und seiner theologischen Facultät
aufheben und die junge Generation saß eifrig zu den Füßen von Schleier¬
macher und Neander, wo neuer Most in neuen Schläuchen gereicht wurde.
Der reinste Aether theologisch-philosophischen Inhaltes strömte nur wenig aus¬
erwählten Jünglingen in den Kollegien hcgelscher Philosophen entgegen, sie
blickten ans ihrer Gedankenhöhe mit Selbstgefälligkeit auf das große Geschlecht
ihrer Commilitonen herab, welche an der Seite Schleiermachers ihren Durst
zu stillen suchten.

Wenn das Kirchenregiment die Richtung der theologischen Facultäten im Auge
behielt, und in der Zusammensetzung der theologischen Prüfungscommissionen
an einzelnen Universitäten verschiedenen Richtungen Rechnung zu tragen suchte,
so galt seine Hauptthätigkeit doch der Einführung und Befestigung der Union,
diese war zugleich die Puppe und das Schoßkind der einflußreichsten Männer
geworden. Wer die große Carriere im Kirchendienste machen wollte, suchte
über die Nothwendigkeit und den Segen der Union die weitreichendsten Zu-
stcherungen zu geben und Prüfungs- wie Synodalarbeiten boten den gün¬
stigsten Boden zu einer Empfehlung. Natürlich wurde die Empfehlung des
Einzelnen dadurch erschwert, daß sich alle jungen strebsamen Männer dem auf¬
gehenden Gestirne zuwandi.a, doch einige Personen wurden bald dadurch
interessant, daß sie von strettg confessionellen Versuchungen zeitweise angefochten


Grenzboten. IV. 18so. 41
Die Kirchendisciplin sonst und jetzt.
Betrachtungen eines Dorfgeistlichen aus Pommern.

Ich trat zu jener Zeit in unser Amt, in welcher das Gestirn des königs¬
berger Philosophen am grünen Tische der Consistorien und auf den Dvrfkanzeln
zu erbleichen begann. So sehr der kategorische Imperativ mit dem Glauben
an Gott, Freiheit und Unsterblichkeit auch ohne Kenntniß des Ursprungs
und der begründenden Form in dem Herzen der Laien fortwirkte, der Ein¬
fluß der Universitäten hatte dem jungen Geschlecht der Theologen bereits eine
andre Richtung gegeben. Obgleich die Universität Halle durch die Autorität
von Gesenius und Wegscheider die alte rationalistische Ausrüstung für den
Kirchendienst am ausschließlichsten und längsten festhielt, so waren auf andern
Universitäten, namentlich in Berlin, andre Männer zur Geltung gekommen; sie
halfen die große Anziehungskraft von Halle und seiner theologischen Facultät
aufheben und die junge Generation saß eifrig zu den Füßen von Schleier¬
macher und Neander, wo neuer Most in neuen Schläuchen gereicht wurde.
Der reinste Aether theologisch-philosophischen Inhaltes strömte nur wenig aus¬
erwählten Jünglingen in den Kollegien hcgelscher Philosophen entgegen, sie
blickten ans ihrer Gedankenhöhe mit Selbstgefälligkeit auf das große Geschlecht
ihrer Commilitonen herab, welche an der Seite Schleiermachers ihren Durst
zu stillen suchten.

Wenn das Kirchenregiment die Richtung der theologischen Facultäten im Auge
behielt, und in der Zusammensetzung der theologischen Prüfungscommissionen
an einzelnen Universitäten verschiedenen Richtungen Rechnung zu tragen suchte,
so galt seine Hauptthätigkeit doch der Einführung und Befestigung der Union,
diese war zugleich die Puppe und das Schoßkind der einflußreichsten Männer
geworden. Wer die große Carriere im Kirchendienste machen wollte, suchte
über die Nothwendigkeit und den Segen der Union die weitreichendsten Zu-
stcherungen zu geben und Prüfungs- wie Synodalarbeiten boten den gün¬
stigsten Boden zu einer Empfehlung. Natürlich wurde die Empfehlung des
Einzelnen dadurch erschwert, daß sich alle jungen strebsamen Männer dem auf¬
gehenden Gestirne zuwandi.a, doch einige Personen wurden bald dadurch
interessant, daß sie von strettg confessionellen Versuchungen zeitweise angefochten


