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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Schos von irgendeiner andern Gemeinde war." Diese griechischen Worte wurden
von Rufinus so ins Lateinische übersetzt: "Beryll war ein Bischof von Bostra,
der größten Stadt Arabiens. Ebenso war auch Hippolyt Bischof." -- Der
Uebersetzer hatte die Worte "in irgendeiner andern Gemeinde" ausgelassen, und
die Römer verstanden demnach später so: auch Hippolyt war Bischof von Ara¬
bien. -- Durch ein ähnliches Mißverstehen des Eusebius und durch die Un-
genauigkeit der Martyrologen ist Hippolyt zu einem Presbyter von Antiochien
geworden; und durch eine noch größere Confusion der Martyrologen wurde
der römische Kirchenschriftsteller mit einem frommen Nonnus in Asien zusam¬
mengebracht, der dort im fünften Jahrhundert eine Myriade Heiden bekehrt
haben soll. Diese Heiden aber wurden seit dem siebenten Jahrhundert, wo dort
Sarazenen erscheinen, als Sarazenen aufgefaßt.

Aus dem allen erkennt man, wie auf dem Boden von Thatsachen, welche
man einfach nennen kann, durch den ewig und in allen Völkern fortlebenden
Trieb der Sagenerfindung, durch Unkenntniß des Griechischen und durch das
Fortwuchern heidnischer Cultur und Mythen, auch nachdem ihnen der Kopf
abgeschlagen war, in christlicher Form eine Reihe Mythen entstanden sind,
gleichsam Gespenster eines abgestorbenen Lebens. Schattenhaft und wandel¬
bar fahren sie durcheinander, verschlingen sich, lösen sich ineinander auf. Eine
Bande unheimlicher, und oft dem schärfsten Auge undeutlicher Gebilde. Sie
hier wie überall zu bekämpfen und von dem Felde der Geschichte wegzuscheu-
chcn, ist noch immer eine Hauptaufgabe der historischen Forschung. Wo. dies
geschehen ist, da ist es wie bei der Gestalt des Hippolyt, des herben Feindes
der römischen Päpste überall am siegreichsten und vollkommensten geschehen mit
den Waffen, welche die freie Hand der deutschen Gelehrten geführt hat. --




Die londoner Börse.

Mr. John Francis, der Verfasser der Geschichte der Banken und de<Ge-
schichte der Eisenbahnen har jetzt auch eine Geschichte der londoner Börse her¬
ausgegeben, die aber, wie seine beiden frühern Werke mit Unrecht den Namen
Geschichte beansprucht, denn das Buch besteht vielmehr aus einer Sammlung
von Porträts, charakteristischen Zügen und Anekdoten aus dem englischen
Börsenleben. Geht dem Buche daher auch viel an wissenschaftlichem Werthe ab,
so ist es dafür reich an unterhaltenden Stoffe, der sich zu einer kleinen Blumen¬
lese eignet.

Der langjährige Kampf, den Wilhelm UI. gegen die ganz Europa mit
Unterjochung bedrohenden ehrgeizigen Pläne Ludwigs XIV. führte, zwang ihn,


Schos von irgendeiner andern Gemeinde war." Diese griechischen Worte wurden
von Rufinus so ins Lateinische übersetzt: „Beryll war ein Bischof von Bostra,
der größten Stadt Arabiens. Ebenso war auch Hippolyt Bischof." — Der
Uebersetzer hatte die Worte „in irgendeiner andern Gemeinde" ausgelassen, und
die Römer verstanden demnach später so: auch Hippolyt war Bischof von Ara¬
bien. — Durch ein ähnliches Mißverstehen des Eusebius und durch die Un-
genauigkeit der Martyrologen ist Hippolyt zu einem Presbyter von Antiochien
geworden; und durch eine noch größere Confusion der Martyrologen wurde
der römische Kirchenschriftsteller mit einem frommen Nonnus in Asien zusam¬
mengebracht, der dort im fünften Jahrhundert eine Myriade Heiden bekehrt
haben soll. Diese Heiden aber wurden seit dem siebenten Jahrhundert, wo dort
Sarazenen erscheinen, als Sarazenen aufgefaßt.

