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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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zeigt er einen richtigen Jnstinct; möchten die Männer, die weniger Berech¬
tigung zur Frivolität haben, das Beispiel nachahmen -- freilich nicht blos für
die Trauerwoche!




Die politische Situation.
' A. L.

Die Einladung Preußens zur Theilnahme an den pariser Konferenzen
stellt es sicher, daß man in Paris über alle Hauptpunkte vollständig einig ge¬
worden ist, daß höchstens noch einige Nebenpunkte zu erörtern, die Formali¬
täten zu vollziehen bleiben, um einen dritten pariser Frieden in die Geschichte
des europäischen Völkerrechtes einzutragen. Wie wir schon früher sagten, daß
man Preußen nach abgemachter Sache, wegen seiner Theilnahme an dem
Dardanellenvertrag von 18i1, die Billigung des Friedens gestatten werde, ist eS
wirklich geschehen. Es war vielleicht für die Achtung der preußischen Monarchie
Wünschenswerther und war jedenfalls sachgemäßer, wenn man mit der Voll¬
ziehung dieses Geschäftes einfach den preußischen Gesandten in Paris beauf¬
tragte. Indeß,' gegenüber der Gewißheit, daß in wenigen Wochen der erste
europäische Krieg, der dem zweiten pariser Frieden gefolgt ist, durch förmlichen
Friedensabschluß ein Ende genommen haben wird, ist diese Betrachtung von
untergeordneter Bedeutung.

Von Interesse ist eS, den Großmächten Europas die Balance zu ziehen
zwischen dem Capital von Macht und Ansehen, welches sie in den Krieg hin¬
eingebracht haben und welches sie aus demselben herausnehmen, und aus der
Stellung Europas vor dem Friedensschlüsse eine Folgerung zu ziehen auf den
Zustand Europas nach dem Friedensschlüsse.

Rußland, welches diesen Krieg in frivoler Weise begonnen hatte, zahlt
auch die Kosten des Friedens. Eine zweijährige Verdopplung des Ausgabe¬
budgets wird seine ohnehin ungenügende Finanzverwaltung auf mehre Jahre
zu außerordentlichen Ausgaben unfähig machen. Von der Armee, welche in
den Krieg zog, liegt über die Hälfte um Sebastopol oder auf den Kirchhöfen
der Marschstationen begraben, seine Pontusflvtte ist ohne Kampf, ruhmlos
untergegangen. Die Anstrengungen eines Jahrzehntes werden nicht im Stande
sein, Rußland die militärische und finanzielle Stärke wiederzugeben, welche es
im Jahre 18Si hatte.

Aber noch schwerer wird Rußland den Verlust des moralischen Capitals
empfinden, welches es aus den Kriegen von 1812 bis 1814 herausnahm
und welches der Kaiser Nikolaus trotz der Zweifel, welche die türkischen und


es*

zeigt er einen richtigen Jnstinct; möchten die Männer, die weniger Berech¬
tigung zur Frivolität haben, das Beispiel nachahmen — freilich nicht blos für
die Trauerwoche!




Die politische Situation.
' A. L.

Die Einladung Preußens zur Theilnahme an den pariser Konferenzen
stellt es sicher, daß man in Paris über alle Hauptpunkte vollständig einig ge¬
worden ist, daß höchstens noch einige Nebenpunkte zu erörtern, die Formali¬
täten zu vollziehen bleiben, um einen dritten pariser Frieden in die Geschichte
des europäischen Völkerrechtes einzutragen. Wie wir schon früher sagten, daß
man Preußen nach abgemachter Sache, wegen seiner Theilnahme an dem
Dardanellenvertrag von 18i1, die Billigung des Friedens gestatten werde, ist eS
wirklich geschehen. Es war vielleicht für die Achtung der preußischen Monarchie
Wünschenswerther und war jedenfalls sachgemäßer, wenn man mit der Voll¬
ziehung dieses Geschäftes einfach den preußischen Gesandten in Paris beauf¬
tragte. Indeß,' gegenüber der Gewißheit, daß in wenigen Wochen der erste
europäische Krieg, der dem zweiten pariser Frieden gefolgt ist, durch förmlichen
Friedensabschluß ein Ende genommen haben wird, ist diese Betrachtung von
untergeordneter Bedeutung.