Grenzboten. IV. 18so. 41
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0329" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100783"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Kirchendisciplin sonst und jetzt.<lb/><note type="byline"> Betrachtungen eines Dorfgeistlichen aus Pommern.</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_940"> Ich trat zu jener Zeit in unser Amt, in welcher das Gestirn des königs¬<lb/>
berger Philosophen am grünen Tische der Consistorien und auf den Dvrfkanzeln<lb/>
zu erbleichen begann. So sehr der kategorische Imperativ mit dem Glauben<lb/>
an Gott, Freiheit und Unsterblichkeit auch ohne Kenntniß des Ursprungs<lb/>
und der begründenden Form in dem Herzen der Laien fortwirkte, der Ein¬<lb/>
fluß der Universitäten hatte dem jungen Geschlecht der Theologen bereits eine<lb/>
andre Richtung gegeben. Obgleich die Universität Halle durch die Autorität<lb/>
von Gesenius und Wegscheider die alte rationalistische Ausrüstung für den<lb/>
Kirchendienst am ausschließlichsten und längsten festhielt, so waren auf andern<lb/>
Universitäten, namentlich in Berlin, andre Männer zur Geltung gekommen; sie<lb/>
halfen die große Anziehungskraft von Halle und seiner theologischen Facultät<lb/>
aufheben und die junge Generation saß eifrig zu den Füßen von Schleier¬<lb/>
macher und Neander, wo neuer Most in neuen Schläuchen gereicht wurde.<lb/>
Der reinste Aether theologisch-philosophischen Inhaltes strömte nur wenig aus¬<lb/>
erwählten Jünglingen in den Kollegien hcgelscher Philosophen entgegen, sie<lb/>
blickten ans ihrer Gedankenhöhe mit Selbstgefälligkeit auf das große Geschlecht<lb/>
ihrer Commilitonen herab, welche an der Seite Schleiermachers ihren Durst<lb/>
zu stillen suchten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_941" next="#ID_942"> Wenn das Kirchenregiment die Richtung der theologischen Facultäten im Auge<lb/>
behielt, und in der Zusammensetzung der theologischen Prüfungscommissionen<lb/>
an einzelnen Universitäten verschiedenen Richtungen Rechnung zu tragen suchte,<lb/>
so galt seine Hauptthätigkeit doch der Einführung und Befestigung der Union,<lb/>
diese war zugleich die Puppe und das Schoßkind der einflußreichsten Männer<lb/>
geworden. Wer die große Carriere im Kirchendienste machen wollte, suchte<lb/>
über die Nothwendigkeit und den Segen der Union die weitreichendsten Zu-<lb/>
stcherungen zu geben und Prüfungs- wie Synodalarbeiten boten den gün¬<lb/>
stigsten Boden zu einer Empfehlung. Natürlich wurde die Empfehlung des<lb/>
Einzelnen dadurch erschwert, daß sich alle jungen strebsamen Männer dem auf¬<lb/>
gehenden Gestirne zuwandi.a, doch einige Personen wurden bald dadurch<lb/>
interessant, daß sie von strettg confessionellen Versuchungen zeitweise angefochten</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. IV. 18so. 41</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0329] Die Kirchendisciplin sonst und jetzt. Betrachtungen eines Dorfgeistlichen aus Pommern. Ich trat zu jener Zeit in unser Amt, in welcher das Gestirn des königs¬ berger Philosophen am grünen Tische der Consistorien und auf den Dvrfkanzeln zu erbleichen begann. So sehr der kategorische Imperativ mit dem Glauben an Gott, Freiheit und Unsterblichkeit auch ohne Kenntniß des Ursprungs und der begründenden Form in dem Herzen der Laien fortwirkte, der Ein¬ fluß der Universitäten hatte dem jungen Geschlecht der Theologen bereits eine andre Richtung gegeben. Obgleich die Universität Halle durch die Autorität von Gesenius und Wegscheider die alte rationalistische Ausrüstung für den Kirchendienst am ausschließlichsten und längsten festhielt, so waren auf andern Universitäten, namentlich in Berlin, andre Männer zur Geltung gekommen; sie halfen die große Anziehungskraft von Halle und seiner theologischen Facultät aufheben und die junge Generation saß eifrig zu den Füßen von Schleier¬ macher und Neander, wo neuer Most in neuen Schläuchen gereicht wurde. Der reinste Aether theologisch-philosophischen Inhaltes strömte nur wenig aus¬ erwählten Jünglingen in den Kollegien hcgelscher Philosophen entgegen, sie blickten ans ihrer Gedankenhöhe mit Selbstgefälligkeit auf das große Geschlecht ihrer Commilitonen herab, welche an der Seite Schleiermachers ihren Durst zu stillen suchten. Wenn das Kirchenregiment die Richtung der theologischen Facultäten im Auge behielt, und in der Zusammensetzung der theologischen Prüfungscommissionen an einzelnen Universitäten verschiedenen Richtungen Rechnung zu tragen suchte, so galt seine Hauptthätigkeit doch der Einführung und Befestigung der Union, diese war zugleich die Puppe und das Schoßkind der einflußreichsten Männer geworden. Wer die große Carriere im Kirchendienste machen wollte, suchte über die Nothwendigkeit und den Segen der Union die weitreichendsten Zu- stcherungen zu geben und Prüfungs- wie Synodalarbeiten boten den gün¬ stigsten Boden zu einer Empfehlung. Natürlich wurde die Empfehlung des Einzelnen dadurch erschwert, daß sich alle jungen strebsamen Männer dem auf¬ gehenden Gestirne zuwandi.a, doch einige Personen wurden bald dadurch interessant, daß sie von strettg confessionellen Versuchungen zeitweise angefochten Grenzboten. IV. 18so. 41

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/329
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/329>, abgerufen am 28.04.2024.