Aus dem allen erkennt man, wie auf dem Boden von Thatsachen, welche
man einfach nennen kann, durch den ewig und in allen Völkern fortlebenden
Trieb der Sagenerfindung, durch Unkenntniß des Griechischen und durch das
Fortwuchern heidnischer Cultur und Mythen, auch nachdem ihnen der Kopf
abgeschlagen war, in christlicher Form eine Reihe Mythen entstanden sind,
gleichsam Gespenster eines abgestorbenen Lebens. Schattenhaft und wandel¬
bar fahren sie durcheinander, verschlingen sich, lösen sich ineinander auf. Eine
Bande unheimlicher, und oft dem schärfsten Auge undeutlicher Gebilde. Sie
hier wie überall zu bekämpfen und von dem Felde der Geschichte wegzuscheu-
chcn, ist noch immer eine Hauptaufgabe der historischen Forschung. Wo. dies
geschehen ist, da ist es wie bei der Gestalt des Hippolyt, des herben Feindes
der römischen Päpste überall am siegreichsten und vollkommensten geschehen mit
den Waffen, welche die freie Hand der deutschen Gelehrten geführt hat. —




Die londoner Börse.

Mr. John Francis, der Verfasser der Geschichte der Banken und de<Ge-
schichte der Eisenbahnen har jetzt auch eine Geschichte der londoner Börse her¬
ausgegeben, die aber, wie seine beiden frühern Werke mit Unrecht den Namen
Geschichte beansprucht, denn das Buch besteht vielmehr aus einer Sammlung
von Porträts, charakteristischen Zügen und Anekdoten aus dem englischen
Börsenleben. Geht dem Buche daher auch viel an wissenschaftlichem Werthe ab,
so ist es dafür reich an unterhaltenden Stoffe, der sich zu einer kleinen Blumen¬
lese eignet.

Der langjährige Kampf, den Wilhelm UI. gegen die ganz Europa mit
Unterjochung bedrohenden ehrgeizigen Pläne Ludwigs XIV. führte, zwang ihn,


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[0262] Schos von irgendeiner andern Gemeinde war." Diese griechischen Worte wurden von Rufinus so ins Lateinische übersetzt: „Beryll war ein Bischof von Bostra, der größten Stadt Arabiens. Ebenso war auch Hippolyt Bischof." — Der Uebersetzer hatte die Worte „in irgendeiner andern Gemeinde" ausgelassen, und die Römer verstanden demnach später so: auch Hippolyt war Bischof von Ara¬ bien. — Durch ein ähnliches Mißverstehen des Eusebius und durch die Un- genauigkeit der Martyrologen ist Hippolyt zu einem Presbyter von Antiochien geworden; und durch eine noch größere Confusion der Martyrologen wurde der römische Kirchenschriftsteller mit einem frommen Nonnus in Asien zusam¬ mengebracht, der dort im fünften Jahrhundert eine Myriade Heiden bekehrt haben soll. Diese Heiden aber wurden seit dem siebenten Jahrhundert, wo dort Sarazenen erscheinen, als Sarazenen aufgefaßt. Aus dem allen erkennt man, wie auf dem Boden von Thatsachen, welche man einfach nennen kann, durch den ewig und in allen Völkern fortlebenden Trieb der Sagenerfindung, durch Unkenntniß des Griechischen und durch das Fortwuchern heidnischer Cultur und Mythen, auch nachdem ihnen der Kopf abgeschlagen war, in christlicher Form eine Reihe Mythen entstanden sind, gleichsam Gespenster eines abgestorbenen Lebens. Schattenhaft und wandel¬ bar fahren sie durcheinander, verschlingen sich, lösen sich ineinander auf. Eine Bande unheimlicher, und oft dem schärfsten Auge undeutlicher Gebilde. Sie hier wie überall zu bekämpfen und von dem Felde der Geschichte wegzuscheu- chcn, ist noch immer eine Hauptaufgabe der historischen Forschung. Wo. dies geschehen ist, da ist es wie bei der Gestalt des Hippolyt, des herben Feindes der römischen Päpste überall am siegreichsten und vollkommensten geschehen mit den Waffen, welche die freie Hand der deutschen Gelehrten geführt hat. — Die londoner Börse. Mr. John Francis, der Verfasser der Geschichte der Banken und de<Ge- schichte der Eisenbahnen har jetzt auch eine Geschichte der londoner Börse her¬ ausgegeben, die aber, wie seine beiden frühern Werke mit Unrecht den Namen Geschichte beansprucht, denn das Buch besteht vielmehr aus einer Sammlung von Porträts, charakteristischen Zügen und Anekdoten aus dem englischen Börsenleben. Geht dem Buche daher auch viel an wissenschaftlichem Werthe ab, so ist es dafür reich an unterhaltenden Stoffe, der sich zu einer kleinen Blumen¬ lese eignet. Der langjährige Kampf, den Wilhelm UI. gegen die ganz Europa mit Unterjochung bedrohenden ehrgeizigen Pläne Ludwigs XIV. führte, zwang ihn,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/262>, abgerufen am 01.05.2024.