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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Bildhauerei. Ehrcnmedcnllm: Rüde, Rietschel, Duret, Dumont.

Die Bildhauerei in Frankreich ist in einem sehr traurigen Zustande --
sie trägt den Stempel des Verfalls an ihrer Stirne, während die Malerei,
Bedeutendes in der Gegenwart leistend, größerer Hoffnung für die Zukunft
Raum gibt. Die Armuth der Bildhauerausstellung tritt um so auffallender
hervor, als der bedeutendste Künstler der Franzosen dies Jahr nicht ausgestellt hat.
David d'Angers, der eminenteste und fruchtbarste, leistete Verzicht auf die
Palme und überließ es der Nachwelt, das Urtheil über seinen Werth zu be¬
stimmen. Dies ist um so erklärlicher, als seine Überlegenheit in der Meinung
der Künstler unzweifelhaft erscheint. Ingres und Delacroir theilen sich in der
Bewunderung ihrer Zeitgenossen und gar mancher würde ihnen Paul Delaroche
an dle Seite stellen, noch andere machen Horace Vernet zu ihrem Hausgolte --
die Verehrung für David d'Angers ist ungetheilt.

Die Bildhauer Frankreichs sind wie die schwebenden Seelen Dantes ohne
eigentliche Heimat!) -- ihr Aufenthalt ist der Himmel der ungetauften Kinder.
Sie gehören keiner Zeit an. Ihren Studien nach in die Antike verbissen ohne
unmittelbares Verständniß derselben, ziehen ihre Bestrebungen sie in den Kreis
des modernen Lebens. Es ist ein Zwittergeschöpf, unerquicklich anzusehen, ohne
Lebensfähigkeit in der Gegenwart, unfruchtbar für die Zukunft.

Die Vertrautheit mit dem Modell, das dem Maler zu Gute kommt, hat
aus die Bildhauerei keinen wohlthätigen Einfluß ausgeübt. Was die An¬
schauung der Natur sie gelehrt, das wird von den Reminiscenzen der Schule
und der akademischen Reife verdrängt. -- Nirgend äußert sich Originalität
und je höher die Sphäre, in die sich der Künstler versteigt, um so mehr ver¬
schwindet Ursprünglichkeit, um so größer die Armuth, um so auffallender der
Geist der Nachahmung. Nux werde es sich um Gefälligkeit und um Ver¬
herrlichung des Lasciven handelt, um die Bildhauerei des Lvrettenthums be¬
wegen sich die Franzosen mit Freiheit und Leichtigkeit, Hier steht ihnen die Be¬
herrschung des Materials zu Gebote und sie wetteifern an Eleganz und Süßlichkeit
mit den Italienern. Sie haben vor diesen noch voraus, daß sie mehr im Geiste ihrer
Schöpfungen bleiben, sie gehe" vaterländische Producte, heimische Ideen wieder.
Prahler verstand es die Phantasie um einige Töne höher zu stimmen -- er
wußte seinen Loretten eine sehr antike Attitüde zu geben -- .man mußte erst
näher zusehen, ehe man seinen Grazien, seiner Sappho ihre wirklichen Namen
verleihen konnte. Nur die sogenannten Realisten haben in der Darstellung deö
Thierlebens das Bedeutendste, das Naturwüchsigste geleistet, was die moderne
Bildhauerkunst in Frankreich aufzuweisen hat.

Wir glauben, daß, abgesehen von den vorzüglichen Werken, welche die
Sculptur dieser abgesonderten Gruppe von Thierkünstlern verdankt, diese durch


Bildhauerei. Ehrcnmedcnllm: Rüde, Rietschel, Duret, Dumont.

Die Bildhauerei in Frankreich ist in einem sehr traurigen Zustande —
sie trägt den Stempel des Verfalls an ihrer Stirne, während die Malerei,
Bedeutendes in der Gegenwart leistend, größerer Hoffnung für die Zukunft
Raum gibt. Die Armuth der Bildhauerausstellung tritt um so auffallender
hervor, als der bedeutendste Künstler der Franzosen dies Jahr nicht ausgestellt hat.
David d'Angers, der eminenteste und fruchtbarste, leistete Verzicht auf die
Palme und überließ es der Nachwelt, das Urtheil über seinen Werth zu be¬
stimmen. Dies ist um so erklärlicher, als seine Überlegenheit in der Meinung
der Künstler unzweifelhaft erscheint. Ingres und Delacroir theilen sich in der
Bewunderung ihrer Zeitgenossen und gar mancher würde ihnen Paul Delaroche
an dle Seite stellen, noch andere machen Horace Vernet zu ihrem Hausgolte —
die Verehrung für David d'Angers ist ungetheilt.

Die Bildhauer Frankreichs sind wie die schwebenden Seelen Dantes ohne
eigentliche Heimat!) — ihr Aufenthalt ist der Himmel der ungetauften Kinder.
Sie gehören keiner Zeit an. Ihren Studien nach in die Antike verbissen ohne
unmittelbares Verständniß derselben, ziehen ihre Bestrebungen sie in den Kreis
des modernen Lebens. Es ist ein Zwittergeschöpf, unerquicklich anzusehen, ohne
Lebensfähigkeit in der Gegenwart, unfruchtbar für die Zukunft.