Von Interesse ist eS, den Großmächten Europas die Balance zu ziehen
zwischen dem Capital von Macht und Ansehen, welches sie in den Krieg hin¬
eingebracht haben und welches sie aus demselben herausnehmen, und aus der
Stellung Europas vor dem Friedensschlüsse eine Folgerung zu ziehen auf den
Zustand Europas nach dem Friedensschlüsse.

Rußland, welches diesen Krieg in frivoler Weise begonnen hatte, zahlt
auch die Kosten des Friedens. Eine zweijährige Verdopplung des Ausgabe¬
budgets wird seine ohnehin ungenügende Finanzverwaltung auf mehre Jahre
zu außerordentlichen Ausgaben unfähig machen. Von der Armee, welche in
den Krieg zog, liegt über die Hälfte um Sebastopol oder auf den Kirchhöfen
der Marschstationen begraben, seine Pontusflvtte ist ohne Kampf, ruhmlos
untergegangen. Die Anstrengungen eines Jahrzehntes werden nicht im Stande
sein, Rußland die militärische und finanzielle Stärke wiederzugeben, welche es
im Jahre 18Si hatte.

Aber noch schwerer wird Rußland den Verlust des moralischen Capitals
empfinden, welches es aus den Kriegen von 1812 bis 1814 herausnahm
und welches der Kaiser Nikolaus trotz der Zweifel, welche die türkischen und


es*
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[0523] zeigt er einen richtigen Jnstinct; möchten die Männer, die weniger Berech¬ tigung zur Frivolität haben, das Beispiel nachahmen — freilich nicht blos für die Trauerwoche! Die politische Situation. ' A. L. Die Einladung Preußens zur Theilnahme an den pariser Konferenzen stellt es sicher, daß man in Paris über alle Hauptpunkte vollständig einig ge¬ worden ist, daß höchstens noch einige Nebenpunkte zu erörtern, die Formali¬ täten zu vollziehen bleiben, um einen dritten pariser Frieden in die Geschichte des europäischen Völkerrechtes einzutragen. Wie wir schon früher sagten, daß man Preußen nach abgemachter Sache, wegen seiner Theilnahme an dem Dardanellenvertrag von 18i1, die Billigung des Friedens gestatten werde, ist eS wirklich geschehen. Es war vielleicht für die Achtung der preußischen Monarchie Wünschenswerther und war jedenfalls sachgemäßer, wenn man mit der Voll¬ ziehung dieses Geschäftes einfach den preußischen Gesandten in Paris beauf¬ tragte. Indeß,' gegenüber der Gewißheit, daß in wenigen Wochen der erste europäische Krieg, der dem zweiten pariser Frieden gefolgt ist, durch förmlichen Friedensabschluß ein Ende genommen haben wird, ist diese Betrachtung von untergeordneter Bedeutung. Von Interesse ist eS, den Großmächten Europas die Balance zu ziehen zwischen dem Capital von Macht und Ansehen, welches sie in den Krieg hin¬ eingebracht haben und welches sie aus demselben herausnehmen, und aus der Stellung Europas vor dem Friedensschlüsse eine Folgerung zu ziehen auf den Zustand Europas nach dem Friedensschlüsse. Rußland, welches diesen Krieg in frivoler Weise begonnen hatte, zahlt auch die Kosten des Friedens. Eine zweijährige Verdopplung des Ausgabe¬ budgets wird seine ohnehin ungenügende Finanzverwaltung auf mehre Jahre zu außerordentlichen Ausgaben unfähig machen. Von der Armee, welche in den Krieg zog, liegt über die Hälfte um Sebastopol oder auf den Kirchhöfen der Marschstationen begraben, seine Pontusflvtte ist ohne Kampf, ruhmlos untergegangen. Die Anstrengungen eines Jahrzehntes werden nicht im Stande sein, Rußland die militärische und finanzielle Stärke wiederzugeben, welche es im Jahre 18Si hatte. Aber noch schwerer wird Rußland den Verlust des moralischen Capitals empfinden, welches es aus den Kriegen von 1812 bis 1814 herausnahm und welches der Kaiser Nikolaus trotz der Zweifel, welche die türkischen und es*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/523>, abgerufen am 06.05.2024.