Die Vertrautheit mit dem Modell, das dem Maler zu Gute kommt, hat
aus die Bildhauerei keinen wohlthätigen Einfluß ausgeübt. Was die An¬
schauung der Natur sie gelehrt, das wird von den Reminiscenzen der Schule
und der akademischen Reife verdrängt. — Nirgend äußert sich Originalität
und je höher die Sphäre, in die sich der Künstler versteigt, um so mehr ver¬
schwindet Ursprünglichkeit, um so größer die Armuth, um so auffallender der
Geist der Nachahmung. Nux werde es sich um Gefälligkeit und um Ver¬
herrlichung des Lasciven handelt, um die Bildhauerei des Lvrettenthums be¬
wegen sich die Franzosen mit Freiheit und Leichtigkeit, Hier steht ihnen die Be¬
herrschung des Materials zu Gebote und sie wetteifern an Eleganz und Süßlichkeit
mit den Italienern. Sie haben vor diesen noch voraus, daß sie mehr im Geiste ihrer
Schöpfungen bleiben, sie gehe« vaterländische Producte, heimische Ideen wieder.
Prahler verstand es die Phantasie um einige Töne höher zu stimmen — er
wußte seinen Loretten eine sehr antike Attitüde zu geben — .man mußte erst
näher zusehen, ehe man seinen Grazien, seiner Sappho ihre wirklichen Namen
verleihen konnte. Nur die sogenannten Realisten haben in der Darstellung deö
Thierlebens das Bedeutendste, das Naturwüchsigste geleistet, was die moderne
Bildhauerkunst in Frankreich aufzuweisen hat.

Wir glauben, daß, abgesehen von den vorzüglichen Werken, welche die
Sculptur dieser abgesonderten Gruppe von Thierkünstlern verdankt, diese durch


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[0519] Bildhauerei. Ehrcnmedcnllm: Rüde, Rietschel, Duret, Dumont. Die Bildhauerei in Frankreich ist in einem sehr traurigen Zustande — sie trägt den Stempel des Verfalls an ihrer Stirne, während die Malerei, Bedeutendes in der Gegenwart leistend, größerer Hoffnung für die Zukunft Raum gibt. Die Armuth der Bildhauerausstellung tritt um so auffallender hervor, als der bedeutendste Künstler der Franzosen dies Jahr nicht ausgestellt hat. David d'Angers, der eminenteste und fruchtbarste, leistete Verzicht auf die Palme und überließ es der Nachwelt, das Urtheil über seinen Werth zu be¬ stimmen. Dies ist um so erklärlicher, als seine Überlegenheit in der Meinung der Künstler unzweifelhaft erscheint. Ingres und Delacroir theilen sich in der Bewunderung ihrer Zeitgenossen und gar mancher würde ihnen Paul Delaroche an dle Seite stellen, noch andere machen Horace Vernet zu ihrem Hausgolte — die Verehrung für David d'Angers ist ungetheilt. Die Bildhauer Frankreichs sind wie die schwebenden Seelen Dantes ohne eigentliche Heimat!) — ihr Aufenthalt ist der Himmel der ungetauften Kinder. Sie gehören keiner Zeit an. Ihren Studien nach in die Antike verbissen ohne unmittelbares Verständniß derselben, ziehen ihre Bestrebungen sie in den Kreis des modernen Lebens. Es ist ein Zwittergeschöpf, unerquicklich anzusehen, ohne Lebensfähigkeit in der Gegenwart, unfruchtbar für die Zukunft. Die Vertrautheit mit dem Modell, das dem Maler zu Gute kommt, hat aus die Bildhauerei keinen wohlthätigen Einfluß ausgeübt. Was die An¬ schauung der Natur sie gelehrt, das wird von den Reminiscenzen der Schule und der akademischen Reife verdrängt. — Nirgend äußert sich Originalität und je höher die Sphäre, in die sich der Künstler versteigt, um so mehr ver¬ schwindet Ursprünglichkeit, um so größer die Armuth, um so auffallender der Geist der Nachahmung. Nux werde es sich um Gefälligkeit und um Ver¬ herrlichung des Lasciven handelt, um die Bildhauerei des Lvrettenthums be¬ wegen sich die Franzosen mit Freiheit und Leichtigkeit, Hier steht ihnen die Be¬ herrschung des Materials zu Gebote und sie wetteifern an Eleganz und Süßlichkeit mit den Italienern. Sie haben vor diesen noch voraus, daß sie mehr im Geiste ihrer Schöpfungen bleiben, sie gehe« vaterländische Producte, heimische Ideen wieder. Prahler verstand es die Phantasie um einige Töne höher zu stimmen — er wußte seinen Loretten eine sehr antike Attitüde zu geben — .man mußte erst näher zusehen, ehe man seinen Grazien, seiner Sappho ihre wirklichen Namen verleihen konnte. Nur die sogenannten Realisten haben in der Darstellung deö Thierlebens das Bedeutendste, das Naturwüchsigste geleistet, was die moderne Bildhauerkunst in Frankreich aufzuweisen hat. Wir glauben, daß, abgesehen von den vorzüglichen Werken, welche die Sculptur dieser abgesonderten Gruppe von Thierkünstlern verdankt, diese durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/519>, abgerufen am 28.04.2024.